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Volkszeitung: Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung des ganzen badischen Unterlandes (Bezirke Heidelberg bis Wertheim) (4) — 1922 (Mai bis August)

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Nr. 131 - Nr. 140 (8. Juni - 20. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.48723#0219
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Tageszeitung für die werktätige Bevölkerung der Amtsbezirke Heidelberg, Wiesloch, Sinsheim, Eppingen, Eberbnch, Mosbach, Buchen,

— Adelsheim, Boaberg, Tauberbischofsheim und Wertheim.
Bezugspreis: Monatlich einschl. Trägerlohn 26.— Mk., Anzeigenpreise:
Ae einspaltige Petitzeile (36 mw breit) 3.— Mk-, Reklame-Anzeigen
mm breit) 8.— Mk. Bei Wiederholungen Nachlaß nach Tarif.
Geheimmtttelanzeigen werden nicht ausgenommen.
Aeschäftsstunden: 8—V-6 Uhr. Sprechstunden derRedaktion: 11—12Uhr.
Postscheckkonto Karlsruhe Nr. 22 577. Tel.-Adr.: Volkszeitung Heidelberg.
Heidelberg, Samstag, 17. Juni 1922
Nr. 138 * 4. Jahrgang
Verantwort!.: Für innere u. äußere Politik, Volkswirtschaft ».Feuilleton:
Dr.E. Kraus; für Kommunales, soziale Rundschau und Lokales:
O.Geibel; für die Anzeigen A. Friedmann, sämtl. in Heidelberg.
Druck u. Verlag der Unterbadischen Verlagsanstalt G. m. b. H-, Heidelberg.
Geschäftsstelle: Schröderstratze 39.
Fernsprecher: Anzeigen-Annahms 2673, Redaktion 2618.

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^087.



Kämpfe, Krisen und Gefahren.
Das Großkapital gegen Getreideumlage und Zumngsanleihe. — Der Reichsrat mit 48
gegen 16 Stimmen für die Umlage. — Nationalistisch-teutschvölkische Wühlarbeit.

