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Baumeister: das Architektur-Magazin — 6.1908

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Thöne, Johannes Franz: Hohe oder niedrige Bauten?, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52603#0218

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120

DER BAUMEISTER ° 1908, JULI.


heil liegt in dem Gesamt-
eindruck der Verhältnisse,
welcher durch immer weiter
gehende Teilung der Flä-
chen und Linien, die die
Verhältnisse bilden, nicht
gehoben werden kann. Was
endlich die Konsequenz an-
geht, so ist das staunens-
werte nur die Konsequenz,
mit der das unästhetische
Prinzip des Steigens
durchgeführt ist, also eine
verwerfliche Konsequenz.
Allerdings haben auch
die romanischen Bau-
ten und gerade die ältesten
und mustergültigsten diesen
Kardinalfehler des Vorherr-
schens der senkrechten
Linie gegenüber der wage-
rechten. Der romanische
Stil ist ein Zwitterpro-

Reichsbank Lüneburg. (Siehe Tafel 77/78.'
steigt andauernd, ohne jemals ein Resultat dieses Steigens
zu erreichen: unbefriedigend und darum weniger ästhe-
tisch. Aber so will es einmal das Ideal der Gotik. Un-
angenehm wirkt auch die gotische Turmspitze, es
ist eine wirkliche Erholung für ein ästhetisch geschultes
Auge, zuweilen auch einmal einen abgestumpften spitzenlosen
Turm zu sehen. Endlich wirkt es, man verzeihe den Aus-
druck, wie mir neulich noch ein Kunsthistoriker bemerkte,
auf die Dauer ,,langweilig“, in jedem Dorf eine Kirche nach
demselben Schema, nämlich im gotischen Stil zu finden.
Ohnehin wird der wohltuende Eindruck der stets gleich-
mässig fortschreitenden Rundung des romanischen Halb-
kreisbogens durch den im gotischen Bogen befindlichen
Knick recht beeinträchtigt. Der gebrochene Bogen
macht immer den Eindruck des Zerstörten oder
wenigstens des Unvollendeten gegenüber dem reinen Kreise
als dem vollkommensten Ideal der Vollendung, der in sich
selbst zur Ruhe gekommenen Schönheit.
Analysiert man kurz die Gründe, weshalb der Kölner

dukt mit dem schönen
*
runden Bogen, der Form
der Bergkuppen des ewig schönen Südens vereint er das un-
schöne Aufstrebende der düsteren germanischen Landschaft.
Der gotische Stil ist die Vollendung des romanischen aber
insofern, als er die Vollendung des minder Schönen an ihm,
des Aufstrebenden ist. Nur in Deutschland war der gotische
Stil überhaupt möglich, anderswo ist er entweder gar nicht
vorhanden oder nur als Importartikel. Ein Bauwerk ist
in dem Masse schöner, in welchem in ihm das
liegende Rechteck gegenüber dem stehenden vor-
wiegt, darum kann man nicht fragen, ob der gotische oder
der romanische Stil das Ideal darstelle, sondern man kann
nur beide zusammen dem antiken (griechischen und römischen)
Baustil sowie dessen Reproduktion, der Renaissance in ihren
früheren und besseren Bauten, gegenüberstellen.
Versetzen wir uns, indem wir diese erste Gedankenreihe
abbrechen, noch einmal zurück in die Kirche zu Kaisers-
werth, stellen uns wieder auf die gleiche Stelle, wie vorhin
wenden nun aber den Blick nach rückwärts, ins Langhaus hinein.
(Schluss folgt.)

Dom als Meisterwerk der
Architektur gerühmt wird,
so lassen sie sich auf drei
zurückführen: Die ein-
gehende Detaillierung, die
ungeheuren Dimensionen
und die beispiellose Kon-
sequenz. Das Ungeheure
ist aber an sich nur unge-
heuer und nicht schön.
Man vergleiche einmal das
Flusstal der Weser mit dem
des Rhein; beide sind gleich
schön; beim Rheintal kom-
men dazu noch die grossen
Dimensionen, die gewal-
tigen Verhältnisse, die dem
Tale der Weser fehlen, aber
es kann nicht gesagt werden,
dass das Rheintal deshalb
dem Wesertale gegenüber
an Schönheit etwas voraus
habe. Dies gilt in der-
selben Weise von einem
Bauwerk. Die Detaillie-
rung dann macht das Werk
zwar grossartiger aber nicht


schöner, denn die Schön-

Arch. Jul. Habicht, Berlin.

Reichsbank Lüneburg.*

* Aus der Grossen Berliner Kunstausstellung 1908.

Verlag Georg D. W. Call wey in München. Verantwortlich: Hermann Jansen in Berlin W 35. Druck von Kastner & Callwey in München.
 
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