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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 131 - Nr. 140 (8. Juni - 20. Juni)
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„Volkszeitung"
2. Blatt. — Donnerstag, 8. Juni 1922.
-s,_- ....... ..

Fr. W. Foerster in Mainz.
Die Dienstag Nachniittagssitztttig des», Kongresses der Entschie-
vei'.ei, Scimtresormer in Main,; brachte einen Höhepunkt mit de»
Ausführungen von Pros. Fr. W. Foerster. Vorausgegangen waren
vormittags mit Lichtbildern illustrierte Darlegungen von Frau
^r. Montes«, dann nachmittags ein Vortrag von Frau Lddta
Stöcker, ein Gruß von Frau Köster aus Rutztand, Briefe von Prof.
Duidde, von Forrel und Romain Rolland. Dies zur Charakteri»
uerung der universalett Atmosphäre, in der verhandelt wurde.
Foerster ging vo» der Ablehnung des Staates durch einen grossen
Teil der modernen Jugendbewegung aus. Bei aller Einseitigkeit
etwas Gesundes darin. Die „Entstaatlichung" des Menschen
idente zugleich eine Rettung des Staates vor der Unmenschlich-
bit. Es miisse noch etwas Höheres über dem Staate anerkannt
werden, um diesen selbst zu erhöhen. Dann aber gebe es auch
(nach Plato) einen politischen Eros, das Streben nach der könig-
lichen Kunst, die Gemüter der Einzelnen in eine höhere Einheit
-Ur verweben. Von der Polnischen Kultur der Angelsachsen ist da
'"auches zu lernen. Der Deutsche neigt zu theoretischem Fanatis-
mus, woraus sich die ungeheure Verfeindung Vcrschieden-Denken-
der ergibt. Der Engländer sucht politische Erziehung (auch im
Tvort) mit dein Ziel nicht nur der körperlichen Ertüchtigung oder
der Subordination, sondern des gerechten Zusammenspielens. Dar-
auf sind die Politischen Sitten in England eingestellt. Rohrbach
wirft umgekehrt den Deutschen vor, dass sie so rücksichtslos (z. V.
iu lärmender Unterhaltung in der Bahn u. a.) sich selbst gegenüber
'»deren hervortehren. Der Engländer ist mehr dramatisch-objektiv,
der Deutsche mehr lyrisch-subjektiv veranlagt, lieber den „Politi-
schen Gentleman" hat die englische Literatur nicht nur zufällig eine
ganze Reihe von Schriften hervorgebracht. So legte Präsident
Lincoln erst die Motive der Gegner unter Abwehr aller Karrikatur
io objektiv dar, dal; er von ihrer Seite her Beifall erhielt und dann
erst trug er seine eigenen Ideen vor. Schon im Hause sollte so
geredet und nach Objektivität gestrebt werden. Diese politische
Bedeutung des Jugendspiels und der DMussionsübuug, Erziehung
zur Objektivität, müßte ganz anders als es geschieht in unserer
Pädagogik betont werden. Die „Zersetzung des deutschen Staates"
hat ihre letzte Ursache in der unsittlichen Subjektivität des indivi-
duellen Verhaltens. Es ist vielleicht ei» erzieherischer Segen un-
serer Not, wenn z. B. Studenten jetzt als Kohlenarbeiter tätig wer-
den und dessen seelische Lage verstehen lernen. Jeder Hilst den
Staat begründen, der nach Gerechtigkeit und Sachlichkeit auch dem
Gegner gegenüber strebt. Die großen Seiten auch des anderen
Standes, des anderen Stammes, z. B. sicher auch Preußens, müssen
studiert und geachtet werden. Der Wandervogel und die Settle-
ments Bewegung in England haben so wertvolle Brücken gebaut.
Es ist politische Unkultur und realpolitische Blindheit, alles nur
ans Selbstbehauptung (mit Schwert oder Schlauheit) abzustellem
Selbst von Hagenveck (Tiere und Menschen) kann man da lernen.
