Der „barocke“ Rembrandt
Von FRANZ SERVAES
NOCH um igoo herum hat man das Barock gehaßt. Grade die führenden Künstler,
besonders Achitekten und Kunstgewerbler taten es in Acht und Bann und betrach-
teten es als den Gegenpol aller ihrer Bestrebungen und gleichsam als die Wurzel alles
ärgerlichen Widerstandes. Heute — sieht man bereits ein neues Barock auf dem Zeiten-
hintergrunde heraufziehen und vielfach stehen wir schon mitten darin. Vor allem aber
sind die modernen Kunstschriftsteller und -Sammler ins Barock förmlich verliebt. Es
ist die große Wiederentdeckung. In Ausstellungen, zuerst wohl durch den Heraus-
geber dieser Zeitschrift in Darmstadt 1914, wurde es geschlossen gezeigt. Man stellte
nationale und provinziale Gruppierungen zusammen. Und immer mehr endeckte man,
besonders seit der stetig sich steigernden Schätzung eines Greco, eines Tintoretto,
eine starke seelische und geistige Verwandtschaft mit dem innersten Wesen unserer
eigenen Zeit. Man erkannte eine Weltanschauung, eine über mindestens anderthalb
Jahrhunderte reichende Zeitenform des Barock. Man begriff in ihm eine wundersam
umgewandelte Wiedergeburt der Gotik und einen Abglanz des religiösen Geistes der
Gegenreformation. Mit Staunen gewahrte man, wie hier zum ersten Male Süd und
Nord, Jenseits und Diesseits der Alpen im gleichen Grundrhythmus schwangen und aus
ihm heraus eine Fülle verschiedenartiger und doch eng verbundener Gebilde produ-
zierten.
Natürlich konnte es nicht ausbleiben, auch Rembrandt, den Sohn dieses Zeit-
alters und gewiß dessen ausgeprägteste Physiognomie, in diesen Rhythmus hinein-
zustellen und das Barockmäßige bei ihm zu erkennen. Wie sollte es nicht da sein bei
einem Künstler, der so mit allen Fasern im Nahen und Nächsten wurzelte — mochte
er auch noch so sehr seinen eigenen Weg gehen, mochte er auch noch so sehr
alle anderen überragen? Und so entdeckte man gleichsam einen neuen Rembrandt —
Rembrandt den Barockkünstler, von dem ein sehr besonderes Licht auszugehen schien,
das auf ihn selber, verwandelnd, zurückstrahlte. Als Wortführer dieser Auffassung
darf man heute füglich Wilhelm Hausenstein hinstellen, der schon in seinem
„Geist des Barock“ Rembrandt in den Stil jenes Zeitalters nachdrücklich einordnete und
der jetzt in seiner großen Rembrandtmonographie (553 Textseiten in Quart,
nebst 19 Bildtafeln, in der Stuttgarter Deutschen Verlags-Anstalt) die Resultate seines
Nachdenkens und Forschens zusammenfaßt und mit der ihm eigenen feurigen Beredsam-
keit die Erscheinung Rembrandts aus der Konstellation des Barockzeitalters herleitet.
Nach Bode und Karl Neumann entstand so ein neues deutsches Monumentalwerk
über Rembrandt, das durchaus sein persönliches Gesicht hat und das mit Leidenschaft-
lichkeit nach einem straffsten und gefülltesten Ausdruck für die gegenwärtig herr-
schende, oft mit geradezu religiösem Fanatismus vertretene Zeitauffassung strebt.
Auch wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, erheblich skeptischer über die Durchdrin-
gung Rembrandts mit dem Geiste des Barock denkt, kann und mag sich der Besonder-
heit und innersten Gewalt der Hausensteinschen Darstellung nicht entziehen. Aber so
sehr man auch viele Partien mit aufrichtigem Beifall begleitet und sich von dem
blitzenden Wortrausch, der diese Seiten durchtönt, manchmal gefangennehmen läßt,
so bleibt doch zuletzt eine unabweisbare Pflicht des Protestierens .oder, wenn dieses
Wort zu stark scheint, der nachdrücklichen Einschränkung. Wobei ich nicht ver-
hehlen will, daß ich ein wenig „pro domo“ rede, dieweil ich gleichzeitig mit Hausen-
stein und unabhängig davon eine eigene Rembrandt-Biographie1 verfaßt habe, die
in erheblich kürzerer Fassung den Zusammenklang zwischen Kunst und Persönlichkeit
mit gleichem Eifer wie Hausenstein sucht, im Punkte der Zuweisung zum Barock
sich indes einer bewußten Zurückhaltung befleißigt.
