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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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D.W.D.K.: Der Ruf nach dem Gendarm
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Lehnert, Georg: Entwurf einer Gebührenordnung für das Kunstgewerbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.52068#0530

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522

Die Werkstatt der Kunst.

Heft 38.

Auslage so plaziert, daß die leuchtenden Titel dieser Bro-
schüren mit den schamlosesten Aktphotographien und mit
minderwertigen Mappen oder Albums ähnlichen Inhalts
in bunter Reihe abwechseln."
* *
Daß hier etwas geschehen muß, ist klar.
Nur mit dem „Wie" können wir uns nicht einver-
standen erklären. Wir fürchten, daß die zahlreichen
Künstler, die eine Eingabe des „Münchener Männer-
vereins zur Bekämpfung der Unsittlichkeit" an die
Polizei-Direktion und die Ministerien mit unter-
zeichneten, sich von ihrer Entrüstung über diese
Zustände zu weit führen ließen. Auch Herr Prof.
Or. Hans Thoma machte nach unserer Meinung auf
dem „ H8. Evangelisch-sozialen Kongreß" in Etraßburg
den Ethikern zu viel Konzessionen, als er sagte:
„Als einer der wenigen Künstler, die in die Meffent-
lichkeit hineingezwungen worden sind, um über das Thema
Kunst und Unsittlichkeit mich hören zu lassen, habe ich
drüber viel nachgedacht und viel trübe Erfahrungen gemacht.
Ich sage so: Kunst beruht auf Sinnenfreude. Kunst soll
aber die Sinnlichkeit veredeln, indem sie sie in das Gebiet
der Schönheit führt. Alles, was in unserem Sinnenleben
vorgeht — auch das Nackte —, kann von der Kunst ver-
edelt werden. In dem Verhältnis von Kunst und Unsitt-
lichkeit bin ich beim Nachdenken immer bescheidener mit
meinen Forderungen geworden und sage einfach: Die
Kunst kann sich aus den Standpunkt des bürger-
lichen Familienvaters stellen und sagen: „Das
schickt sich — das schickt sich nicht". Gegen die scheuß-
lichen Produkte aber, wie sie namentlich durch Photographie
hergestellt werden — Kunst ist das nicht, photographieren
kann jeder — da weiß ich kein anderes Mittel als
den Gendarm."
Er wünscht also, ebenso wie der „Münchener
Männerverein usw." das Einschreiten der Polizei-
behörde und hält das täppische Danebengreifen
deren subalterner Organe für des kleinere Uebel.
Warum aber sollen wir wieder auf diesem toten
Punkte landen, auf dem wir schon vor einigen Jahren
standen? Ganz gewiß würden wir seufzen: „Herr,
die Not ist groß, die ich rief, die Geister, werd' ich
nun nicht los." Kann es sich denn in so kurzer
Zeit geändert haben, daß jetzt diese, der Kunst so
fern stehenden Kreise die Grenze zur Unsittlichkeit
besser beurteilen können als früher? Mißlingt es
nicht sogar hochgebildeten Kunsttheoretikern, das
wahre Wesen der Kunst zu erkennen, das die
Künstler als lebendiges Gefühl in sich tragen?
Woran liegt es, daß das Gemälde einer nackten
Frau von der Hand des echter: Künstlers als höchste
Kunst zu verehren ist, während eine genau gleiche
photographische Aufnahme desselben Modells leicht
zum erotischen Kitsch herabsinkt?
„Ls ist ein Gemeinplatz geworden, daß die Kunst nicht
bloß Photographie des Wirklichen sein solle. Was aber
ist denn nun jenes rätselhafte „Mehr" aller echten
Kunst? Ls besteht jedenfalls zunächst einmal in einem
„Mehr" des Künst. "5- selber, der das Wirkliche beschaut.
Er ist mehr als ein photographischer Apparat, auch mehr
als ein lüsternes Geschlechtswesen: er lebt voll tiefsten
Mitgefühls in aller Kreatur, er nimmt teil an aller Tragik
und aller Größe des Menschen, ja er trägt beides tiefer in
sich, als wir anderen es erleben. Und dadurch erst wird er