Das Tier hat einen Trieb zur Defensive und einen zur — Freund-
schaft! Man zähmt sie, wenn man den ersteren zu umgehen und
übleren zu erwecken versteht. Der echte Reiter sitzt nicht wie eine
Wäscheklammer aus seinem Tier, sondern so, daß der Adel des
Pferdes geschont wird. Die Realpolitiker, die so sehr im Tierischen
stellen bleiben, sollten doch schon aus solchen Erfahrungen lernen.
Fremdes Lebe» will verstanden sein, wenn es uns wahrhaft dienen
soll. „Mir das Meine" ist aus dem alten 8uum cuique geworden.
Damit bringt mau aber zuletzt die ganze Umwelt gegelt sich auf und
erreicht das Gegenteil der erstrebten Sicherung seiner Interessen.
Selbstsucht macht dumm. „Der Weise setzt sein Selbst nach hinten
»nd fein Selbst kommt vorn" sagt schon Laotse. Es gibt eine ge-
heimnisvolle Verknüpfung unseres eigenen Lebens mit allem Frem-
den. Das gilt auch für die Völkerpolitik. Wo die Masse austritt,
werden die Wirkungen wieder elementarer, tierischer. Umso vor-
sichtiger sollte da operiert werden. Jede diplomatische Note könnte
da Bedeutung bekommen. Große Rationen haben ein starkes Ge-
stihl für ein gutes oder böses Wort. Gerade die deutsche Geistigkeit
ist so universalistisch, daß sie hier dell Völkern ein schönes und
wirkungsvolles Beispiel geben könnte. Wir sollten uns da mehr
«ns unsere deutschen statt auf französische und englische Traditionen
berufen, wie es unser Pazifismus fälschlich oft getan. Boutronx
will di« Persönlichkeit, der Deutsche die Gemeinschaft verteidigen?
Wir sind nicht eine Nation wie die Franzosen, sondern ein Volk
boll Völkern: unsere Schwierigkeit, aber auch Misere Größe! Wir
fühlten uns von je verantwortlich für die Einheit Europas in
gotischer wie Goethescher Zeit. Die Bewahrung der Lebenseiuheit

Europas ist unsere Mission, »ich! im Sinne des Dünlels, sondern
in dem der PfticM. D o brnucheu wir „naU-masi-" Erziel,nn« und
gegen jene große Tradilion gesündigt zu Hanen, Vas war unsere
freventlichste Ausländerei. Jugend und Jugenberzieher sollten
unter diesen, Gesichtspunkt in fremdes Wesen sieb hineindenken,
gerade auch in das uns am allerenlgegeugesetzleste französische.
Wenn sich diese Völker finden, dann finden sicb die zwei Hälften
und Gegensätze der europäischen Seele wieder zusammen. Die
Kraft der Shnibese müßte Deutschland gerade an diesen, Probien«
erproben. Das ist, wie auch Fritz Sienlmrdt sagt, die „Sendung
Deutschlands". Die universale Tradition Deutschlands ist mn
ein Jahrtausend alter als seine kurze naUonatistische.
Ganz elementare Dinge, kleine Gewohnheiten lönuen zum
Träger dieses Großen werden. Man sehe die Pfadfinderbewegung,
aber nicht ihre!« indianischen Charakter, sondern ihren sozialen.
Rücksicht der Vorftürmenden aus die Nachfolgenden. Umgang mit
fremdem Eigentum, Art des Denkens, der Aiftrahme von Diensten,
Unterstützung von Leidenden, Nervösen, Stil von Briefen nsw.
gehört hierher. Auch das Stimmrecht der Anderen achtelt ist wahre
Demokratie. Das mutz aus Schritt und Tritt geübt werden. Dann
aber muß auch der Charakter des Einzelnen fest bleibe«« gegenüber
den, kollektiven Tier, dem Cäsarismns der Majorität, den es auch
gibt. Jasagen und Neinsagen im Leben, das ist die schwere Kunst:
Beides zur rechten Zeit, das sind die Pole politischer Erzieh««».
