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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 18.1926

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Heft 5
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Zucker, Paul: Neue amerikanische Baukunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.41317#0174

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immer um sinnlose Kopien historischer europäischer Vorbilder handelt, son-
dern oft auch, natürlich nicht immer, um sehr fein empfundene, in den Pro-
portionen durchaus selbständige Weiterentwicklungen des englischen Klassi-
zismus. Je nach den Fähigkeiten des einzelnen Künstlers und seinem Takt
gelingt es ihm, durch die Sicherheit des maßstäblichen Gefühles und einer
wirklich produktiven Gabe der Umdichtung, die Formenwelt der Antike zum
Träger des Ausdrucks einer so ganz anders gearteten Welt zu machen.
Absichtlich sollen hier nicht Namen führender Architekten aneinander
gereiht werden, die uns doch nichts sagen können. Nur Louis Henry Sul-
livan und Grosvenor Goodhue seien kurz erwähnt, weil in ihrem Pfad-
finderwerk die allmähliche und schrittweise, bei Goodhue sogar ziemlich
abrupte Überwindung der europäisch-traditionellen, eklektizistischen Formen-
welt durch einen rein sachlich konstruktiven, „Amerikanischen“ Stil beson-
ders klar wird.
Versuchen wir, uns über die Grundelemente dieses Stils klarzuwerden, so
fällt uns zunächst eine ganz ausgesprochene Vorliebe für große ge-
schlossene Mauerflächen mit scharf und unvermittelt eingeschnit-
tenen Öffnungen auf, eine Formgebung, die dem Instinkt unserer letzten Gene-
ration in Deutschland durchaus entspricht. Die Wand wird im wesentlichen
als Haut, als Abgrenzung zwischen Innen und Außen, empfunden, nicht aber
als Träger, tektonisch, nicht statisch. Das eigentlich statische Skelett, die
konstruktiven Elemente bleiben latent. Aus dieser Perspektive heraus sind
natürlich Vorgesetzte Säulenordnungen und Giebel überwunden. Die hier
wiedergegebenen Abbildungen einiger uns vorbildlich erscheinender Bauten,
die durchweg in den letzten zehn Jahren entstanden sind, können naturgemäß
nur eine Andeutung ihrer wirklichen räumlichen und plastischen Wirkung
geben. Bei diesen großen Bureau- und Boardinghäusern, Hotels und Banken
ist es so vollkommen gleichgültig, ob irgendeine Türumrahmung ein Re-
naissanceprofil verwendet, ob die Zinnenkrönung eines Daches gotische oder
romanische Formenklänge aufweist. Entscheidend, künstlerisch allein bedeut-
sam und wirkungsvoll ist die Verteilung der Massen, die Gliederung der ein-
zelnen Gebäudeteile und Höfe gegeneinander, die durch ganz bestimmte
baupolizeiliche und hygienische Forderungen bedingt, rein formal zum we-
sentlichsten künstlerischen Ausdrucksmittel werden. Hier ist über das rein
ingenieurmäßig Konstruktive hinaus bei aller Zurückhaltung die
neue Stilform gefunden und sinnlich empfunden, die bei uns mit doktrinären
Theorien vergeblich künstlich destilliert wird. Eine starke und selbstsichere
Generation gestaltet aus ihren neuen und besonderen Aufgaben heraus die
Formen ihrer Zeit, unbekümmert und ungeängstigt durch eventuelle Anklänge
an eine Tradition, die doch nie vergessen werden kann — und schafft gerade
darum das wirklich Neue und Zukunftweisende.

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