Zur Lage.
Kr. Heidelberg, den 17. Juni.
Als die Konferenz von Genua geschlossen vzw. abgebrochen
Kurve, war es nicht möglich, über das dort Begonnene und Ge-
leistete ein völlig abschliessendes Urteil zu fällen» da Genua in
zivet weiteren Konferenzen eine Fortsetzung erfahren sollte: in
Parts und im Haag. In Parts sollte das Reparations-
Vwblem, das auf Betreiben Frankreichs in Genua offiziell nicht
diskutiert wurde, ein Stück vorwärts gebracht werden, im Haag
das Rußlandproblem. Nun haben fa in Paris die Verhandlungen
des deutschen Reichsfinanzministers mit der Reparationskommisston
ru einer gewissen deutsch-französischen Verständigung geführt, deren
Kernpunkte die Umwandlung des Provisoriums von Cannes in
ein Definitivum für 1922 und die Zusage der deutschen Regierung,
die schwebende Schuld aus den Stand vom 31. März d. I. in Höhe
. von 242 Milliarden zu stabilisieren bildeten. Aber Voraussetzung
dieser Vereinbarungen und Zusagen war das möglichst baldige
Zustandekommen der Auswärtigen Anleihe, zu deren
Studium und Vorbereitung das sog. Morgankomitee von der
Reparationskommisston nach Paris berufen wurde. Durch das
praktisch zunächst völlig negative Ergebnis der Beratungen dieses
Anleihekomitees sind nun auch jene Vereinbarungen und Zusagen
seitens der deutschen Regierung stark in Frage gestellt worden.
Angesichts der neuen Devtsenhausse und die neuerliche Entwertung
der deutschen Mark ist es völlig unbegreiflich, mit welchen Mitteln
die deutsche Regierung eine weitere Inflation und damit das
Weitere Wachsen der schwebenden Schuld verhindern will. Aller-
dings ist es nach einigen neueren Meldungen, die auch von einer
gewissen Schwenkung in der französischen Politik berichten, nicht
ausgeschlossen, dass doch in nächster Zeit irgendeine Reparations-
anleihe zustande kommt. Aber sei dem auch wie dem wolle, wir
werden gut daran tun, uns in unserer Finanzpolitik so einzu-
dichten, als ob wir für dieses Jahr unser Budget balanzieren und
die 2,2 Milliarden Goldmark Reparation aus eigener Kraft auf-
bringen müssten. Je mehr wir, wenn auch unter schwersten Opfern
aus eigener Kraft aufbringen können, umso besser, denn jede An-
lcihe bedeutet nicht nur eine weitere Schuld, die wieder verzinst
und getilgt sein will, sondern gleichzeitig einen Schritt weiter in
die Abhängigkeit vom fremden Finanzkapital. Nnd gerade wir
Sozialisten haben das allergrösste Interesse daran, dafür zu sorgen,
dass wir möglichst eigener Herr im Hause unserer Wirtschaft blei-
ben, denn eine Zinssklaveret im Dienste der amerikanischen Hoch-
finanz bedeutet keineswegs eine Erleichterung für unsere Arbeit
an der gemeinwirtschaftlichen Umgestaltung der heutigen privat-
kapitalistischen Profitwirtschaft. Und es mutz immer wieder gesagt
werden: wir hätten zweifellos schon längst einen größeren Teil
unserer Reparationsschuld abtragen und damit -unsere wirtschaft-
lich-soziale Last wesentlich erleichtern können, wenn unser deutsches
Großkapital nicht die Volksgemeinschaft, das Reich so schmählich
tm Stich gelassen hätte und nicht so ganz einseitig nur privatwirt-
kchaftlich eingestellt wäre. Gerade die neuesten Zahlen über die
Sleuereingänge des Jahres 1921 liefern dafür wieder einen deut-
lichen Beweis: die Einkommen st euer und Umsatzsteuer,
die doch in erster Linie von den besitzlosen Festbesoldeten, Beamten
und Angestellten geleistet werden, haben mit ihren Erträgen das
im Voranschlag eingestellte Soll wesentlich überschritten, die Er-
wäge -er Kapitalertragssteuer, des Reichsnotopfers und der Ver-
mögenszuwachssteuer sind dagegen weit hinter dem Soll zurück-
keblieben, darunter die erstgenannte über 50 Prozent.
Solche Zahlen und Vergleiche zeigen immer wieder, daß es
doch die arbeitenden Massen des Volkes, die besitzlosen Proletarier
sind, welche bis heute die ganze oder doch mindestens den größten
Teil der Reparationslast zu tragen haben. Es mutz daher ein
Hauptziel unserer sozialdemokratischen Politik sein, mit allen
Mitteln zu verhindern, daß noch weitere Reparationslasten auf
bis Schultern der arbeitenden Klasse gelegt werden. Eine solch
ueue völlig ungerechtfertigte Last sehen wir in der nicht nur vom
Kapital propagierten, sondern leider auch da und dort in unserer
Partei spukenden Idee, daß schließlich nur eine Verlängerung der
Arbeitszeit in irgend einer Form uns aus der Reparationsschul-
denknechtschaft herausbringen kann. Ganz abgesehen von der prin-
zipiellen sozial- und kulturpolitischen Bedeutung, welche der Acht-
stundentag für uns hat, müssen wir diese Idee aus ganz einfachen
wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus ab lehnen. Wir
zweifeln keinen Augenblick an dem ernsten Willen des deutschen,
des sozialistischen Arbeiters, alles, was an ihm liegt, zum
Wiederaufbau beizutragen. Aper mit Recht frägt er sich: Warum
Wll gerade ich durch Mehrarbeit diese Rettungsarbeit leisten, so-
lange ich sehe, wie sich die Besitzenden um ihre Steuern Herum-
drücken, wie sie unerhörte Valutagewinne machen, ohne dem Reich
ktnen entsprechenden Teil für die Reparation zur Verfügung zu
stellen, wie sie ihre Kapitalien ins Ausland flüchten, in Form von
Heiligungen, Gründung von Tochter- und Treuhandgesellschasten,
«lles zu dem Zweck, um dem Eingriff des Steuerfiskus zu ent-
gehen. Der Arbeiter, der schon bisher am schwersten unter Geld-
mwertung, Teuerung und Steuern zu leiden hatte, lehnt es ab,
uch noch die Last einer verlängerten Arbeitszeit zu tragen, solange