G-ewifsensmittelpunkte in den Einzelnen bat der Staat selbst nötig.
„Was würdest du tun und lassen, wenn du dich unsichtbar machen
könntest", fragt Plato. In der Tat: eilt Senkblei zur Selbsterfor
schung. So schassen wir politische Kultur durch Arbeit an unseren
eigener« höheren Seelenkrästen: Antigone verteidigt die wahre
„Staatsraifon" gegen Kreon, so staatsmännsch letzterer sich füült.
Die Katastrophe unserer Zett ist das Weltgericht über die blinde
und frevelnde Trennung von Seelengrößc und Politik. Amerika-
nische Ingenieure reisen nach Oberammergau! Ein Symbol: Welt-
technik und deutsche Seele. So möge die deutsche Jugend aus ver-
grabene deutsche Seelenschätze und nicht auf vergrabene Waffen
hoffen. Das ist die einzige Hoffnung des gesamten deutschen
Volkes von heute.

Tagung der entschiedenen Schulreformer.
Meuschenbildung und Lehensgestalt,mg.
k. In der Psingstwoche veranstaltet der Bund entschiedener
Schulreformer in Mainz einen Kongreß „Menschenbildung und
Lebensgestaltung", der zweifellos ein kulturelles ErMUis der letz-
ten Jahre sein wird. Wir hoffen sogar, haß diese Tagung, auf Der
die hefte«, und bedeutendsten Geister unserer Zeit zu Wert wurmen,
grundlegend fiir die zukünftige Einstellung Der geistigen Kultur"
Europa-- werden möchte. Denn einmal mutz es zur Klarheit und
gogeniseitigen Orientierung kommen, mag sie auch gegensätzlich und
widerspruchsvoll sein. Die Erstarrung in geistiger Militarisierung,
seelischer Mechantsiernug Und Dotierung Des Menschen von seinem
Werk enthüllte sich kratz nach dem Kriege.. Wirtschaft, Politik,
Kunst und.Wissenschaft sind ihr heute bereits unterworfen und
zeigen als Folgen Unselbständigkeit und Kritiklosigkeit des Jndi-
vidAiMs, deren Ursachen nur in Der autoritativen wirklichkeits-
fremden Schulerziehung zu suchen find.
Der Kongreß wird zur dringenD-en Notwendigkeit. Alle wer«
de>l — wenn auch äußerlich Durch verschieDenc Richtungen und
Eiirzelgiebiete geschieden — von einem Grust,Verleben und Wolle«
her, Woge zeiget!, die grundlegend für mue Erziehung und Ent-
faltung des Pcrsönlichkefts- und Gemeinschaftslebens sein werden.
Die Leitung Des Kongresses liegt in den Händen des BniHles-
vorsitzenden, Prof. Paul Oest re ich-Berlin. Der erste Da« ist
allgemeinen Fragen geistig-relegiöser Richtung gewidmet. An ihm
sprechen als Haiuptrrferen-ten Martin Bnber-Heppenheim, Marg.
Snsmaun Säckingcn und Rene Schickele. Der Montag gehört
Wissenschaftlichen Fragen, bei Denen Pros. Verwern-Bonu, Eduard
Hchmanu-Bellin und Gras Harry Keßler zu Wort kommen. Die
beiden letzten Tage bringen Themen über Politik und Erzieh itngs-
sragen. Hierzu sind bedeutende Pädagogen nNd Vertreter der
Jugendbewegung gewonnen, wie Kaplan Jocham, Fr. W. För-
ster, Ernst Hierl, Siegfried Kaworau, Anna Siemsen, Dr. RuDslk
Bode, Der Darbietungen seiner Schule für Körperkultur, nebst ein-
leitendem Vortrag bringen wird.
