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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 5 (1. Dezemberheft 1903)
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Batka, Richard: Berlioz: zur Jahrhundertfeier seines Geburtstages
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0383

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Verlro^.

2ur Iakrkunäerlfeiev seines Geburlslages.

Zu einer schwierigen Aufgabe wird es, den reinen Wert eines
Künstlers abzuschätzen, wenn die Wirkung dieses Künstlers auf
seine Zeit wie auf die Nachwelt gleich zweifelhast erscheint,
während andererseits die hervorragendsten Eigenschaften des Künst-
lers als unzweifelhaft erkannt werden müssen. R. Wagner.

Jm Dezember des Jahres j829 überraschte die Leipziger „All-
gemeine musikalische Zeitung" die deutsche Musikwelt mit der Nach-
richt, daß vor einigeu Wochen ein gewisser Hektor Berlioz in Paris
mit Kompositionen Aussehen erregt habe, die, obwohl toll, bizarr,
extravagant und regellos, doch von ungewöhnlicher Begabung zeugten,
von einer Begabung, die, mit entsprechender Bildung gepaart, den
Tondichter als einen „zweiten Beethoven" erscheinen lassen würde.
Seither kennt man Berlioz in Deutschland, wo Musiker wie Schumann,
Liszt, Cornelius, Bülow, Porges, Mottl, Weingartner und Musik-
schriststeller wie Griepenkerl, Lobe, Pohl, Smolian für ihn eintraten,
und wo seine Kunst zuerst eine Heimstatt fand. Wenn das öffentliche
Urteil über ihn noch immer in manchen Punkten schwankt, so dürfte
an seinem hundertsten Geburtsfest sich doch im allgemeinen eine
Einigung der Ansichten jedensalls dahin zeigen, daß Berlioz, wie-
wohl ein problematisches Genie, so doch ein Genie, kein Entlehner,
sondern ein originaler Geist, ja, eine der bedeutendsten Erscheinungen
des neunzehnten Jahrhunderts, der Vater der neueren Musik war.

Das Schlagwort vom „zweiten Beethoven", das noch einem
Ambros aus der Zunge schwebte, ist heute freilich verstummt, eher
möchte man noch mit Dräseke Berlioz als den sranzösischen Beethoven
gelten lassen. Jn der Geschichte der Tonkunst aber wird Berlioz weiter-
leben als der Meister, der die symphonische Musik aus dem Banne
der Sonatenform, die mit Beethoven auf ihrem gar nicht mehr zu
überbietenden Gipfel des Ausdruckes angelangt war, hinansführte, um
ihr neue, sruchtbare Gebiete zu erschließen. Diesen Ausweg zeigte
ihm das „Programm", das er selber keineswegs ersunden hat, das
vielmehr in der Musik seit den ältesten Zeiten eine Rolle spielt. Das

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