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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0368

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Glas und Porzellan

Werkbund-Ausstellung in Stuttgart

Die Ausstellung „Glas und Porzellan" der
Württembergischen Arbeitsgemeinschaft des Deutschen
Werkbundes im Staatl. Ausstellungsgebäude Stuttgart
ist eine kleinere Ausstellung, die sich mit den großen
internationalen Ausstellungen „Die Wohnung" und „Film
und Foto" der Jahre 1927 und 1929 nicht messen kann,
aber dennoch durch die Art ihrer Aufgabestellung und
Durchführung nicht geringe symptomatische Bedeutung
besitzt. Im Frühjahr 1930 richtete die Württembergische
Werkbundgruppe eine Denkschrift an die Ministerial-
Abteilung für die Fachschulen über geschmack-
liche Schulung der Verkaufskräfte des
Einzelhandels. Aus der Erkenntnis heraus, daß
vom Bildungsniveau der Verkaufskräfte in erster Linie
die Durchsetzung guter reiner Formen abhängig ist, daß
der Fabrikant, auch wo er die Herstellung solcher Formen
erstrebt, machtlos ist, wenn er nicht auf die Förderung
durch den Einzelhandel rechnen kann, wurde im Anschluß
an diese Denkschrift die Ausstellung „Glas und Por-
zellan" veranstaltet. Ihr Zustandekommen wurde sehr
erleichtert durch die finanzielle Beihilfe des Landes-
gewerbeamtes, das durch seine vorwärtsschauende Aus-
sfellungspolitik wesentlich dazu beigetragen hat, daß das
württembergische Gewerbe immer den Anschluß an die
lebendige Entwicklung behalten hat. Die Ausstellung
„Glas und Porzellan" hatte gemäß dieser Denkschrift
zunächst die Aufgabe, solche Verkäuferkurse an einem
reinlich ausgewählten Anschauungsmaterial eines klar
begrenzten Teilgebiets häuslichen Gerätes zu ermög-
lichen, ist aber darüber hinaus zu einem Erfolg auch für
die Unterrichtung weiter Verbraucherschichten über den
Bestand an guten neuen Formen geworden. Denn mehr
als in anderen Branchen werden in der Glas- und Por-
zellanbranche die schlichten undekorierten Formen in den
Läden durch die anspruchsvollere Wirkung der reich
dekorierten geschliffenen, bemalten, gepreßten Formen
beiseite geschoben, so sehr, daß der Käufer häufig diese
glatten schmucklosen Formen neben den dekorierten
Formen übersieht oder doch ihre eigentümliche Schönheit
nicht aufzufassen vermag. Nur wo diese Formen unter
sich erscheinen, unbelästigt von dekorativem Schwall
„reicher" Formen, „sprechen" sie überhaupt und feilen
die natürliche Formanmut mit, die sie ohne jede
schmückende Zutat durch die Vollkommenheit ihrer
zweckmäßig gebildeten Form besitzen.

Die von Gustav Stotz, dem Geschäftsführer und Initia-
tor der Stuttgarter Gruppe, getroffene Auswahl der in
der Ausstellung „Glas und Porzellan" gezeigten Gegen-
stände vermag einen guten Überblick über den natür-
lichen Formreichtum zu geben, der sich auch bei Ver-
zicht auf dekorative Zutat durch Eingehen auf die
Eigentümlichkeiten des Materials, des Fabrikationsvor-
ganges, der struktiven Verbindungen, durch sorgfältige
Verfolgung und Differenzierung der Gebrauchszwecke
ergibt, über eine bloße ästhetische Aufreihung neuer
und alter guter Formen hinaus gibt die Stuttgarter Aus-
stellung zudem eine von Dr. Gretsch vom Landesgewerbe-
amt bearbeitete Übersicht über Rohstoffe, Herstellung,
Qualitäten und Formmöglichkeiten von Glas und Por-
zellan, an Hand gut ausgewählter Beispiele kurzer prä-
ziser Texte und Fotografien.

