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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 6.1906/​1907

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Sebaldt, Otto Friedrich Wilhelm: Reform des Kunstlebens
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63H Die Werkstatt der Kunst. Heft H6.

Reform ctes
Seit fahren, seit Jahrzehnten, leidet die bil-
dende Kunst. Stillschweigend, aber auch geleitet von
einem falschen Stolz tragen ihre Jünger das immer
drückendere Joch, von Zahr zu Jahr mehrt sich die
deprimierende «Erscheinung des Künstlerproleta-
riats, gezüchtet mit an erster Stelle vom Staate
selbst, der es jungen, unerfahrenen Leuten so ver-
lockend leicht macht, den ebenso leuchtenden wie ge-
fahrvollen weg zum Künstlertum zu betreten und
ermuntert durch Medaillen, Preise, Stipendien weiter-
hin zu wandeln. Die von Staats wegen ins Leben
gerufenen Hochschulen für bildende Kunst nehmen
in beängstigender weise zu, und die Aufnahmebe-
dingungen sind derart leichte, daß geradezu eine
Züchtung der Mittelmäßigkeit resultiert, die die
verhängnisvollsten Folgen zeitigen muß.
Line Kritik der auf einer Schülerausstellung
der Kunstakademie in Dresden ausgestellten Arbeiten
hat man sich seinerzeit verbeten und das mit Recht inso-
fern, als Schülern eine öffentliche Würdigung ihrer
nicht selbständigen Arbeiten noch nicht zukommt.
Wohl aber muß einmal, und zwar mit aller Ent-
schiedenheit, Kritik geübt werden an der Art und
weise, wie eine derartige Schülerausstellung, zumal
in Dresden zustande kommt. Schreiber dieses war,
nachdem er die anspruchslosen und durchaus unge-
schminkten Ausstellungen der Schüler auf der Karls-
ruher Akademie kennen gelernt, nicht wenig erstaunt,
nun in Dresden eine veritable Kunstausstellung
großen Stiles zu finden, die in ihrer pompösen Auf-
machung eher geeignet schien, das Publikum über
das tatsächlich Geleistete zu täuschen, als einen un-
gefärbten wahrheitsgemäßen Bericht über den wirk-
lichen Stand der Dinge zu geben.
Während in der ersten Hälfte des Studien-
jahres der Schüler so ziemlich seine eigenen Wege
gehen darf, setzt im Herbst plötzlich eine fieberhafte
Tätigkeit ein, die mit Ausnahmen darauf ausgeht,
schöne Arbeiten für die Schülerausstellung auszu-
führen. wo die Fähigkeit des Schülers versagt,
oder wo sich individuelle Neigungen zeigen, greift
der Lehrer selbst ein und das oft in einer weise,
daß schließlich zwei Drittel der Arbeit auf sein
Teil kommen und nur ein kleiner Nest auf das
Konto des Schülers. Die so zustande gekommenen
Arbeiten werden dann auf Kosten des jungen
Mannes (!) in teure Goldrahmen gesteckt und er-
reichen damit auch vielfach den gefährlichen Zweck,
den oft leidlich begabten Schüler immer weiter auf
die Bahn einer trügerischen Zukunft zu drängen,
um andrerseits neue Opfer anzulocken. Als eine
weitere vielsagende Tatsache wird dann konstatiert,
daß man nicht allzu selten als Prämien erteilte
goldene Medaillen 3 bis H Wochen später bei
irgend einem Händler wiederfindet, nachdem sie dem
„glücklichen" Besitzer das Nötigste für seinen Lebens-
unterhalt verschafft hatten. Der Verfasser kennt

Runstlebens.
manchen jungen Mann, der preisgekrönt von der
Akademie entlassen bei all seinen Fähigkeiten buch-
stäblich dem Hunger anheim gegeben war.
Tritt dann der auf diese weise „akademisch
gebildete" Künstler ins Leben, so überläßt ihn der
Staat und das Lehrerkollegium seinem Schicksal —
über die segensreiche und gerechte Einrichtung der
Stipendien will ich später reden — und es be-
ginnt der in neun Zehntel Fällen erfolglose Kampf ums
Künstlerdasein. So züchtet der Staat „Hungerkünstler".
Zeder Maler, Bildhauer und Architekt, der
von Hause aus nicht so gestellt ist, daß er das zum
Leben Notwendige besitzt, mag er auch noch so
talentvoll sein, weiß ein Lied davon zu singen, ein
gar trauriges Lied, aber hilflos und meist unpraktisch
veranlagt, steht er dem unbekannten Kampf gegen-
über, als Einzelner macht- und rechtlos wider eine
schmähliche Konkurrenz, die in unlauterem Wettbe-
werb, aber als gerissene Geschäftsmacht das Wort
„Kunst" ungestraft mißbrauchen darf zum Schaden
aller wahrhaft Tüchtigen.
Hier helfen nicht Klagen, Worte und Schriften
— hier kann nur eine Tat Wandlung schaffen.
Es ist notwendig, daß sich ein Verband
deutscher Künstler bilde, zur energischen Wahrung
ihrer wirtschaftlichen Znteressen. Line rechtskräftige
Organisation zum Schutze aller leistungsfähigen
Künstler gegenüber dem immer mehr anwachsenden
Heere sogenannter Zeichner und „Maler" (meist
ehemaliger Lithographen), die zu Schundpreisen ihre
zweifelhaften Machwerke auf den Markt werfen
und damit progressiv das Reelle verdrängen, wie
nun in erster Linie von: Staate zu verlangen ist,
daß er bei der Aufnahme junger Leute in die
Akademie die strengsten Anforderungen stellt, ver-
bunden mit einer nachdrücklichen Warnung an alle
Eltern vor dem nur in den seltensten Fällen aus-
sichtsvollen Beruf, so wird des weiteren die For-
derung aufgestellt, das Wort Kunst zu schützen in
der weise, daß kein Maler, kein Händler das Recht
besitzt, seine Bilder als Kunstwerke zu bezeichnen,
wenn nicht eine eigens zu diesem Zwecke in der be-
treffenden Stadt aufgestellte Zury die Arbeiten als
solche qualifiziert hat. was man von dem Butter-
verkäufer, der Margarine führt, verlangt, das kann
man billigerweise auch von dem Bilderhändler
fordern, der Fabrikgemälde als Kunstwerke offe-
riert. H Erst kürzlich hat der akademische Rat zu
Dresden die erfreuliche, aber leider nicht radikale
Maßnahme gegen den irr unserer Stadt befindlicher!
„Salon vereinigter Künstler" durchgesetzt auf Tilgung
dieser Bezeichnung, die angesichts der künstlerisch
durchaus wertlosen Verkaufsobjekte eine Schädigung
des Rufes Dresdener Künstler bedeutete. Die Bilder-
handlung nennt sich nun „Kunstsalon", ein Titel,
i) wir selbst halten die Einführung einer Zensur in
dieser Form für undurchführbar. Die Red. d. w. d. K.
 
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