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Baumeister: das Architektur-Magazin — 6.1908

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Hackemann, August: Städtephysiognomien
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https://doi.org/10.11588/diglit.52603#0180

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82

DER BAUMEISTER . 1908, APRIL.


Arch. Otto March, Charlottenburg.

Landhaus Elmenhorst auf Schrevenborn bei Kiel.

Effekt, wenigstens in Farbe und Stimmung, namentlich auch
jener Scheu vor Renovierung und Uebertünchung verdankt.
Der rationellere und dem Fortschritt huldigende Protestant
überweisst und bessert sein Haus fleissig aus, er bewirft
aber auch nebenbei
die zierliche Orna-
mentik, haut Fries
und Gesims weg,
ersetzt das schöne
gotische Masswerk
mit viereckigen
Fensterstöcken und
will alles hübsch
glatt, solid und
nüchtern haben. Bei
dieser Erscheinung
sind jedoch gewiss
auch andere Mo-
mente tätig ge-
wesen. Wäre es
nicht möglich, dass
— wenn auch un-
bewusst — dem
Protestanten alles,
was hinter dem
westfälischen Frieden liegt, nicht zusagt, dass er instinktiv
gegen alles reagiert, was an die Zeit vor der Reformation
erinnert? Darin läge — so unbedeutend das Resultat scheint —
ein merkwürdiger Beweis der eingreifenden Wirkung der
Geschichte auf den Charakter des Volkes! Jene angedeutete
puritanische Nüch-
ternheit und Reno-
vierungssucht
macht sich vorzugs-
weise bei den klei-
neren Städten des
Plattlandes geltend.
In der Grossstadt
tritt ihr der vorge-
schrittene Sinn für
das Kunstschöne
entgegen. Was dort
Sinn für Einfach-
heit und Sauber-
keit, wäre hier Van-
dalismus. Wir fin-
den eine Bestäti-
gung hierfür in den
Städtchen auf der

freundlicher, heller, sonniger, als jener der Städtchen im
Gerolzhofer und Ochsenfurter Gau, am Rande des Spessarts,
auf der Rhön, im Eichstättischen und Bambergischen 1 Aber
mehr pittoreske Vorwürfe geben die letzteren ab, und der
Architekturmaler
mag am mittleren
und unteren Maine
besonders reiches
Material für Studien
finden. Am über-
raschendsten em-
pfinden wir dies,
wo die Gegensätze
so nahe bei einan-
derliegen, wie etwa
im Süden der mit-
telfränkischen Keu-
perebene (Spalt ist
katholisch, Winds-
bach protestan-
tisch, Eschenbach
katholisch, Merken-
dorf protestantisch,
Ornbau katholisch
usw.) Die protestan-
tischen Ortschaften sehen in der Tat viel wirtschaftlicher und
haushälterischer drein als ihre katholischen Nachbarinnen.
Was aber jene an Solidität voraus haben, gewinnen ihnen diese
an malerischem Effekt und mittelalterlicher Romantik wieder
ab. So ist auch die Heiterkeit des protestantischen Volkes
selbst eine solidere,
minder poetische;
jene des katho-
lischen eine hellere
und lautere,weniger
durch Sorglichkeit
und Bedachtsam-
keit gehemmte; sie
ist bunter, wie sich
auch die Tracht
der Katholiken
durch hellere, bun-
tere Farben vor
jener ihrer protes-
tantischen Nach-
barn auszeichnet.
Wir werfen noch
einen flüchtigen
Blick auf die frän-


Landhaus Elmenhorst.


Landhaus Elmenhorst. Erdgeschoss.

mittelfränkischen Keuperebene, auf dem fränkischen Land-
rücken, im Aischgrunde, teilweise auch im Vogtlande und
den Sechsämtern am Fichtelgebirge. Der Eindruck, den sie
beim Durchwandern machen, ist durchschnittlich ein mehr

kischen Reichsstädte. Schon oben haben wir Nürnberg als
das Prototyp derselben bezeichnet. Die Macht und Grösse
der Stadt war schon gefestet, sie hatte bereits ihren Höhe-
punkt erreicht, als das entscheidende Religionsgespräch im
 
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