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Baumeister: das Architektur-Magazin — 6.1908

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Hackemann, August: Städtephysiognomien
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https://doi.org/10.11588/diglit.52603#0181

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DER BAUMEISTER » 1908, APRIL.

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Arch. Otto Marcli, Charlottenburg. Schloss Torgelow bei Waren i. M.
Rathaussaal abgehalten wurde. (3. März 1525.) Ihre archi-
tektonische Schönheit und harmonische Gliederung, die Pracht
ihrer privaten wie öffentlichen, profanen wie kirchlichen Bauten
war das getreue Spiegelbild ihrer für Kunst und Kunstge-
werbe im höchsten Masse empfänglichen, der Wissen-
schaft und Dichtkunst zugeneigten, zudem selbstbe-
wussten und kraftstrotzenden Bürgerschaft. Nürnberg
hatte sich trotz seiner allezeit bewährten werktätigen
Frömmigkeit stets fern von religiösem Fanatismus ge-
halten, und sein Verhalten während der Reformations-
kriege bekundet, dass es die weltlichen Interessen neben
dem Glaubenseifer nicht aus dem Auge verlor. Eben-
bürtig den schönsten Städten Deutschlands und darum
auch eifersüchtig auf das Palladium seiner Schönheit,
gestattete es den puritanischen Wirkungen des Pro-
testantismus keinen weiteren Spielraum, als höchstens
innerhalb seiner Kirchen. So hat es seinen künstlerischen
Schmuck bis auf die Gegenwart gerettet. Keine andere
Stadt Süddeutschlands zeigt in ihren privaten wie öffent-
lichen Bauten die organische Entwicklung in so aus-
drucksvoller Weise wie Nürnberg. Man fühlt es, dass
keine Fürstenlaune Form und Richtung vorschrieb.
Jedes einzelne Bürgerhaus ist die Schöpfung eines
freien, selbständigen Mannes, den aber von innen heraus
der Drang leitete, den Forderungen des Gemeinwohles
nachzugeben, weil seine persönliche Bedeutung in der
der freien Gemeinde gründete. Die tiefgehenden Ana-
logien in den Schicksalen der übrigen fränkischen
Reichsstädte, in ihren inneren und äusseren Kämpfen, ihrem
ganzen Entwicklungsprozesse mit der Geschichte Nürnbergs
beruhen wohl im Grossen auf allgemein wirkenden historischen
Ursachen. Aber unverkennbar ist es, dass erstere jeweils
ihre Blicke auf
die mächtige
reichsfreie Stadt
an der Pegnitz
als auf ein Mus-
ter und Vorbild
lenkten. Daher
ist auch in ar-
chitektonischer
Beziehung eine
Wahlverwandt-
schaft unver-
kennbar; nicht
nur in kleinen
Zügen, sondern
auch in dem,
was eigentlich
die architekto-
nische Physio-
gnomie aus-
macht, spricht
sich eine unverkennbare Aehnlichkeit — selbstverständlich in
kleinerem und bescheidenerem Massstabe — mit Nürnberg
aus; namentlich in Rothenburg, Dinkelsbühl, Weissenburg
und Windsheim. Weniger ist dies bei dem unterfränkischen

Schweinfurt der Fall, in welchem die Spuren der Renais-
sancezeit — bis auf das Rathaus — auffallend verwischt
i sind. Dagegen ist in den Landstädten in Nürnbergs Nähe,
wie namentlich in Schwabach, zum Teil in Roth, Altdorf u. a.
die Wirkung des Vorbildes erkenntlich. — Auffallend häufig
begegnen wir im bayerischen Franken den städtischen Spitz-
namen und Wahrzeichen. — In diesen Spottnamen macht
sich gleichzeitig die Eifersucht des Spiessbürgertums und die
angeborene Volksironie Luft, die zu dem Spottwort das
passende Märchen zu erfinden weiss. So sind die Berchinger
im Eichstättischen als „Torabschneider“ in der Leute Mund.
Es geht die Sage, dass vor Zeiten ein Schalk das Stadt-
törlein in unanständiger Weise besudelt habe. Bürgermeister
und Rat wussten nun in ihrer Verlegenheit nichts Besseres
zu tun, als die kritische Stelle aus dem Torflügel heraus-

weil die armen
Schelme in den gefährlichen Tagen des Hochwassers ihre
Ziegen huckepack die Höhen hinauf auf die Grasplätze
tragen müssen. Die Poppenhauser auf der hohen Rhön
führen das Epitheton die „Poppenlustigen“, was noch aus

schneiden zu lassen, um auch die letzte Spur dieser Schmach
zu vertilgen. Den Bewohnern von Greding sagt man nach,
sie hätten einstmals einen gewaltigen Hecht, den der Stadt-
fischer aus der Schwarzach fing, als Wundertier so lange
in einem Käfige ausgestellt, bis der Spitzname „Hechten“ an
ihnen selber hängen blieb. Die Kipfenberger heissen die

Schloss Torgelow b. Waren in M.


„Geisshenker“, die Beilngrieser die „Zwiebeltreter“, die Ans-
bacher die „W'olfshenker“, die Eichstätter „Kübelfranken“,
die Rothenburger „Tauberesel“, die Feuchtwanger „Zeisei-
fänger“, die Kirchenlamitzer „Krebsbäcker“. Die Bürger
derweilandfreien


Reichsstadt
Windsheim
führen noch
gegenwärtig den
Namen „Reichs-
zöpfe“. Drunten
am unteren Main
heissen die Mil-
tenberger seit
der Zeit des
dreissigjährigen
Krieges sehr
wohlklingend
die „Heul-
ochsen“ und die
Stadtprozeltener
müssen sich
„Geisshockler“
titulieren lassen,
 
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