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Baumeister: das Architektur-Magazin — 6.1908

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Thöne, Johannes Franz: Hohe oder niedrige Bauten?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52603#0217

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DER BAUMEISTER » 1908, JULI.

119

lassen und selbst
eingeredet hat, bis
man endlich selbst
daran glaubte.
Speziell kommt
dazu noch dieses:
Was ist das Schön-
ste an einer Kirche,
der Pfeilerbau oder
das Gewölbe? Of-
fenbar das letztere
und zwar aus dem
einfachen Grunde
(abgesehen davon,
dass es aus gebo-
genen Linien be-
steht und die Pfeiler
aus geraden, die
Schönheit liegt im-
mer in der Kreis-
linie, nicht in ihrer
Tangente), dass die
liegende Linie
immer schöner
ist als die senk-
rechte und zwar
deshalb, weil sie
den E indruck
des Ruhenden,
Sicheren, die


Detail der Gartenfront.*

ist desto un-
schöner, je mehr
das Prinzip des
Strebens in die
Höhe in ihm ver-
wirklicht ist.
Hiermit ist ein
charakteristisches
Merkmal des po-
etisch en Stiles
getroffen. Der
Strassburger
Dom ist z. B. des-
halb nicht so kon-
sequent durchge-
führt, wie der Köl-
ner, weil seine
Turmfassade auf
derselben Höhe ein
grosses Radfenster
zeigt,wo derKölner
noch immer in den
schmalen Turm-
fenstern nach oben
strebt. Beim er-
steren schlägt also
schon bald die stei-
gende Linie in die
ruhende um, der
letztere dagegen

senkrechte dagegen den des Stürzenden, Fal-
lenden erweckt, und nun sind die Rippen im Ge-
wölbe liegende Linien oder, wenn sie auch an-
fänglich steigen, so streben sie doch in ihrer
Vollendung dem Gewölbegurt dahin, sich zu legen.
Was aber das Schönste an einem Dinge ist, das
soll auch das Meiste an ihm sein, also soll bei
gleichbleibender Gewölbegrösse die Pfeilerhöhe
vermindert werden. Der Grund dürfte sich kaum
widerlegen lassen und doch sieht man fast nur
Kirchen, die dieser Forderung widersprechen, so
sehr ist der Geschmack verbildet. In der Gerres-
heimer Kirche z. B. ist das Verhältnis so, dass
das minder Schöne, das Pfeilersystem, etwa die
dreifache Höhe des Schöneren, des Gewölbes, hat.
Das Hohe als solches ist also unästhetisch,
weil es nicht den Eindruck des Ruhenden (die
wagerechte Linie) und darum Anheimelnden, son-
dern den des Fallenden (die senkrechte Linie)
und darum Unheimlichen erweckt. Jeder Bau


Arch. Paul Baumgarten, Berlin.

Landhaus Hellwig, Grünewald. Gartenfront *


Arch. Rud. Bitzan & Herrn. Viehweger, Dresden.

Entwurf für ein Bahnhofsgebäude in Darmstadt. (Siehe Tafel 79.)

* Aus der Grossen Berliner Kunstausstellung 1908.
 
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