Das Schwergewicht des Kongresses liegt in dem sich anschlie-
ßenden Disk-isfionen, wofür bedeutende Persönlichkeiten angemet-
Det sind. Es sprechen n. a. Haus Schwann-Berlin, Susanne Cel-
lette-RÄmls, Lvdia Stöcker-Berlin, Paguet, H. v. Gerlacn, Voge-
ler-Worpswede, Renner-Wien ». a.
Es sei noch besonders erwähnt, Daß auch Frau Maria Man«
ttsseri-Rom unD ein Vertreter des modernen Indiens. Dr. Bhar-
ga-va, ihre Teilnahme am Kongreß zugesagt haben.
Wir hoffen. Daß der Kongreß, vo» dem uns mir noch wenige
Tage der Erwartung und freudiger Vorbereitung trennen, allen, die

sich BedLuttli-n! tzrwnßr und, Nc!>.. > vnchocn und Erkämpftes be-
festigen wird. Wir glauben an msing sirliscbcs Neuland euro-
päischer Kutin,
Neber das Ergebnis der Tagung werden wir »ach jhr.-m
Schstnß zmammcnfassend tzcrnbte».
Was jedermann vom Recht
wissen sollte.
Von Rechtsanwalt Dr. Otto Marx-Heidelberg.
Vitt Der Ciilfintz der wirtschaftliche» N«,Wälzungen ans
bestehende Verträge.
Das Reichsgericht hat schon oft ausgesprochen, daß der still-
schweigende Vorbehalt g l e t chb l e i b e nd e r Ver-
hältnisse beim Vertragsabschluß, die sogenannte clausula rsbiis
sic stantibus, zwar in« allgemeinen") nach dem bürgerlichen Gesetz-
buch keine Geltung beanspruchen kann, dies aber eine Prüfling
der Frage nicht ausschließt, ob nicht im einzelnen Fall oder bet
einer ganzen Gattung von Verträgen nach der Absicht der Parteien
und nach der Statur der Verträge unter Beachtung dessen, was
Treu und Glauben mit Rücksicht aus die Verkehrssttte erfordern,
einer Veränderung der Verhältnisse dennoch Bedeutung beizumessm
ist. Es wäre irrtümlich, anzunehmen, nutz diese Rechtsaufsasfung
des obersten Gerichtshofes erst von dem Lage herrührl, an welchem
der Krieg mit seine» «»absehbaren Preisrevolutionen ansbracb
und seine Wirkungen in die Erscheinung traten, vielmehr ist dieser
Grundsatz bereits In verschiedenen reichsgerichtlichen Entscheidun-
gen ans den Jahren 1911 und 1913 zum Ausdruck gelangt.
Freilich hat erst der Krieg mit seinen Folgeerscheinungen in
weitgehenderem Ausmaß zu der Anweudung des allgemeinen
Grundsatzes der clausula rebus sic stantibus und ihrer Anpassung
au die Bedürfnisse des wirtschaftlichen Lebens geführt. Indes
darf dieser Grundsatz nicht allzuweit ausgedehnt werden. Wie ein
Heiligtum stand von jeher fest der Satz: pacta sunt servaucla, Ver-
träge müssen eingehalten werden. Man kann demgegenüber fest-
stellen, daß schon die heutige Rechtsprechung der obersten Gerichte
eine vollständige Revolutionierung altehrwürdiger und geheiligter
Rechtsauffassungen bedeutet. Aber fordert nicht eine Zeit der
vollkommenen Revolutionierung der Wirtschaft auch eine ent-
sprechende Revolutionierung des die wirtschaftlichen Verhältnisse
betreffenden Rechts? Ausgabe der Rechtsprechung ist es, allzn-
grotzem Schaden, der dnrch das starre Festhalten an abgeschlossenen
Verträgen entstehen würde, vorzubeugen.