So sieht man die Rohstoffe von Glas — Sand, Pott-
asche, Soda, Kalkstein und Mennige — in runden Töpf-
chen vorgeführt, Proben der Glassorten — Sodaglas,
Kristallglas und Bleikristallglas —, Darstellungen der
Vorgänge beim Schmelzprozeß und der verschiedenen
Möglichkeiten bei der Formgebung: freihändig mund-
geblasenes Glas, in Formen eingeblasenes Glas,
maschinengeblasenes und gepreßtes Glas. Auch die
dekorativen Möglichkeiten werden vorgeführt, ohne daß
in den Begleittexten die Bedenken verschwiegen werden,
die gegen viele dieser Verfahren bestehen. Man sieht
Kristallglas mit Gelbbeize, Rotätze, Kupferlüster, Iris-
lüster und Orangelüster, in der Masse grün und violett
gefärbtes Kristallglas, Kristallglas mit rubinrotem und
blauem Außen- und Innenüberfang, durch Eintauchen in
Säure seidenmatt gewordenes Glas, kraqueliertes,
glühend abgeschrecktes und nachher verschmolzenes
Glas, durch Aufstreuen von gemahlenem Glas und nach-
heriges Verschmelzen im Ofen erzieltes Eisglas, in der
Masse gefärbtes Sodaglas, absichtlich mit Bläschen und
Schlieren durchsetzt, optisch eingeblasenes Glas und
Preßglas verschiedener Qualitäten, Anwendung von ver-
schiedenen Schnitt- und Schiiffarten, von Transparent- und
Emailfarbendekor.

Ganz ebenso ist auch die Übersicht über Herstellung,
Qualitäten und Formmöglichkeiten des Porzellans auf-
gebaut. Zunächst werden Irdengut, Steingut, Steinzeug
und Porzellan vergleichsmäßig gegenübergestellt, dann
die Möglichkeiten der Formgebung dargestellt, frei-
gedrehte Formen, Einformen und überformen unter Ver-
wendung von Gipsformen und Schablonen, Gießen mit
dünnflüssiger Masse, Pressen mit Metallformen. Auch die
Arten der Glasuren und Dekormöglichkeiten werden vor-
geführt.

Von diesen Übersichten, die dem Betrachter eine Vor-
stellung von den technischen Voraussetzungen geben,
deren Beispiele aber notwendig auch Gegenbeispiele
einschließen müssen, scheidet sich die Vorführung des
Bestands an vollkommenen dekorfreien Formen, die wir
in Porzellan und Glas heute besitzen. Die Bestände be-
schränken sich nicht auf Deutschland, sondern begreifen
auch die besten ausländischen Erzeugnisse ein. Ein
großer Teil der Glassammlung entstammt dem „Museum
für das vorbildliche Serienprodukt" der Kestner-Gesell-
schaft Hannover, das der Günther-Wagner-Stiftung der
Pelikanwerke Hannover seine Entstehung verdankt und
unter anderem auch die von Hilberseimer für die
Monzaer Werkbundausstellung gesammelten Bestände
enthält. Besonders reich ist in der Glassammlung die
Theresienthaler Kristallglasfabrik und die Glasfabrik
Leerdam vertreten, die beide ausgezeichnete, undeko-
rierte Formen von Trinkglas und Vasen besitzen. Weiter
sind sehr schöne, zweckmäßige Gläser von der Karl-
Georg - Friedrich - Regen - Hütte, der Kristallglasfabrik
Steigerwald, von Moser in Meierhöfen, Richard Süßmuth
in Penzig, den Stützenbacher-Frauenwalder Glashütten-
werken, Orrefors-Gläser und Gläser der vorzüglichen
Staatlichen Fachschule für Glasindustrie in Zwiesel zu
sehen. Als fehlend bemerkt man an wesentlichen die
Gläser von Lobmeier, Wien. An Porzellan hat einen

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