ten Stilcharakter einer Zeit von äußerster Bedeutsamkeit, ebenso bedeutsam
wie die allerdings selbstverständliche Beeinflussung der Bauformen von der
anderen Seite her durch neue Konstruktionen, Materialien und ökonomische
Gegebenheiten. Deswegen ist auch das viel zitierte Schlagwort von der „archi-
tectura mater artium“ völlig irreführend. Dieselben Leute, die donnernd be-
haupten, daß der Stilwillen der Gegenwart sich lediglich in der Architektur
äußere, vermögen außer ganz bestimmten rein äußerlichen Symptomen
weder etwas über das Wesen dieser angeblich so stileinheitlichen Architektur
auszusagen noch über das, was diese Architektur denn nun eigentlich mit der
gleichzeitigen Malerei und Plastik verbindet.
II.
Der „Gebildete“ genießt Architektur bewußt eigentlich nur auf Reisen. Die
Kirchen der anderen Stadt — niemals der eigenen —, Burgen und Schlösser
werden als Kunstwerke angesehen. Romantische Empfindelei verbindet sich
untrennbar mit der Betrachtung des Formalen, die sich wiederum fast immer
nur auf die Details — das schöne Portal, das reizende Ornament —, nie aber
auf das Bauwerk als Ganzes konzentriert. Und dieselben Menschen, die sehr
verständig und durchaus künstlerisch sachlich von den Fresken des Vatikan
und der „Nachtwache“ zu berichten vermögen, fangen sofort von Mondschein
und dämmernden Schatten, von poetischer Verlassenheit und Orgelklang zu
erzählen an, wenn sie den Eindruck einer Architektur wiedergeben wollen. Sie
sind nicht imstande, wesentliche Raumgefüge zu erfühlen, von Stimmungs-
elementen, malerischen Zufälligkeiten und vor allem von geschichtlichen
Assoziationen abzusehen.
Wenn schon historische Architekturen in den Anführungszeichen der
Baedeker-Einstellung und des bewußten Kunstgenusses so unverstanden blei-
ben, so gilt dies in noch viel stärkerem Maße von dem Bauslchaffen der
Gegenwart. Unter „moderner Architektur“ versteht der Laie gewöhnlich
Industriebau, Getreidesilos und die Turbinenfabrik der A. E. G. Eine unklare
Popularästhetik hat ihn auf die schönheitlichen Werte der Nutzbauten auf-
merksam gemacht, und er identifiziert nun ohne weiteres Ingenieurbau und
moderne Architektur schlechthin.
Mag dies vielleicht übertrieben erscheinen oder eine zu weitgehende Ver-
allgemeinerung darstellen — bei der Verflachung; der kunstbildnerischen Be-
strebungen in Deutschland kann die Skepsis gegen misverständliche Ausdeu-
tung von Schlagworten Und Kolportage künstlerischer Tendenzen gar nicht
stark genug sein. Die Erfahrungen der Kunstwartzeit und der jüngst ver-
gangenen Expressionisierei lehren Vorsicht!
Beschränken wir uns also mit aller notwendigen Bescheidenheit auf einige
Grundtatsachen der Architekturschau:
Erkenntnis, daß über alle materiellen Bedingtheiten und Gegebenheiten
hinaus jedes Bauwerk ein künstlerisches architektonisches Problem bildet.
Nicht nur, wie die vorige Generation annahm, Kirchen und das sogenannte
;Monufnentalgebäude, — aber auch keineswegs, wie es ein Teil der
jetzigen Generation in Reaktion gegen die frühere betont, etwa nur die
eiserne Brücke, das Fabrikgebäude und Warenhaus.
Da jede Architektur die ästhetische Lösung einer bestimmten Auf-
gab e darstellt, so ist sie genau wie Malerei Und Plastik Symptom des gegen-
wärtigen Stilwillens und als solches Ausdruck unserer Zeit. Der Zusammen-
23
wie die allerdings selbstverständliche Beeinflussung der Bauformen von der
anderen Seite her durch neue Konstruktionen, Materialien und ökonomische
Gegebenheiten. Deswegen ist auch das viel zitierte Schlagwort von der „archi-
tectura mater artium“ völlig irreführend. Dieselben Leute, die donnernd be-
haupten, daß der Stilwillen der Gegenwart sich lediglich in der Architektur
äußere, vermögen außer ganz bestimmten rein äußerlichen Symptomen
weder etwas über das Wesen dieser angeblich so stileinheitlichen Architektur
auszusagen noch über das, was diese Architektur denn nun eigentlich mit der
gleichzeitigen Malerei und Plastik verbindet.
II.
Der „Gebildete“ genießt Architektur bewußt eigentlich nur auf Reisen. Die
Kirchen der anderen Stadt — niemals der eigenen —, Burgen und Schlösser
werden als Kunstwerke angesehen. Romantische Empfindelei verbindet sich
untrennbar mit der Betrachtung des Formalen, die sich wiederum fast immer
nur auf die Details — das schöne Portal, das reizende Ornament —, nie aber
auf das Bauwerk als Ganzes konzentriert. Und dieselben Menschen, die sehr
verständig und durchaus künstlerisch sachlich von den Fresken des Vatikan
und der „Nachtwache“ zu berichten vermögen, fangen sofort von Mondschein
und dämmernden Schatten, von poetischer Verlassenheit und Orgelklang zu
erzählen an, wenn sie den Eindruck einer Architektur wiedergeben wollen. Sie
sind nicht imstande, wesentliche Raumgefüge zu erfühlen, von Stimmungs-
elementen, malerischen Zufälligkeiten und vor allem von geschichtlichen
Assoziationen abzusehen.
Wenn schon historische Architekturen in den Anführungszeichen der
Baedeker-Einstellung und des bewußten Kunstgenusses so unverstanden blei-
ben, so gilt dies in noch viel stärkerem Maße von dem Bauslchaffen der
Gegenwart. Unter „moderner Architektur“ versteht der Laie gewöhnlich
Industriebau, Getreidesilos und die Turbinenfabrik der A. E. G. Eine unklare
Popularästhetik hat ihn auf die schönheitlichen Werte der Nutzbauten auf-
merksam gemacht, und er identifiziert nun ohne weiteres Ingenieurbau und
moderne Architektur schlechthin.
Mag dies vielleicht übertrieben erscheinen oder eine zu weitgehende Ver-
allgemeinerung darstellen — bei der Verflachung; der kunstbildnerischen Be-
strebungen in Deutschland kann die Skepsis gegen misverständliche Ausdeu-
tung von Schlagworten Und Kolportage künstlerischer Tendenzen gar nicht
stark genug sein. Die Erfahrungen der Kunstwartzeit und der jüngst ver-
gangenen Expressionisierei lehren Vorsicht!
Beschränken wir uns also mit aller notwendigen Bescheidenheit auf einige
Grundtatsachen der Architekturschau:
Erkenntnis, daß über alle materiellen Bedingtheiten und Gegebenheiten
hinaus jedes Bauwerk ein künstlerisches architektonisches Problem bildet.
Nicht nur, wie die vorige Generation annahm, Kirchen und das sogenannte
;Monufnentalgebäude, — aber auch keineswegs, wie es ein Teil der
jetzigen Generation in Reaktion gegen die frühere betont, etwa nur die
eiserne Brücke, das Fabrikgebäude und Warenhaus.
Da jede Architektur die ästhetische Lösung einer bestimmten Auf-
gab e darstellt, so ist sie genau wie Malerei Und Plastik Symptom des gegen-
wärtigen Stilwillens und als solches Ausdruck unserer Zeit. Der Zusammen-
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