Daraus folgt aber nicht, daß jede größere Umwälzung aus
wirtschaftlichem Gebiete, mag sie auch unvorhergesehen und un-
vorhersehbar gewesen sei», dem Vertragsteile, dem sie nachteilig
ist, das Recht gibt, sich vom Vertrag loszusagcn. Im Falle einer
Preissteigerung ist ein solches Recht regelmäßig zu versagen, es
müßte denn sein, datz mit einer außerordentlichen Steigerung der
Preise eine außerordentliche Einwirkung auf die Verhältnisse des
betreffende» Vertragsteiles verbunden ist, wie etwa in dem Falle,
daß die Durchführung eines langfristigen Vertrags infolge der
Wirtschaftlichen Veränderungen für diesen Vertragsteil geradezu
ruinös zu werden droht.
Die Lösung eines Vertragsverhältnisses kann dagegen nicht
immer schon Dann verlangt werden, wenn die Fortsetzung dieses
Verhältnisses unter den bisherigen Bedingungen wegen der Aen-
derung seiner wirtschaftliche!« Grundlage eine Unbilligkeit für de»
einen Vertragsteil bedeute» würde. Das Jäter esse der
Rechtssicherheit fordert es vielmehr in der Regel auch bei
Vertragsverhältnissen von längerer Dauer, an dem Grundsätze
festzuhalten, daß die Verträge zu wahren sind (pacta sunt
soivancla).
Es hat zum Beispiel das Reichsgericht in solgenoem Falt er-
kannt, daß der abgeschlossene Vertrag ausgehalten werden müsse:
Der Eigentümer eines Fabrikartwesens hatte einem Gewerbe-
treibenden Räume seines Fabrikanwesens nebst Betriebskraft nnd
Beleuchtung vermietet. Das Mietverhältnis endigte vertrags-
mäßig im Jahre 1924. Am 22. April 1919 kündigte der Klüger
fristlos mit der Begründung, es könne ihr« bei der außerordent-
lichen Steigerung der Preise für die Beschattung von Elektrizität
und Dampfkraft nicht zugemutet io erd en, das Mietverhältnis fort
zusetzen. In drei Instanzen wurde der Verrnieter avgewiesen, und
zwar, von allgemeine,l Gesichtspunkten abgesehen, auch mit der
Begründung, er könne nach der Verordnung über die schiedsgericht-
liche Erhöhung von Preisen bei der Lieferung von elektrischer
Arbeit usw. vom 1. Februar ISIS eine Erhöhung seiner Lieferun-
gen verlangen, dürfe sich daher nicht schlechtweg vom Vertrag los-
sagen.

*) Das heißt: Abgesehen voll Sen besonderen Fältelt der M
321 und 610 des bürgerliche» Gesetzbuches.



Vor dem Wohnungsamt.
Szene aus dem täglichen Leben von FrieD« Rudolph
Ort der Handl nug: Das Wohnungsamt Siner -Stadt von mitt-
l cr Größe. Früh morgens vor 8 Uhr schon stehen sie vor Den!