Ich will einräumen: auch Hausenstein verkennt keineswegs, daß Rembrandt nicht
kurzerhand auf die Barockformel zurückführbar ist. Auch für ihn ist „der oberste
aller Barocken“ dennoch „mehr als alles Barock“. Aber dies ist gleichsam eine
kühle Erkenntnis. Das warme Herz der ganzen Darstellung schlägt dennoch gerade-
zu stürmisch für eine rückhaltlose Einordnung ins Barock — mag diese Einord-
nung hie und da auch als Überordnung bezeichnet werden. Das Fundament, auf
dem Hausenstein seinen gesamten Aufriß der Rembrandtschen Persönlichkeit errichtet,
1 Sie wird demnächst im Verlag von Karl König, Wien und Leipzig, erscheinen. (Anm. d. Red.)
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Von FRANZ SERVAES
NOCH um igoo herum hat man das Barock gehaßt. Grade die führenden Künstler,
besonders Achitekten und Kunstgewerbler taten es in Acht und Bann und betrach-
teten es als den Gegenpol aller ihrer Bestrebungen und gleichsam als die Wurzel alles
ärgerlichen Widerstandes. Heute — sieht man bereits ein neues Barock auf dem Zeiten-
hintergrunde heraufziehen und vielfach stehen wir schon mitten darin. Vor allem aber
sind die modernen Kunstschriftsteller und -Sammler ins Barock förmlich verliebt. Es
ist die große Wiederentdeckung. In Ausstellungen, zuerst wohl durch den Heraus-
geber dieser Zeitschrift in Darmstadt 1914, wurde es geschlossen gezeigt. Man stellte
nationale und provinziale Gruppierungen zusammen. Und immer mehr endeckte man,
besonders seit der stetig sich steigernden Schätzung eines Greco, eines Tintoretto,
eine starke seelische und geistige Verwandtschaft mit dem innersten Wesen unserer
eigenen Zeit. Man erkannte eine Weltanschauung, eine über mindestens anderthalb
Jahrhunderte reichende Zeitenform des Barock. Man begriff in ihm eine wundersam
umgewandelte Wiedergeburt der Gotik und einen Abglanz des religiösen Geistes der
Gegenreformation. Mit Staunen gewahrte man, wie hier zum ersten Male Süd und
Nord, Jenseits und Diesseits der Alpen im gleichen Grundrhythmus schwangen und aus
ihm heraus eine Fülle verschiedenartiger und doch eng verbundener Gebilde produ-
zierten.
Natürlich konnte es nicht ausbleiben, auch Rembrandt, den Sohn dieses Zeit-
alters und gewiß dessen ausgeprägteste Physiognomie, in diesen Rhythmus hinein-
zustellen und das Barockmäßige bei ihm zu erkennen. Wie sollte es nicht da sein bei
einem Künstler, der so mit allen Fasern im Nahen und Nächsten wurzelte — mochte
er auch noch so sehr seinen eigenen Weg gehen, mochte er auch noch so sehr
alle anderen überragen? Und so entdeckte man gleichsam einen neuen Rembrandt —
Rembrandt den Barockkünstler, von dem ein sehr besonderes Licht auszugehen schien,
das auf ihn selber, verwandelnd, zurückstrahlte. Als Wortführer dieser Auffassung
darf man heute füglich Wilhelm Hausenstein hinstellen, der schon in seinem
„Geist des Barock“ Rembrandt in den Stil jenes Zeitalters nachdrücklich einordnete und
der jetzt in seiner großen Rembrandtmonographie (553 Textseiten in Quart,
nebst 19 Bildtafeln, in der Stuttgarter Deutschen Verlags-Anstalt) die Resultate seines
Nachdenkens und Forschens zusammenfaßt und mit der ihm eigenen feurigen Beredsam-
keit die Erscheinung Rembrandts aus der Konstellation des Barockzeitalters herleitet.
Nach Bode und Karl Neumann entstand so ein neues deutsches Monumentalwerk
über Rembrandt, das durchaus sein persönliches Gesicht hat und das mit Leidenschaft-
lichkeit nach einem straffsten und gefülltesten Ausdruck für die gegenwärtig herr-
schende, oft mit geradezu religiösem Fanatismus vertretene Zeitauffassung strebt.
Auch wer, wie der Schreiber dieser Zeilen, erheblich skeptischer über die Durchdrin-
gung Rembrandts mit dem Geiste des Barock denkt, kann und mag sich der Besonder-
heit und innersten Gewalt der Hausensteinschen Darstellung nicht entziehen. Aber so
sehr man auch viele Partien mit aufrichtigem Beifall begleitet und sich von dem
blitzenden Wortrausch, der diese Seiten durchtönt, manchmal gefangennehmen läßt,
so bleibt doch zuletzt eine unabweisbare Pflicht des Protestierens .oder, wenn dieses
Wort zu stark scheint, der nachdrücklichen Einschränkung. Wobei ich nicht ver-
hehlen will, daß ich ein wenig „pro domo“ rede, dieweil ich gleichzeitig mit Hausen-
stein und unabhängig davon eine eigene Rembrandt-Biographie1 verfaßt habe, die
in erheblich kürzerer Fassung den Zusammenklang zwischen Kunst und Persönlichkeit
mit gleichem Eifer wie Hausenstein sucht, im Punkte der Zuweisung zum Barock
sich indes einer bewußten Zurückhaltung befleißigt.
Ich will einräumen: auch Hausenstein verkennt keineswegs, daß Rembrandt nicht
kurzerhand auf die Barockformel zurückführbar ist. Auch für ihn ist „der oberste
aller Barocken“ dennoch „mehr als alles Barock“. Aber dies ist gleichsam eine
kühle Erkenntnis. Das warme Herz der ganzen Darstellung schlägt dennoch gerade-
zu stürmisch für eine rückhaltlose Einordnung ins Barock — mag diese Einord-
nung hie und da auch als Überordnung bezeichnet werden. Das Fundament, auf
dem Hausenstein seinen gesamten Aufriß der Rembrandtschen Persönlichkeit errichtet,
1 Sie wird demnächst im Verlag von Karl König, Wien und Leipzig, erscheinen. (Anm. d. Red.)
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