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Baumeister: das Architektur-Magazin — 6.1908

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Beilage zu: 1908, Juni
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Seesselberg, Friedrich: Karl Schäfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.52603#0339

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DER BAUMEISTER, ^AJf,7^T^,sFt^RCH1TEKTUR
1908, JUNI. VI. JAHRGANG, HEFT 9.

Karl Schäfer j*
Was war an diesem Manne gross, unsterblich?
Ist etwa ein alles überragender Kunstgewaltiger, so ein
Lionardo, oder ein Bramante von uns gegangen? Ich möchte
wohl sagen : Nein. Heute, wo unser Urteil über allem Streiten
für und wider Schäfer zu ruhiger Abklärung gekommen ist,
müssen auch wir, seine Freunde, zugeben, dass Schäfer nicht
zu den eigentlich epochalen Schöpfern gezählt werden kann;
ich meine zu jenen Halbgöttern der Baukunst, die mit riesigem
Wurf, wie etwa so ein Meister des pergamenischen Weihe-
baues, oder mit der Kraft eines Brunellesco alle Künste in
ihren Dienst zu zwingen, ja das ganze Sehnen und Aus-
wirken des Zeitalters mitsamt den religiösen, philosophischen
und schöngeistigen Strömungen in baulichen Gewalterschei-
nungen zu verdichten wussten. Nein. Alle Hochachtung
vor seinen Werken, wie den Universitätsbauten und dem
botanischen Institut in Marburg, dem Schlossbau Holzhausen
bei Kirchhain, dem Equitablepalast in Berlin u. a., aber das
Universelle, wie es den ganz grossen Künstlernaturen
eignet, wird die Kunstgeschichte doch wohl nicht an ihnen
feststellen. Und das ist nicht anders als natürlich, ja selbst-
verständlich. Karl Schäfer ist vermöge seiner besonderen
Veranlagung für das Rekonstruktive — ganz gleichgültig
übrigens, ob er in Meissen und Heidelberg in allen Punkten
des Stilechten überhaupt im Rechte war oder nicht — ein
Mann der feinsten Fähigkeit im Nachempfinden; und
eben dieses: geschichtliches Nachfühlen und ursprüngliche
Initiativkraft das sind bei allen Künstlern (bei den Malern und
Bildhauern ist’s ja ebenso) immer zwei Dinge, die sich er-
fahrungsgemäss gegenseitig ausschliessen.
Wir wollen, um sein Bild echt und wahr zu geben, gleich
auch sonstvon seinenGrenzen sprechen. So war er wohl andrer-
seits auch nicht der in die Tiefe greifende Kunstpsychologe.
Und auch das ist wiederum natürlich; ich bezweifle, dass
je ein Eklektizist, und selbst ein so feinsinniger, wie Schäfer
es war, ein rechter Seelenkundiger sein wird und kann.
So hat uns denn Schäfer als seinerzeitiger Leiter des „Zen-
tralblattes der Bauverwaltung“, der „Zeitschrift für Bauwesen“
oder als Herausgeber der „Bauhütte“ nicht eben Weltbe-
wegendes über das Besondere, über das in der volklichen
Gemütsveranlagung sich gründende Eigentümliche der
deutschen Kunst und ihre kulturellen Fähigkeiten gesagt.
Die Vorworte zu seinen Werken über Glasmalerei, Holz-
architektur und alte Bauornamente lassen keinen Zweifel,
dass es ihm bei diesen Veröffentlichungen in erster Linie
oder allein darauf ankam, den Architekten „mustergültiges
Material“ in die Hand zu geben. Seine Parole war im Grunde:
Zweck und Konstruktion; alles andere, ich meine z. B.
den Erweis des Mitklingens der Volksseele in der alten Kunst,
wie es sich in den prähistorischen und eddaischen Wurzeln,
in den Mythen und Märchen, in Epik und Lyrik der be-
treffenden Zeitalter, überhaupt in Sang, Sage, Sitte zeigt,
und wie es sich weiter im Abglanz der ganzen mittelalterlich-
deutschen Weltidee im Gegensatz zur Danteschen nur dem
Psychologen und dem sie innerlich Miterlebenden offen-
bart — — dies und alles Verwandte betrachtete Schäfer, als
ausserhalb jener Parole stehend, zum mindesten als ganz
sekundär. Hierin, will sagen: im Absehen von solchen
feineren ‘Kunstdifferenzierungen wandelte Schäfer getreulich
in den schon von Ungewitter betretenen Bahnen.
Und dieses soll auch keineswegs tadelnd gesagt sein. Heute
freilich wäre solche Abstinenz von den Abgezogenheiten der
Kunst wohl ein schwerer Mangel. Denn wenn wir unsere
heutigen Notwendigkeiten überschauen, d. h. jemals hoffen
wollen, dass die alte Kunst mit ihren unermesslichen Schätzen
an Form und Gehalt unserer modernen Kultur mehr als im
blossen eklektischen Sinne etwas werden, und ähnlich so in
das Kunstleben einbezogen werden soll, wie etwa die Renais-
sancemenschen einen neuen Geist, den Zeitgeist, in
ihre autochthone alte Formenwelt zu giessen wussten, so sind