'»uclilossencn Tor. Es sind ältere und jüngere Leute, gebrechliche
>"w rüstige, Frauen mit Kindern und ganz junge Frauen mit noch
-ar erwartenden Kindern. Auch Männer sind darunter, aber nur
wenige; denn die meisten hab en doch keine Zeit, sich -hier hinzustel-
ftn. Beim Oessnen des Tores Drängen sie ins Harrs; jeder stürmt
*>or, nur den richtigen Platz einnehmcn zu lönuen. Die meisten
wissen schon, zu welcher Tür sie gehören. Rur einige Neulinge
ftud-ieren den Wegweiser, Der im Treppenslur hängt, vergleichen
^ie Nummern der Zimmer mid finden e-ndl-ich ihren Staad. Der
Alnr M wM und geräumig, er steht aus, als sei er ausgerechnet
i?» erbaut, um eine ungeheure Menge gevnldig Wartender zu sar-
ü'n. lind nicht weniger -als sieben Türen sind Da, und cvensoviele
klänge Menfchenreihen stehen davor. Vor Den Zimmern, deren
Aufschriften sagen, Datz dort die kleineren Wohnungen zugswi-esen
werden, sind Diese Menschenreihen beträchtlich tanger und sehest
«rmer ans. Zum Ausgleich sind sie vor Den ander» Türen kürzer,
"der rojchr. Es scheint, als sollten die Reihert auch in sich ansge-
Mche» werden, wenn die Reihen der Armen reicher in der Zahl,
und umgekehrt die Reihen Der Reichen ärmer in der Zahl sind. Es
scheint nur so: Denn vor -dem Zimmer Des Direktors ist die Kette
'n» längsten, wäctzst von Minute zu Minute -und die einzelnen Glie-
der sind äußerlich r«ht verschieden anzuschauen. Hier bilden die
Menschen schon eine Zweierreihe, wsil sie in Siner gar keinen- Platz
'"eh, haben.
Und wie sie alle ihre Türen bewachen, wie sie ängstlich darauf
fthsn, daß keiner früher daran kommt? UnD wie Die Ohren an?
«k Geräusche im Zimmer lauschen, ob der Da Drin BerhauDelube
bald fertig sein wird? Die Türen haben alle Mattglasscheibe».
Wslch ein Aufatmen, wenn sich Der Schatten Des schon lang Ein-
lietrefenel« endlich -der Tür «Oh-ert. Aber er entfernt sich wieder.
D« gibt es lange Gesichter. Jetzt ist er wieder Da, logt Die Hand
»u-f die Klinke. Die ganze Warlereihe ist Mftri.siert, Entschwindet

er wieder, Dann gibt es ei» grollendes Gemurmel. Aber tritt er
doch heraus, Dann gibt es ein Aufleuchten. Der Nächste geht
-hinein. Die Reihe rückt nach. Die Spannung legt sich für Mi-
nuten.
Am schlimmsten ist es vor Dem DireAoreuizimmer. Da sind
lauter bittere Gesichter und es sind Nele Fäuste geballt. Da wird
das Zu- und Absehen noch schärfer bewacht. Ein Kurzsichtiger
geht näher zur Tür, um Ute Nummer entziffern zu können, gleich
heißt es: „Hinten anstelle»! Das könnt Ihnen io Passen, wir war-
ten auch unsere Reih ab."
Die Sturmwelle Der Empörung schlägt über dem Armen zu-
sammen. Seine Verteidigung ertrinkt in Der Wut Der Entrüstung.
Eilt etwas weniger Milder klärt ihm auf und nun stellt er sich
ruhig hinten an. Da triumphiere» Die -andern: „Da: Hütt sich kei-
ner gemeldet, hält er sich vorgedrängt."
Jetzt kommen energische Schritte heran. Ein Herr, -ein wenig
besser gekleidet, schreitet -unbekümmert Der fragende» Blicke gerade-
wegs zur Tür und will Direkt hinöi-w. Jetzt springen aber Die
ersten vor. -
„Aber erlaube,« Sie uM", wehrt der Fremde sanftmütig.
„Nix erlauben! Es geht Der Rech mach- Mr warten auch "
„Aber ich bi« Beamter Des Wohnungsamts." Der Platz wird
frei. Er geht hinein.
Manche lächeln-, Msle Mer ringelt Mit 'ihrer Aufregung.
„Ich will mal sehen, ob Das Si n GUd Nimmt", platzt einer da-
zwischen. „Heut kriegt er Die Pistol Mf Die Brust gesetzt. Ich
muß e Wohnung haben. Zwei Jahr wohne wir möbliert und das
zivSite Kind ist unterwegs."