der ganzen Wirklichkeit des Lebens gerecht. Denn nicht bloß
das Leben, sondern auch der Schmerz über das Leben und
der Sieg über das Leben gehört mit zum Leben. Und nicht
bloß die Schönheit, sondern auch das dämonische
Leid, das von ihr ausgeht und der Sieg darüber
gehört mit zur Darstellung der Schönheit — für den
wahrhaft universellen Künstler, der im Ganzen lebt und
aus dem Ganzen schasst . . . Aber gerade weil der echte
Künstler in solchem Sinne und aus solcher Tiefe schafft, so
ist es ihm auch ganz unmöglich, die nackte Schönheit zu
sehen, ohne in künstlerisch gesteigertem Maße teilzunehmen
an der Tragik, die sie im inwendigen Menschen hervorrust,
und an den geistigen Mächten, die diese Tragik zu ent-
sühnen und zu lösen trachten. Und diese inneren Er-
fahrungen und Wirklichkeiten werden in seiner Stellung zum
Nackten zutage treten. Lr wird das Nackte entweder ver-
hüllen oder es so vergeistigen und mit der höheren Sehn-
sucht des Menschen verbinden, daß es nicht mehr knechtend
und erregend, sondern beruhigend und befreiend wirkt. Das
ist das „Mehr" des Künstlers."
Und diese, so von Or. W. Förster im „Türmer"
beschriebene feine Nuance zwischen beseelter und un-
beseelter Nacktheit sollen die niederen Organe der
Polizei erkennen können! Aber kann man die Grenze
zwischen Kunst und Unsittlichkeit überhaupt mit ethischen
Mitteln ermessen, oder gar mit dein unklaren Emp-
finden eines „bürgerlichen Familienvaters"? Es ist
besser, wenn man sich hier auf das ganz überein-
stimmende Gefühl der Künstler verläßt. Und wenn
die Künstler Aufrufe zur Bekämpfung der Unsittlichkeit
mit unterzeichnen, so sollten sie es nur tun, wenn
ausdrücklich anerkannt wird, daß sie, und nur sie,
als kompetent angesehen werden, in der Frage zu
entscheiden: künstlerisch oder nicht?
Wir hielten es für notwendig, hier zur Vor-
sicht zu mahnen. Nachdem dies geschehen, erklären
wir uns im Prinzip durchaus damit einverstanden,
daß man dem Handel mit den, für die Künstler
ganz wertlosen und nur zu erotischen Zwecken produ-
zierten Aktphotographien usw. rücksichtslos zu Leibe
geht. Will man diese Funktion wirklich allein in die
Hände der Polizei legen, so warne man vor Mißgriffen.
Der Beweis der Unzüchtigkeit ist schwer zu führen, und
der Märtyrertitel „konfisziert gewesen — frei-
gegeben!" ist die beste Reklame für die „Verleger"
solcher ^chundphotographicn. O. O. K.
Entwurf einer Gebührenordnung für
das Runslgewerbe.
Verfaßt von Or. Georg Lehnert-Berlin.
(Sonderabdruck aus den Verhandlungsberichten über den
siebzehnten Delegiertentag des Verbandes Deutscher Kunst-
gewerbevereine, abgehalten am s7. März sZo? zu Frank-
furt am Main.p)
Z 1. Entwurf und Anschlag.
Als Entwurf im Sinne dieser Gebührenordnung gilt
jede Zeichnung und jedes Modell, sofern sie im Maßstabc
und so ausgeführt sind, daß danach ein Sachkundiger^ das
zur Herstellung Erforderliche vornehmen kann. Die Zeich-
nung muß, wenn es auf Farbenstimmung ankommt, farbig
gehalten sein.
l) verql. unser kurzes Refercit in der vorigen Nummer.
 
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