er nicht wesentlich Garantien dafür hat, dass seine Mehrarbeit nicht
lediglich vermehrte Profitmöglichkeite» für die Sachwertbesitzer be-
deutet.
Die innerpolitische Lage ist zur Zeit mit Explosivstoffen unge-
mein geladen, es ist Möglich, daß die nächsten Lage und Wochen
allerhand Ueberraschungen, Krisen und Zusammenstöße bringen.
Das Attentat gegen Scheidemann, die Hindenburgparade in Kö-
nigsberg, die fortwährenden Demonstrationen und Rüpeleien der
Teutschvölkischen in München, die soeben zu einer wüsten srankreich-
feindlichen Szene vor dem Münchener Sitz der Interalliierten
Kommission geführt haben, die täglich sich mehrenden Nachrichten
von großen reaktionär-monarchistischen Kundgebungen gegen den
Versailler Vertrag am 28. Juni zeigen, daß diese Kreise eifrig am
Werke sind, um der Republik das Leben wieder einmal ordentlich
sauer werden zu lassen. Dazu kommt der demagogische Kampf des
Großkapitals gegen die Getreideumlage und die Zwangsanleihe.
Der Vorstand des Reichslandbundes hat soeben nochmals in einer
Entschließung die Umlage in jeder Form abgelehnt ünd die Reichs-
regierung vor dem Versuch ihrer Durchführung gewarnt. „Ver-
suche einer zwangsweisen Durchführung werden eine ungeheure
Erbitterung in der Landwirtschaft auslösen und die Sicher-
stellung der Volksernährung auf das schwerste gefährden." Mit
anderen Worten: Das agrarische Großkapital tritt für den unein-
geschränkten Brotwucher ein und droht mit der Aushungerung bzw.
dem Lteferungsstretk, falls es daran gehindert werden sollte. Daß
dieses Verlangen des Landvundes sachlich tn keiner Weise gerecht-
fertigt ist, haben die Zahlen gezeigt, die wir vor vierzehn Tagen
in unserer „Wirtschaftspolitischen Rundschau" aus einem Artikel
des Oldenburger Ministerpräsidenten und Praktischen Landwirts
Lantz en wiedergegeben haben, der zu dem Ergebnis kam, daß
die Differenz zwischen Weltmarktpreis und Produktionspreis für
2^ Millionen Tonnen Getreide nicht verhindert, daß in die Hand
der Landwirte durch die frei zum Verkauf gebrachte Menge der
erzeugten Güter eine so große Einnahme gelangt, dass damit alle
Kosten Mr die künftige Produktion gedeckt werden können. Aber
um die Sache gehts ja gar nicht, nur um den Prosit. Die Welt-
markt- und Valutakonjunktur ausnützen: das ist das einzige Stre-
ben dieser Herrschaften. Eben trifft die Meldung ein, daß der
Reichsrat gestern in später Abendstunde mit 49 gegen 16 Stim-
men die Beibehaltung der Getreideumlage für 1922/23 beschlossen
hat. Das bedeutet natürlich noch nicht die Annahme durch den
Reichstag, über dessen Haltung noch alles ungewiß ist.
Eine wettere schwere Krisengefahr birgt der Kampf des Indu-
strie- und Bankkapitals gegendieZwangsanleihe, der sich
aufs neue zu einem Kampf um und gegen die Reparations- und
Erfüllnngspolitlk der Regierung zuzuspitzen scheint. Im Laufe der
nächsten Wochen wird sich ja der Reichstag über die Pariser Ver-
handlungen mit der Reparationskommission, das Scheitern der
äußeren Anleihe und die Konsequenzen für die deutsche Finanz-
politik aussprechen müssen. Der Reichskanzler ist eifrig bemüht,
enge Fühlung mit den Koalitionsparteien herzustellen, trotzdem
sind Ueberraschungen nicht ausgeschlossen, zumal man ja weiß, daß
das Kabinett selbst sich nicht völlig einig ist.