heute wohl Dolmetscher nötig, die uns die alte Kunst nach
ihren tieferen seelischen Beweggründen erschliessen und ihr,
ganz vorwaltend aus dem Innerlichen heraus fliessende
Eigenschaften, unbegrenzte Elastizität verleihen. Da müsste
sicherlich eine grosszügige Umschaltung der ästhetischen
Energie von unserer alten Welt auf die heutige ebenso wohl
denkbar sein, wie sie vom alten Klassizismus auf die philo-
sophisch ganz anders geartete Renaissancezeit möglich war . . .
Aber Schäfers eigentliches Zeitalter lag ja anders. Da hatte
man erst vom Groben heraus den Stoff zu bewältigen ; und
ausserdem war es damals geradezu erfrischend, wie Schäfer
nach all der sterilen Philosophasterie (von der ich aber
Schnaase ausdrücklich schon ausnehmen möchte) die Kunst-
gründe auf eine so einfache menschlich-natürliche Formel
brachte.
Hierin eben kommen wir aber auch der eigentlichen Grösse
Karl Schäfers näher. Sie liegt in ihm selbst, in seinem Wesen,
in dem Zauber seiner Persönlichkeit! Ein Ganzer,
ein Held! Ein Feind aller Philister und kleinlichen Geister, all-
zeit ein fideles Haus, aufrecht, urwüchsig und-trunkfest.
Ein weiter Kreis von lustigen Legenden umschwebt ihn, wie
einen alten Eddagott; nicht die Hälfte davon ist wahr, aber
alle sind sie bezeichnend für einen Mann, der in die Welt ge-
hört, einen echten Lebenskünstler. So trat er, gewissermassen
schon von vornherein ein geborener Sieger, so gegen 1880
in das Berliner Hochschulkollegium, in welchem es übrigens
keineswegs an starken wissenschaftlichen und künstlerischen Po-
tenzen fehlte. Es wäre auch ungerecht, zu sagen, dass im
Kollegium (der damalige Zeitgeist keine künstlerische Ver-
tretung gehabt hätte. Aber es lag doch wohl eine allzu starke
Betonung auf der vom alten durchgeistigten Schinkeltum längst
zur schablonisierten Schinkelei herabgekommenen Antike; und
dieses „Edle, Allzuedle“ wurde als eine zeitwidrige Plage, als
etwas der'deutschen Improvisationslust und dem rechten Per-
sönlichkeitsdrange Entgegenstrebendes empfunden. Auch war
die damalige Jugend wohl nicht von dem frischen Zuge, der
von Feuerbach, Böcklin, Richard Wagner und anderen Grossen
— namentlich auch durch Cornelius Gurlitts Wirksamkeit in
Berlin — herüberkam, nicht unberührt geblieben. So hatte
Schäfer, der Feuergeist, eigentlich leichtes Spiel. Seine fach-
liche Lehre selbst — ganz abgesehen von ihrer Gründlichkeit
und ihrer akademischen Grazie — ist dabei fast gleichgültig.
Im Grunde eine echte rechte Stilkunde, nicht mehr, nicht
weniger; schliesslich auch nur eine Betonung des Eklektischen,
worin das schon vorhandene Bemühen zu ewigen Rekon-
struktionen verflossener Zeiten und Erscheinungen neuen
Antrieb fand, nur dass man jetzt noch „echter“ nachbaute,
und auf „romanisch“, „gotisch“ und „deutschrenaissancistisch“
nun dasselbe tat, was man bis dahin hellenistisch getan hatte.
Aber diese Lehre an sich ist bei Schäfer gar nicht das Ent-
scheidende gewesen. Das Entscheidende war, dass hinter
diesem Eklektizisten stets der eigenartigste Mensch1 vor der
Weltstand; dass sich jede Gestaltung und selbst das Formel-
hafte erst durch eben seine Persönlichkeit in die
Auffassung, in den Willen, ja in das Herz der Jünger proji-
zierte und dort ganz neue Umwertungen erfuhr. Wie er’s
sagte, und wie er’s färbte: das war’s! Immer war’s im
Kolleg, als schlössen sich weite Klostergewölbe über unsere
Häuptern, es war immer wie eine Höhe über uns; da sprach ein
von zündender Ueberzeugungskraft erfüllter Verkündiger; nicht
pastoral, nichtprofessoraloderwichtig; nurruhig, echt natürlich,
und aristokratisch; ohne Aufdringlichkeit, aber mit seltsam sug-
gestiver Wirkung. Und ein unbezahlbarer Humor dazwischen,
mit erfrischend rücksichtslosen .Vorstössen gegen das damalige
Hyperästhetentum und die Stilverlotterung, wie er sie sah.
Dabei seine fabelhafte zeichnerische Fertigkeit. Mochte ihm
auch seine zufahrende Natur die kleine Formgebung amZeichen-
brett etwas erschweren, so waren umso überraschender seine
mit fester Faust hingehauenen grossen Tafelzeichnungen. Ja,
ich möchte wirklich den sehen, welchen dieser Zauberer nicht
gefangen genommen hätte! Jede junge Seele, die in seinen
 
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