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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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D.W.D.K.: Der Ruf nach dem Gendarm
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https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0529

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Die Werkstatt der Kunst

sseäakleur: fritz HsUnag.

VI. Jakrg. I)ekt 38. -ik 1^. ^suni 190^.

In ctiss ein r^eiie unserer LeirsckrM erteilen wir jeclern llünstler clas kreis Mort. Mir sorgen äakür, ciass keinerlei
Angriffe auk Personen ocler GenossensckLkten Lbgeclruckt rverclen, okne ciass vorder cler Tlngegrikkens clie MögiiÄikeit gsksbt
KLtte, in clernselben l^ekte zu errviclern. Vie keclaktion kält sick vollstänclig unparteiisck uncl gibt clurck clen Tlbcirllck keineswegs
— eine Nebereinstirnrnung rnit äen aus clisse Meise vorgetrsgenen Meinungen zu erkennen. - -- -

Der Kuk nacb dem Gendarm.

Der Einbruch der Dunkelmänner in das Gebiet
der Kunst und ihre lex Heinze sind noch in aller
Erinnerung- ebenso der gewaltige Entrüstungssturm,
der sich damals im ganzen Deutschen Reiche erhob,
weil man die Kunst mit der Prostitution und Zu-
hälterei in einem Gesetz behandeln wollte. Unver-
gessen sind auch die Blamagen des Mainzer Dom-
kapitels, das noch vor einem Zahr z. B. Michelangelos
Tag und Nacht, den Borghesischen Fechter, die
Venus von Milo als „sogenannte Kunstprodukte",
als „skandalös und unanständig" bezeichnete.
Es hat sich gezeigt, daß sich die Künstler und
ihre wahren Freunde nicht dreinreden lassen und
jeden Uebergrisf der Bosheit und des Unverstandes
energisch zurückweisen. Damals fand ihre Bache
auch im Parlament kräftige Unterstützung, besonders
durch die Abgeordneten Or. Müller-Meiningen und
von Vollmar. Seither hat sich im Reichstage das
Uebergewicht mehr nach der feudalen und kunstunver-
ständigeren Beite verschoben. Mir sind aber trotz-
dem fest überzeugt, daß auch von dieser Beite ähn-
liche Versuche der Bittlichkeitsapostel zum Mißlingen
gebracht werden würden.
Merkwürdig still ist es in den Kreisen der
Tugendwächter geworden! Geradezu unheimlich. Mir
haben unseren Augen nicht getraut, als wir lasen,
daß ein Pfarrer (Hans Megener-Mörs) auf dem
„ (8. Evangelisch-sozialen Kongreß in Btraßburg am
23. Mai" verkündet habe: auch auf der Beite der
„„Bekämpfer"" sei jetzt eine Mendung zur positiven
Arbeit gemacht; sogar die Herren lüc. Bohn und
lüc. Meber erwarten die „Besserung" nicht in dem
Maße von „Prohibitiv"-Maßregeln gegen die Symp-
tome als von der Erweckung „positiver Zdeale".
Derselbe Pfarrer konstatierte auch, daß es, was das
„Grenzgebiet (?) von Kunst und Rnsittlichkeit" anlange,
zwischen den Künstlern ein Einverständnis gäbe,
was anständig sei und was nicht. — Rnd auf
der 28. Starkenburger Buperintendentur-Konferenz
wetterte ein anderer Pfarrer (Fischer-Goddelau) gegen
Gymnasium und theologische Fakultät, die sich schwer
an den künftigen Theologen versündigten, weil sie sie
nicht auf das lebendige Studium der Kunst hinwiesen;
da sich den Geistlichen das Problem des Verhältnisses
von Religion zur Kunst geradezu aufdränge, so müßten
ste steh in das Gebiet der Kunst einleben, um sich aus
eigener Anschauung und nicht nur nach suggerierten
Kunfturteilen eine Meinung bilden zu können.

Klingen diese letzten Morte auch echt, so können
wir doch nicht umhin, zu bekennen, daß wir die
Kunde von der Sinnesänderung unserer Freunde
Bohn und Weber nur mit äußerster Skepsis ver-
nommen haben. Mir müssen an die Fabel vom
Mols im Schafskleide denken! ()ui6guicl ick est,
tirneo Ounuos.
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-i-
Ls wäre ja sehr schön, wenn die Künstler sich
vor solcher Beunruhigung sicher fühlen könnten.
Erst dann würden sie selbst die Grenzen der Kunst
revidieren und alles von sich weisen, was ohne jede
Berechtigung unter künstlerischer Flagge mitsegelt.
Mir meinen damit die überhandnehmende Produktion
der Aktphotographien für Künstler, die von
allen möglichen Leuten gekauft werden, nur nicht
von Künstlern! — (Die, in den Anzeigen solcher
absolut wertlosen und nur schmutzig-sinnlichen
Aktphotographien meist angewandte, Lockmarke „Nur
für Künstler!" übt auf das Publikum ungefähr
dieselbe Wirkung aus wie das Kabinett „Nur für
Herren!" im Panoptikum oder der „Herrenabend"
in der Kinematographen - Schaubude.) — Mir
bedanken uns für diese „Reservatrechte" und
können dem „Münchener Männerverein zur Be-
kämpfung der öffentlichen Rnsittlichkeit" beipflichten,
wenn er folgendes ausführt:
„Zu den bedenklichsten Ausgeburten eines spekula-
tiven Bexnalismus gehören die sogenannten Aktphoto-
graphien, welche heute von jedermann, der über ein
gefälliges Modell und einen photographischen Apparat ver-
fügt, in beliebiger Zahl hergestellt werden können. Ls ist
in München so weit gekommen, daß diese Aktphotos, welche
man früher nur iu gewissen Zeitungsinseraten, angeblich
,nur für Künstler', öffentlich ausschrieb, jetzt in den Aus-
lagen und Schaufenstern von sogenannten Buch-
handlungen, Gptiker- und selbst Zigarrenläden
öffentlich ausgestellt sind und von früh bis spät
Schaulustige bis zum unreifsten Alter anlocken. Mer Ge-
legenheit gehabt hat, die Bemerkungen anzuhören, welche
vor diesen nackten Photographien gang und gäbe sind, kann
über die verheerende Wirkung derartiger Schaustellungen
nicht im Zweifel sein. Diese Bilder wirken in einem Milieu
von massenhaften und aufdringlichen Zeitschriften, Bro-
schüren, Mappen, Albums, Büchern, welche neben der Dar-
stellung des nackten menschlichen Körpers dem Geschlechts-
leben und seinen Auswüchsen und Perversitäten gewidmet
sind, um so eindeutiger und verderblicher. Einzelne
Läden, welche in dem vom Verein gesammelten Material
näher gekennzeichnet sind, haben mit einem unverkennbaren
Raffinement Broschüren über Homoserualismus, Lesbische
Liebe, Sadismus, Prostitution, Freie Liebe usw. in der
 
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