Nationalisten nnd Kriegsschuld.
Sozialdemokratische Gegenlundgebungen.
Der Parteiausschutz der Sozialdemokratischen Partei, der am
Donnerstag tagte, hat einstimmig folgende Entschließung ange-
nommen:
Der Ratkonalverband deutscher Offiziere und
die nationalistischen Verbände ehemaliger Sol-
daten beabsichtige«, wie verlautet, am 28. Juni, als dem Tage
der Unterzeichnung des Versailler Vertrags, zur Bekämpfung der
Behauptung der Alleinschuld Deutschlands im Reiche Demonstra-
tionsversammlnngen abzuhalten. Veranstaltungen von dieser Seite
sind bisher immer zu militaristisch-monarchistischen
Kundgebungen ausgeartet. Am 28. Juni würden sie nach aller Er-
fahrung zu einer wüste« Hetze gegen die Republik ausge-
nützt werden. Der Parteiausschutz empfiehlt daher den Partei-
organisationen auf der Wacht zu sein und überall dort Versamm-
lungen cinzuverufe«, wo Anhänger des alten Systems unter dem
Deckmantel von Kundgebungen zur Schuldfrage eine solche das
deutsche Volk schwer schädigende Politik zu treiben versuchen.
*
Wir haben stets den Vorwurf der Alleinschuld Deutschlands am
Kriege zurückgewiesen, gleichzeitig aber der Ueberzeugung Aus-
druck gegeben, daß das altekaiserliche Regime schwere
Mitschuld am Ausbruch des Krieges und noch größere Schuld an
der Niederlage und am Zusammenbruch trägt. Und gerade den
Versuchen gegenüber, die jetzt gemacht werden, um den Mün-
chenerEisner-Fechenvachpro.zeßim Sinne der völligen
Unschuld Deutschlands propagandistisch auszunützen, mutz betont
werden, daß der echte Schönsche Bericht in Verbindung mit
den erwähnten deutschen Dokumenten zum Kriegsausbruch und
-en nach dem Kriege veröffentlichten österreichischen Urkunden die

