Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

DOI Artikel:
Schliepmann, Hans: Kunst und Wirtschaft, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0449

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 32.

Die Werkstatt der Kunst.

auch von Stadtbauverwaltungen ziemlich merkwürdige
Histörchen erzählen. Hier verschreibt sich ein Baurat bei
jeder ihm vorgelegten Zeichnung seiner Hilfsarbeiter, indem
er, statt: „unterzeichnet", harmlos „gezeichnet von X."
schreibt; dort legt ein anderer dem Sieger in einem engeren
Wettbewerb nah, für den Fall der Ausführung seines Ent-
wurfes feinen Namen zurückzuhalten. Aber diese Herren
von Firmen und Verwaltungen sind doch mindestens Fach-
leute und haben wohl auch selbst einmal einiges geleistet.
Daß ein Drahtputzunternehmer mit dem Ruhm, die aller-
beste Gesellschaft um seinen lukullischen Tisch zu haben,
auch noch den des Theatererfinders verbinden kann, zeigt
deutlich, wie die Entwickelung vorschreitet.
Und Kunst und Künstler: wie stellt sich deren Zukunft
dabei? Es ist nötig, dieser Zukunft einmal ins Auge
zu sehen.
„Die Welt ist weggegeben"; nicht an den Künstler.
Das wußte schon Schiller. Sein heldischer Idealismus
fand sich damit ab. Gb er das Naturnotwendige diesem
Tatsache durchschaute? Er scheint den Grund auf die Ver-
träumtheit des Künstlers zu schieben, auf seine Weltver-
gessenheit. Und gewiß ist: der Künstler paßt nicht in die
Welt. Nehmen wir die Sache selbst weniger idealistisch,
so bleibt, bis auf ganz wenige Ausnahmen, dem Künstler
ein Mangel an „Weltläufigkeit". Und der scheint nahezu
naturnotwendig. Ganz selten sind die universalen Naturen,
die, wie etwa Rubens, nicht nur in ihrer Kunst Unerhörtes
zu schaffen vermögen, sondern auch noch für alle übrigen
Gebiete des Lebens ein offenes Auge, ja, eine praktisch
zupackende Faust haben. Und gerade die Bahnbrecher, die
um ein Neues ringen: sie müssen sich in dem einen Feuer
verzehren, das ihre Seele ganz erfüllt, Träger und Mxfer
zugleich einer erst die Zukunft erleuchtenden Flamme.
Denn der Haushalt der Natur ist sparsam; sie gestattet das
ungewöhnliche Emxorwachsen einer einzigen Fähigkeit nur
auf Kosten der Entwickelung anderer Gaben. Sie läßt das
Genie das „große Kind" bleiben, das der pfiffige Dreischritt-
denker hohnvoll als „dumm" erkennt und sür seinen Profit
einzufangen weiß, wer ahnt denn, wie unermeßliche Kräfte
das Ringen um eine geistige Geburt verbraucht? Dies
Gebären erfordert genau so den ganzen Menschen wie die
Entbindung eines Kindes vom Schoß der Mutter. Aber
das „Kind" des Künstlers erwarten nicht sorgende und
liebende Hände; selten nur wird es mit Andacht und Freude
ausgenommen; meist wird es gleichmütig von einem zum
anderen gegeben; kalte Augen prüfen, was sie wohl für
sich daraus machen können; was es schon jetzt ist, sein
könnte: Das ersehen sie nicht, erfragen sie noch viel weniger.
Und hier liegt das tiefere Verhängnis. Immerhin ließe
sich noch denken, daß der Künstler gegen die Schädigungen
geschützt werden könnte, die aus seinem Mangel an Welt-
läufigkeit entstehen; ja, man könnte sich damit trösten, daß
die Schaffensfreude dem Weltfremden für Enttäuschung
und Entbehrung Ersatz bietet: das für die Kunst selbst
Verhängnisvollste liegt darin, daß das große, das wirklich
neue Kunstwerk bei seiner Geburt unerkannt bleibt, bleiben
muß, weil es einen weiten Schritt in die der Menge ewig
unverständliche Zukunft hinein bedeutet. Man macht sich
nicht genug klar, daß es so sein und bleiben muß, daß
deshalb also auch die große Kunst keinen Markt hat und haben
kann. In unserem nur auf das praktische zugeschnittenen
Wirtschaftsleben wird nur bewertet, was als brauchbar an-
erkannt wird, was viele oder was Mächtige zu haben
wünschen. Es ist keine verwunderliche barocke Laune des
Schicksals oder ein sonderliches Zeichen von der Zeiten Ver-
derbnis, daß ein Possenfabrikant Millionen verdient und
ein ernster Dichter darbt, sondern die alltägliche Wieder-
holung der wirtschaftlichen Grunderfahrung, daß Angebot
und Nachfrage die Wertbildung bestimmen. Schreibe, male,
schaffe überhaubt etwas, das verlangt wird, so wirst du
gedeihen; biete an, was niemand zu schätzen weiß, so bleibst
du der Welt ein Narr. Das wird, so lange in unserer
gesegneten Wirtschaftsordnung" einer vom anderen lebt
und leben muß, immer so bleiben.