„Wir sind vierzehn Köpp in drei Zimmer", säugt ein anderer
an. „Fragt nicht, wie wir Hausen. Unsere zwei Kleine, die in der
Lehr sind, schlafen beim Vater und die Mutter. Meine Frau und
ich mit unser» drei Kindern, wir haben die Stub nebe dran, «nein«
Schwester mit ihrem Man« und zwei Kinder haben Die drift Stus,
und unser Großer, der schläft im Der Mich, Da wird nachts ein Bett
aufgesteM."
Allgemeines Bedauern. Erneute EMpövlMg. Jetzt will jeder
den Born seiner Beschwerde» öffnen.
„Ich hab ein Kind vo« acht Monat und Met Schivisger-nutter
ist ne Hexe. Die macht mir mein Mann ganz durcheinander. Zwei
Jahr-häb ich es-jetzt .«WSgehgltm. Jetzt krieg ich e Wohnung
»der ich geb mit rnei'm Kind ins Wasser."
„Ich möchi lei» Direktor vvm Ws-ÄMKÄgmi sein-, meim eii-r
truftigere Männerstimme. „Er kriegt ja auch von mir den Kops

gewasche. Ich hab mir vor ue Wohnung gesorgt und darf mich!
rein. Aber in seiner Haut möcht ich nicht stecken."
„Die sollm nur »ich so vielte Schiebung machen."
„Wer -macht Schiebung?" Das war eine Summe, die de»
ganzen Raum beherrschte. Aber eine ganze Mauer stemmte sich
gleich Dagegen. Aber mutig fuhr sie fort zu dem Vorredner ge-
wendet: „Sagen Sie uns doch mal, wie Sie sich für eine Woh-
nung gesorgt haben, Daun machen wirs nach und es gibt keine
Wohnungsnot mehr "
Da aber graulte sich der also Gefragte verlegen hinter»« Obr.
„Ra, unter uns gesagt, so ganz sauber is es ja »ich zugegauge.
Aber: NN kennt halt kein Gebot. Sie is frei und Damit basta "
„ Also so ist Die Sache. Aber wenn es nun alle so mache»
wollte», ohne daß es ein Mensch erfährt, Daun stellt man sich hin
und schreit vor dem Wohnungsamt Schiebung?"
Kaum bezähmende Empörung. „Des is wohl so einer wie die
da drill?"
Aber Der eine fürchtet sich nicht. „Ich bin UatlMellvater mit
sechs Kindern üud habe ein Zimmer und Küche. Da bin ich wohl
würdig, als Leidensgenosse aufzutreten. Aber als Mensch bin ich
Wohl einer wie Die Da Drin und sag mir, w«s soll ich mir und ihnen
die Lage noch trostloser machen, als sie es schon ist."
Die wilden Augen schauen etwas friedlicher drein.
„Oder meiner« Sie, Datz Die Mdrm schuld sind, Daß vierWu-
scnd Wohnungen einfach nicht Da sind?" Un-bshagliches Gemur-
mel. Der Sprecher wächst über Die andern h-inaus.
„Aber wenn Sie Mir Die herbeiholen, die um ihrer MachtgelüstS
willen uns Das Volk in solch Elend gebracht haben und noch beute
bringen, wenn Sie mir Die Urheber Dieser Unglücksschieb ung Her-
beischatt-eu, dann so« eine Abrechnung sein, Datz die Bal-kerr
krachen."
Da geht es Durch die Reihen Der Bedrückten wie ein Auf-
leuchten, das befreiend wirft, und viele sctiauen in sich.
Der Direktor und seine Beamte» stellen am Schluffe Dieses
Tages einstimmig fest, so nett, so gesittet wie heut, habe es sich
mit Den Leuten noch nie reden lasse«.

Das problematische Wirtschaftsgeld.

Gewöhnlich höret!
Sorgen eines HanMa
Vemntagnng spotten,
DaS richtige MitgesNH

Die Männer von- dem Kuukm-er und DM
S -nur Durch ihre Frauen, und je nach Mer
östcn od. schimpfen sie nach Note»,
aber können sie m Der Regel — keilte foi-
 
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