Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

DOI Artikel:
Graeff, Werner: Zur Form der Automobile
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0431

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Zur Form der Automobile

WERNER GRÄFF

1928 ließ der Reichsverband der Deutschen Automobil-
industrie einen Wettbewerb verkünden, der mit unge-
wöhnlich hohen Geldpreisen ausgestattet war: man
forderte ein Zeichen, das allen deutschen (reindeutschen)
Kraftfahrzeugen angeheftet werden sollte. Das Ergebnis
war sehr kläglich, und die Wahl des Kennzeichens schien
ebenso verfehlt wie die ganze Maßnahme überhaupt;
zur Durchführung des Planes kam es daher nicht. Ledig-
lich auf einer internationalen Automobilausstellung in
Berlin sah man die klobige Marke (Eichel und Blatt mit
der Aufschrift „deutsch") an den einheimischen Auto-
mobilen. Dann nie mehr. Ein paar Monate später aber
vernahm man, daß einer der eifrigsten Verkünder der
„Deutschen Werkmannsarbeit", nämlich die größte
deutsche Automobilfabrik, Opel, dem amerikanischen
General-Motors-Konzern einverleibt worden sei. —

Das war der vorläufige Abschluß eines Kampfes, der
hier vor sieben oder acht Jahren begonnen hat: damals
wurden nämlich die Grenzen der Einfuhr ausländischer
Automobile ein wenig geöffnet (nur ein wenig — denn
die Schutzzölle waren außerordentlich hoch, und sie sind
es noch heute). Daß die deutschen Automobilfabrikanten
trotz dieses Schutzes Angst vor der fremden Konkurrenz
bekamen, war vollkommen berechtigt — denn man weiß,
daß sie unter ungleich schwierigeren Bedingungen zu
arbeiten hatten.

Nichtsdestoweniger erkärten sie seinerzeit, daß sie
diese Konkurrenz nicht im mindesten zu fürchten hätten:
der deutsche Käufer nämlich wisse, daß ein inländisches
Produkt, ein Erzeugnis „Deutscher Werkmannsarbeit", un-
gleich besser sei als das amerikanische Massenfabrikat,
das man von vornherein als schundig hinstellte. Auch
werde sich der deutsche Käufer nie und nimmer dazu
verstehen, einen Serienwagen zu nehmen: denn er habe
berechtigte individuelle Wünsche, und nichts sei ihm mehr
verhaßt, als etwa eine Karosserie von gleicher Farbe und
Form vor der Tür seines Nachbarn wiederzufinden,
übrigens seien ja die amerikanischen Wagen für rein
amerikanische Straßenverhältnisse konstruiert (für Straßen,
die nach Belieben als wesentlich schlechter oder wesent-
lich besser als die deutschen bezeichnet wurden). Und
dann die Formen! Einfach scheußlich. Gar nicht dem
europäischen Geschmack entsprechend, übrigens die
ganzen Karosserien aus Stahlblech gepreßt, und nicht,
wie bei uns, in langwieriger, sorgfältiger Arbeit aus Holz
verleimt, geschliffen und immer wieder geschliffen und
lackiert! Nein, die Amerikaner sollten ruhig kommen.

All das waren Propagandaredensarten, die sicher nicht
klug, deren Absicht aber jedenfalls noch zu verstehen
war. Unverständlich dagegen blieb, daß so sehr viele
der Fabrikanten diese Sätze so lange wiederholten, bis
sie sie selbst glaubten; denn anders ist ihr Verhalten
allerdings nicht zu erklären. Sie meinten allen Ernstes,
das müsse genügen, um den Markt zu retten. Im übrigen
blieben sie bei ihren alten Fehlern: Unzählige Auto-
mobilfabriken fabrizierten je vier, sechs oder acht Typen
verschiedener Motorstärken. Alljährlich wurde jede Kon-
struktion von Grund auf verändert. Die hohen Preise
wurden mal vorerst beibehalten.

Nichts gegen die Qualität unserer besten Marken!
Sie hatten in internationalen Rennen und Zuverlässig-
keitsprüfungen viele Jahre lang glänzend abgeschnitten.
Aber das hieß weder, daß sämtliche deutschen
Marken gut seien, noch, daß fremde nichts taugten. Der
seinerzeit am meisten gefürchtete und verunglimpfte Ford
zum Beispiel war bereits in etwa 15 Millionen Exem-
plaren in aller Welt abgesetzt — es war lächerlich, zu
behaupten, daß er schlecht sei.

Welch ungeschickte Politik! Sie mußte fehlschlagen.

Die ersten Buick, Packard, Studebaker trafen hier ein,
und die deutschen Fahrer beobachteten mit Staunen, daß
diese vielgeschmähten Massenerzeugnisse wunderbar ge-
federt waren — ohne Frage besser als unsere einheimi-
schen; übrigens hatten sie ein hervorragendes Anzugs-
vermögen; was aber am stärksten auffiel, war ihr laut-
loser Gang — selbst unsere besten Marken haben das
gleiche erst ein oder zwei Jahre später erreichen können.

Also: mit dem „Schund" war's nichts. Und die indivi-
duellen Wünsche?

Jedermann weiß, daß in den Folgejahren nichts
anderes mehr als Serienautos hergestellt wurden und
daß es heute niemand mehr einfällt, einen Wagen „nach
Maß" zu verlangen. Und dem Freund und Nachbarn
empfiehlt man dringend die eigene Marke und Karos-
serieform, falls man sie für gut hält.

Aber die amerikanischen Formen und der europäische
Geschmack?

Auch nichts! Man sieht seit Jahren fast nur noch die
typisch amerikanischen Formen, die nicht nur schöner,
sondern vor allem sehr viel zweckmäßiger sind. Bequem
sitzen kann man in Autos überhaupt erst, seit diese breit
gebauten Wagen existieren; man preßt Karosserien fast
nur noch aus Stahlblech; man spritzt oder tauchlackiert
sie nach amerikanischer Art.

Der deutsche Geschmack dagegen ist geschwunden (falls
man das Geschmack nennen will): Das früher vorherr-
schende abscheuliche Olivgrün der einheimischen Wagen
ist längst auf Droschken beschränkt worden (und sollte
auch da endlich ersetzt werden). Von dem technisch wider-
sinnigen Spitzkühler ging man ab. Ebenso vom „einge-
bauten" Verdeck. Für offene Wagen bevorzugte man
nun das echte „amerikanische Verdeck", das heißt eins,
das soviel breiter ist als der Wagenkasten, daß der auch
wirklich geschützt wird.

419
 
Annotationen