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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0367

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aus der erwähnten Eingabe diejenigen Stellen ab, die
über den Einzelfall hinaus von grundsätzlicher Bedeu-
tung sind:

„Die Sammlungen des Landesgewerbemuseums und
die Grundsätze für den Erwerb des Museumsgutes
stammen aus einer Zeit, wo das Gewerbe seine Er-
zeugnisse ausschließlich unter Benutzung historischer
Stilformen hergestellt hat. Es war bei der damals herr-
schenden Einschätzung historischen Kulturgutes und
seiner Bedeutung für die gewerbliche Produktion durch-
aus richtig, das Landesgewerbemuseum als eine Samm-
lung der „bestmöglichen erreichbaren kunsthcndwerk-
lichen Schöpfungen aller Zeiten und Völker" zusammen-
zubringen. Wie weit diese Absicht verwirklicht wurde,
soll hier nicht untersucht werden. Dagegen steht fest,
daß im Laufe der Jahre mehr und mehr rein kunst-
historische Absichten bei den Ankäufen für das Museum
in den Vordergrund traten, während die ursprüng-
lichen, lediglich gewerbefördernden Zwecke des Lan-
desgewerbemuseums demgegenüber vielfach zurück-
zustehen hatten.

Um die Jahrhundertwende setzte eine entscheidende
Wandlung ein: es traten — zunächst von der ästheti-
schen Seite her — Bestrebungen auf, die eine Neu-
gestaltung aller uns umgebenden Dinge forderten.
Diese Bestrebungen wurden nach dem Krieg sowohl
durch die geistige, soziale und wirtschaftliche Umwand-
lung als auch von der technischen Seite her entschei-
dend beeinflußt und stellten die gesamte gewerbliche
Produktion vor eine Fülle neuer Aufgaben. Es muß
hier offen ausgesprochen werden, daß die Bedeutung
dieser säkularen Veränderung nebst ihren mannig-
fachen Problemen von keinem einzigen der deutschen
Gewerbemuseen in ihrem ganzen Umfang erkannt
wurde. Sie alle standen unter der Leitung ausgezeich-
neter Fachleute, die jedoch mit verschwindenden Aus-
nahmen als reine Kunsthistoriker ohne die notwendige
lebendige Fühlung mit der Entwicklung ihrer Zeit und
des deutschen Gewerbes sich traditionsmäßig viel zu
gebunden fühlten, um auch ihr Museum so entscheidend
zu ändern, wie die Zeit und ihre Probleme sich ge-
ändert haben. Sie wagten nicht, ihre Sammlung in den
Fluß des Geschehens zu stellen und diesem Fluß Rich-
tung und Ziel zu geben. Nur von außerhalb wurde
solches versucht: zum erstenmal noch vor dem Krieg
durch Karl Osthaus in dem von ihm gegründeten
Folkwangmuseum in Hagen, nach dem Krieg in ver-
hältnismäßig bescheidenem Ausmaß in der „Neuen
Sammlung" des Bayrischen Nationalmuseums in Mün-
chen, in dem „AAuseum für das vorbildliche Serienpro-
dukt" der Kesfnergesellschaft in Hannover sowie in der
Städtischen Kunsthalle in Mannheim.

Wohl aus dem Gefühl heraus, daß diese kunst-
historisch gebundene und für die heutigen Erfordernisse
viel zu starre Form der Gewerbemuseen der lebendigen
Entwicklung nicht mehr zu dienen vermag, wurde in
Stuttgart wie anderwärts zu dem Mittel der ständig
wechselnden Ausstellungen gegriffen. Nach einer Äuße-
rung seines Leiters war das Landesgewerbemuseum
dabei bemüht, „alle neuartigen, irgendwie inter-

essanten Schöpfungen so rasch als möglich nach Würt-
temberg zu bringen, natürlich nicht erst dann, wenn sie
in allen Ausstellungen zu Tode gehetzt oder gar schon
in den Geschäften käuflich zu haben sind". So sehr
diese Absicht anzuerkennen ist (wobei übrigens die
Jagd nach größtmöglicher „Neuheit" keineswegs so
wichtig ist), so wenig umfaßt dieses Programm gerade
d i e Aufgaben, die zu den wichtigsten eines gewerbe-
fördernden Institutes, wie es das Landesgewerbemuseum
sein soll, gehören. Bestimmte Äußerungen müssen so-
gar den Eindruck erwecken, als ob das Landesgewerbe-
museum gerade die fortschrittlichsten und interessan-
testen gewerblichen Gestaltungsprobleme und die
wichtigsten Kräfte auf diesem Gebiet nicht nur nicht be-
achtet, sondern sogar bekämpft.

Außerdem wird offensichtlich viel zu viel Wert auf
möglichst raschen Wechsel der Ausstellungen gelegt
(wobei notwendigerweise viel gleichgültiges mit unter-
läuft), anstatt mit wenigen, aber wichtigen und leben-
digen Veranstaltungen breitere Massen der Bevölke-
rung in das Museum zu ziehen. (Die in Verbindung mit
dem Württ. Landesgewerbeamt durchgeführte Werk-
bund-Ausstellung „Glas und Porzellan" im staatlichen
Aussfellungsgebäude hatte ohne die Schulen gegen
7000 Besucher, die derzeit stattfindende Malerausstel-
lung meldet ebenso starken Besuch!) Daß man bei
solchen Veranstaltungen neuzeitlichen Charakters auch
Teile der Bestände der historischen Sammlung einbe-
ziehen kann, beweist die Ausstellung „Ewige Formen",
die im Bayerischen Nationalmuseum in München kürz-
lich veranstaltet wurde. Voraussetzung allerdings ist,
daß die historische Sammlung Gegenstände enthält,
an denen man auf Grund ihrer Qualität und nicht ihrer
rein historischen Bedeutung wegen lebendige Zu-
sammenhänge mit der heutigen Zeit darstellen kann.
Für eine neuzeitlichen Erfordernissen dienende Ge-
werbeförderung liegen eine Fülle wichtiger Aufgaben
vor. Mit Recht bemängelt das Handwerk, daß
man es in den letzten Jahren ganz sich selbst über-
lassen habe, ohne gemeinsam mit ihm die vielen
Fragen zu behandeln und zu klären, wie sie auch für
das Handwerk und die Gestaltung handwerklicher Er-
zeugnisse teils durch den völlig veränderten Charakter
des neuen Bauens, teils durch den Geschmackswandel
des Publikums, teils durch neue Produktionsmethoden,
Techniken und Materialien aufgeworfen wurden. Auch
an die Industrie treten auf Grund der veränderten
Verhältnisse (sinkende Kaufkraft der Massen, Umschich-
tung der Vermögen, Rückgang der Käuferschichten für
Luxuswaren usw.) dauernd neue, schwerwiegende Auf-
gaben heran, die durch verständnisvolle Bearbeitung
gemeinsam gefördert und Schritt für Schritt einer
Lösung zugeführt werden müßten. Hier und bei einer
damit Hand in Hand gehenden allgemeinen und syste-
matischen Erziehung und Schulung des Geschmacks
liegen die großen Aufgaben für eine staatliche Ge-
werbeförderung. Die innere Lebendigkeit, mit der
solche aktuellen Fragen behandelt werden müssen,
findet erwiesenermaßen immer das Interesse nicht nur
der Fachleute, sondern auch der breiten Massen der
Bevölkerung."

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