Der neue werte schaffende Künstler aber ist ja gerade
der Erzeuger von Dingen, die niemand sogleich gebrauchen
kann, denn er ist seinerzeit ein Lustrum, ein Jahrzehnt,
vielleicht ein Jahrhundert voraus; er schafft, was erst in
fünf, zehn und mehr Jahren nach seinem wert erkannt
werden kann. Erlebt er noch diese Zeit: gut, so ist er
„durch"; siehe Richard Wagner. Sonst ist er auf den Zu-
fall angewiesen, daß ein Heller Kopf den Aukunstwert ahnt
und daraufhin mit dem Pfunde des Künstlers spekuliert.
Die richtige Witterung in Kunstdingen ist aber so viel
seltener als die etwa in Terrainspekulationen, daß man
dort fast auch schon wieder von Genialität, Kongenialität
sprechen kann. Mit der ist aber doch ebensowenig wie
mit dein blanken Zufallsglück zu rechnen. Ls bleibt also
dabei, daß die Kunst innerhalb der Wirtschaftsentwickelung
keine Stellung hat, so lange wir nicht etwa ein Volk von
Genies oder doch Aestheten geworden sind.
Hierin ist vom Standpunkte der menschlichen Ver-
gesellschaftung aus noch nicht einmal eine besondere Härte
gegen den Künstler zu erblicken. Denn es ist nicht zu ver-
kennen: er ist doch auch der einzige innerhalb der Gesellschaft,
der nicht etwa tut, was er muß, um sein Leben zu fristen,
sondern nur tut, was er will. Er löst sich von dem Zwange
des Arbeitens für solche, von denen er wieder empfangen
könnte, und folgt, zur neidvollen Entrüstung aller pflicht-
getreuen Kärrner, lediglich seinem Wunsch zum Gestalten.
Tausend andere fühlen denselben Trieb zu freier Betätigung,
unterdrücken ihn aber unter dem Zwang der Lebensnot;
der Künstler bricht diese Kette in der erhabenen Selbstsucht
des Genies und fordert aus dem Bewußtsein seiner Wert-
schöpfung, daß die Welt ihn erhalte. Hier liegt, nebenbei
bemerkt, eine der Wurzeln, aus denen das Pumpgenie bei
so vielen Künstlern hervorwächst. Sie können eine Wirt-
schaftsordnung nicht verstehen oder gar noch achten, die
Künstlerwert nicht zu schätzen weiß. Je verächtlicher der
eigenen Schätzung solche Wirtschaftsordnung ist, desto näher
liegt der Glaube, daß jede Selbsthilfe gegen eine „Ver-
schwörung aller Niederträchten der Mittelmäßigkeiten" nur
ganz gerecht sei. wozu dann als zweite Wurzel das
sanguinische Selbstvertrauen in die Zukunft kommt.
Vom Standpunkte höheren Humors darf man übrigens
hierin die halb bewußte Korrektur einer Wirtschaftsordnung
sehen, in der der Künstler keinen Platz hat. Eine weitere
unbewußte Korrektur liefert dann die Hartnäckigkeit, womit
das Genie seinem Ziel zustrebt; sogar noch bei der Abart
und der Karikatur, dem eingebildeten, „verkannten" Genie,
ist sie durch Mißerfolge kaum zu lähmen. Die Mittelmäßig-
keit aber wird in ihrem Herdengefühl immer wieder fragen:
„wie kommen wir dazu, den Künstler zu erhalten, der nur
schafft, was er will, nicht, was wir wollen? Uns scheint
sein Werk Unsinn, wer beweist uns, daß es mehr ist?
Mag er zusehen, wie er mit seinem dicken Kopf durchkommt.
Wir haben schon Hunderte solcher Eingebildeten als Narren
feststellen müssen!" Daran ist etwas wahr: der Mittel-
mäßigkeit fehlt jede Möglichkeit, das zeitgenössische Genie
vom Blender oder vom Aberwitzigen zu unterscheiden. Es
könnte also sogar eine wirtschaftliche Gefahr werden, wenn
alle Unterhalt begehrten, die Zukunstwerte zu schaffen be-
haupten. Denn wer trifft die Auslese? Und wer erkennt
weiterhin dann die Auslese an? Es bleibt schon dabei:
in einer Leistungen berechnenden Zeit ist der Dornenweg
des Genies innere Notwendigkeit. Und dieser weg wird
immer dornenvoller, je enger sich die Menschen zusammen-
drängen und je mehr sie daher das Gegeneinanderaufrechnen
als die heiligste Handlung betrachten lernen. Der harte
Römer sagte noch: Oo ut cles; er fing bei sich an. Immer
mehr heißt es jetzt: Gib; ich will sehen, ob ich dir dann
auch etwas geben kann!
Man mag nun den Leidensgang des Genies vielleicht
noch sür die Auslese nützlich erklären; unverkennbar aber
muß die Verschärfung des allgemeinen wirtschaftlichen
Kampfes sür die Kunst selbst höchst schädlich sein, wie
viele Begabteste der Not erlegen sind: wer will es sagen?
wer dürste behaupten, daß in jedes Leben ein Glückszufall
 
Annotationen