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Baumeister: das Architektur-Magazin — 6.1908

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Kalkschmidt, Eugen: Der Baumeister und seine Zeit, [1]
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DER BAUMEISTER ° 1908, MÄRZ.

71

hakt er seinen Wider-
spruch dort fest, wo
ein äusserer Anlass
sich bietet.
Gegen dieses Übel
ist nur ein Kraut ge-
wachsen : es heisst
Öffentlichkeit. Das
demokratische Mas-
senurteil muss durch
eine stärkere demo-
kratische Macht re-
guliert werden. Und
das ist die Öffentlich-
keit und ihre Stimme,
die Presse.
Die Druckerschwär-
ze besitzt heute eine
suggestive Macht auf
so ziemlich alle Kreise.
Wenn ein Gedanke
immer und immer
wieder den Leuten

nach dem Rechten
und Schönen sehen
konnten, weil sie b e -
rufen wurden. Heute
haben wir Entwürfe,
zum Teil treffliche
Entwürfe bei unzäh-
ligen Wettbewerben,
und wie schauen die
ausgeführten Bauten
aus? Wer führt sie
aus? Und wieviel Miss-
verständnisse korri-
gieren Baubeamte und
Baukommissionen von
oft ergreifend tiefem
Sachverständnis in das
Konzept hinein?
Ja, es ist die liebe
Zeit, oder genauer:
die unliebenswürdigen
Zeitgenossen sinds,
mit denen der Bau-


Arch. J. Schmeissner, Nürnberg.

Beamtenvilla für Herrn Baron von Liebieg in Reichenberg in Böhmen

meister sein Leiden hat. Diese Zeitgenossen stehen auf „brei-
ter, demokratischer Grundlage“, wie man um Anno Achtund-

auf den Frühstückstisch wird, so nehmen ihn schliesslich auch
die Widerwilligen auf. Die ästhetische Reformbewegung un-


vierzig sagte.
Kunst aber ist
einhöchstper-
sönliches Er-
zeugnis, wie al-
les Lebendige
in der Natur.
Darum steht
eine Nutz-
kunst wie die
Baukunst auf
der demokra-
tischen
Grundlage
selten auf ge-
raden und
sicheren Bei-
nen: sie
schwankt, je

nachdem die Majoritäten schwanken, von denen sie ab-
hängt. Darum ist sie in gutem oder schechtem Sinne

stets augenfälligster Ausdruck der guten oder schlechten


1 ■t—T T ?-?? ?-
Erdgeschoss.

Gesinnung einer Zeit. Immer hat sie
mit den Aristokraten, ja selbst mit Auto-
kraten besser auskommen können als
mit demokratischen Körperschaften. Die
Fälle, die häufigen Unglücksfälle der
jüngsten baulichen Vergangenheit lehren
das nur zu gut. Wo ein Bürgermeister
den Bauentwurf gern annehmen möchte,
da steht hinter ihm der Magistrat, ge-
sättigt mit juristischer Vollkommenheit.
Der weiss nun schon dies und jenes
besser. Immerhin, er gibt sich mit ein
paar Zugeständnissen vielleicht zufrieden.
Aber dann geht die Magistratsvorlage an
den ehrenwerten Gemeinderat, und dieses
vielköpfige Kollegium ist ganz unbe-
rechenbar. In ihm erhebt der gesunde
Menschenverstand kühn und selbstver-
ständlich sein bemoostes Haupt und
klopft auf den Geldbeutel. Wehe dem
Baumeister, der auf seinem eigenen Kopfe
bestehen will, der sich zu Kompromis-
sen nicht herbeilassen kann, der irgend-
welche Bedingungen des Baues äusser
acht gelassen hat. Der Gemeinderat ist
zur Kritik da, und je weniger er von
einer Sache versteht, desto unerbittlicher


Schloss Ellingen: Rechter Löwe am Südportal
Aufgen. Martin Baur, München.

serer Zeit wäre unmöglich gewesen ohne
die Macht des gedruckten Wortes. Der
Baumeister hat alle Ursache, seine Zeit
durch die Zeitungen für sich und seine
Pläne zu gewinnen.
Noch freilich zeigen sich ihm gegen-
über die Zeitungen spröde. Was sie
über bildende Kunstberichten, beschränkt
sich selbst bei grossen Blättern mit ge-
ringen Unterbrechungen auf Malerei und
Kunstgewerbe. Die Plastik läuft so neben-
her. Für die Baukunst ist Raum meist
nur dann, wenn irgend ein Baudenkmal
in Frage kommt, wenn Heimatschutz
gefordert wird. Jene Art von Heimat-
schutz, die Stadt und Land durch neue
und schöne Leistungen vor dem Verderb
durch bauliche Untaten zu schützen hätte,
steckt noch in den Anfängen. Die wirt-
schaftlichen Interessen des einzelnen sind
da noch mächtiger als das Interesse der
Allgemeinheit an der guten Gestaltung
ihrer täglichen Umgebung.
Nicht nur die wirtschaftlichen Interes-
sen der Besitzer und Unternehmer, son-
dern auch die der Baumeister selbst.
Sie sind einstweilen empfindlicher gegen
 
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