Wahrheit feststellt, dass nach dem Attentat von Serajewo Oesterreich
tm Einverständnis mit Deutschland beschloss, Serbien kriegerisch
niederzuwerfen, daß Oesterreich mit Billigung Deutsch-
lands das bekannte Ultimatum an Serbien richtete, mit dem
Deutschland wohlbekannten Willen, dass es nicht angenommen wer-
den solle, so dass der Krieg mit Serbien sicher eintreten werde.
Oesterreich und Deutschland taten diesen Schritt, obwohl Deutsch-
land besonders von englischer Seite vor einem solche» Schritt ge-
warnt war. Sie taten ihn, obwohl sie wußten, daß Serbien mit
Rutzland, Frankreich mit Rußland und England mit beiden vcr-
vündet war. Und sie unterließen den Schritt nicht, obwohl jeder
ruhig und klar blickende Staatsmann wissen mutzte, daß es zwischen
Oesterreich und Serbien tatsächlich nicht nur österreichische un-
serbische Interessen gab, sondern daß in dem Verhältnis zwischen
Oesterreich und Serbien, wie aus dem ganzen Balkan, Welt-
interessen verflochten waren. Deutschland wollte den Welt-
krieg, der aus dieser Verflechtung entstand, nicht. Es hat auch
nicht planmäßig auf einen Weltkrieg hingearbeitet. Aber es hat,
befangen in militaristischer Denkrichtung, die gewiss nicht auf
Deutschland beschränkt war, und ohne Gefühl für die tatsächliche«
Weltkriifte und Weltgefühle den Stein, der vielleicht an einem Ab-
hänge schon hing, ins Rollen gebracht.
Daraus ergibt sich vor allem die Schuld der damaligen deut-
schen Machthaber dem deutschen Volke gegenüber. Für diese Schul-
war jene verhängnisvolle, leichtfertige Unterstützung Oesterreichs
nur das letzte Ergebnis einer ziellos dahinsteuernden, keiner wirk-
lichen Kontrolle unterworfenen Politik. Die angeblich über den
Parteien stehende autorative Staatsregierung hatte nicht die Kraft,
weder gegen das Finanzkapital der Bagdad-Bahn, noch gegen das
schwerindustrielle Kapital der Flotteninteressenten sich zu entscheiden.
Sie zuckte, wie dann tm Kriege, vor der letzten Verantwortlichkeit
zurück. Die Monarchie, die angeblich die Verkörperung eines ein-
heitlichen Willens war, war in Wirklichkeit ein Spielball sich gegen-
seitig befehdender Einzelkräfte. Daß der Krieg so verloren ging,
wie er verloren wurde, liefert den letzten tragischen Beweis für
diese Anarchie der Gewalten, der wir zum Opfer fielen.
Die Getreidenmlags vom Reichsrat beschlösse n
Berlin, 17. Juni. Der Reichsrat hielt am Freitagin
später Abendstunde eine öffentliche Sitzung ab, die vom Reichs
Minister für Landwirtschaft und Ernährung Dr. Fehr geleitet
wurde. In der Hauptsache galt diese Sitzung der Verabschiedung
des Gesetzentwurfes über die Regelung des Verkehrs mit Getreide
aus der Ernte 1922. Die Ausschüsse des Reichsrates haben lange
und eingehend über die Vorlage beraten und sich schließlich, wie der
Berichterstatter Ministerialrat Freiherr von Jmmhof hervorhob
auf den Boden der Reichsregierungsvorlage gestellt. Die Vorlage
verlangt wieder wie im Vorjahre eine Umlage von 2^ Mill.
Tonnen. In der Vollsitzung ist der Reichsrat mit grosser
Mehrheit den Beschlüssen seiner Ausschüsse betgetreten. Er
stellt sich auf den Standpunkt der Regierung, dass unter den gegen
wärtigen Verhältnissen die Brotversorgung allein gesichert ist auf
dem Wege der Umlage. Das Ziel, die Bevölkerung in genügende»
Mengen mit Brot zu versorgen ohne zeitliche und örtliche Stockung
zu einem stabile» mW erträglichen Preise sei nur aus dem Wege der
Umlage zu erreichen. Der Gesetzentwurf hat natürlich gegenüber
dem vorjährigen Gesetze wesentliche Aenderuugen erfah-
ren, in dem auf Grund der vorjährigen Erfahrungen manche Här-
ten ausgeglichen wurden und tn manchen Punkten der Landwirt-
schaft Entgegenkommen gezeigt wurde. So ist vor allem vorgesehen,
dass die Länder bei Festsetzung des Lieferungssolles auch die sonsti-
gen landwirtschaftlichen Nutzflächen eir,beziehen können, wobei
bis zu 5 Hektar frei bleiben sollen. Der Kreis de»
vrrsorgungsberechtigten Bevölkerung ist durch Ausschluss der ver-
mögenden Bevölkerungsteile beschränkt worden. Des weiteren
wurde vor allem in den Richtlinien der Ober- und Unterverteilung
der Umlage Gesichtspunkte angenommen, die eine gerechtere
Verteilung sichern sollen. Auch ist die Zuziehung von Vertre-
tern der Landwirtschaft und Verbrauchern bei der Verteilung vor-
gesehen. Eine grössere Erleichterung des Umlageberfahrens ist
durch örtliche Auflegung von Listen vorgesehen, die von der end-
gültigen Festsetzung des Liescrungssolls das in Aussicht genom-
mene Lieferungssoll angeben. — Ein Antrag Bayerns, der Land-
wirtschaft noch eine Brücke zur freiwilligen Lieferung zu schlagen,
fand: wie bereits in den Ausschüssen aus praktischen Bollzngsgrün-
den, keine Mehrheit. Angenommen wurde folgende von den Aus-
schüssen vorgeschlagene Resolution:
„Die Reichsregierung wird ersucht, zu prüfen, ob nicht der
Preis für das Umlagegetreide in der Weife festgesetzt
werde» kann, dass der Preis für die erste Hälfte nicht weniger als
X -es durchschnittlichen Marktpreises in der Zeit vom 1. April
bis 30. Juni 1922, für die zweite Hälfte nicht niedriger als
des durchschnittliche» Marktpreises in der Zeit vom 1. Oktober
bis 31. Dezember IW ist. Aus den Bestimmungen der Vorlage
ist noch zu erwähnen, dass Hafer in einer Höhenanlage über 400.
Meter künftig voll angerechnet werden sott."
Die Abstimmung in der Vollsitzung ergab 49 Stimmen für
die Vorlage und 16 gegen die Vorlage. Mit „Ja"
stimmten: Das preussische Staatsministerium, der Vertreter der
 
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