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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Riezler, Walter: Drei Bücher über "Technik"
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0440

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niedrigen Zweck, unrichtig ist, daß das technische Denken
und Erfinden im tieferen Sinne zwecklos, d. h. Dienst an
der reinen Idee ist, zu der sich die Zwecke erst nach-
träglich gesellen. Aber während der Physiker sich bei
dem Bewußtsein jener Einheit beruhigen kann und nicht
nötig hat, nach Gut oder Böse, Segen oder Fluch zu
fragen, muß dem religiösen Menschen gerade diese
Frage am Herzen liegen. So sehen wir auch in der Tat,
wie Dessauer diese Frage in den Mittelpunkt seines
Buches stellt. Er ist zu tiefst davon überzeugt, daß die
Technik, richtig verstanden und angewendet, Segen und
nur Segen für die Menschheit bedeutet, — daß der
utopische Traum Bacos von Verulam von der durch die
Technik glücklichen Insel im Begriffe ist, Wirklichkeit zu
werden.

Nicht im Sinne eines flachen Fortschrittsoptimismus will
Dessauer diesen Glauben verstanden haben, und vor
allem ist für ihn der technische Fortschritt nicht etwa
Selbstzweck: „Technische Erlösung, technische Mittel allein
machen nicht glücklich, nicht edel, aber sie sind wesent-
liches Element der Veredelung des Glückes, Faktoren der
Kultur." Und daß er das Wort „Kultur" noch ernst, noch
im geistigen Sinne nimmt, das beweist sein schöner Satz:
„Die Ebene der Kampfprobleme im Menschenleben, die
Ebene seiner Interessen bedeutet die Höhe seiner Kultur."
Nun ist nach seiner Überzeugung die der Gegenwart zu-
geteilte Aufgabe, die menschliche Kultur neu aufzubauen,
nur mit Hilfe der Technik lösbar: die Grundrichtung dieser
Kultur ist eine soziale, und sozial im tiefsten Sinne ist
die richtig verstandene, richtig angewendete Technik. Nur
mit ihrer Hilfe gelingt die „gegenseitige Hilfe", der nun
im Gegensatz zu früher nicht mehr persönliche, sondern
namenlos gewordene Dienst, den die Menschen einander
leisten: „Dienstgemeinschaften, die grundsätzlich dem
einzelnen alles gewähren, wenn er dafür das Seine allen
gewährt" — dies ist nach Dessauers Überzeugung das
Endziel der neuen, allmählich entstehenden Gesellschafts-
ordnung, ein Ziel, das nur mit Hilfe der Technik erreicht
werden könne. Daß wir in Europa und Amerika von
diesem Ziele noch sehr weit entfernt sind — heute offen-
bar weiter als vor einigen Jahren, da jene Sätze ge-
schrieben wurden! —, ist nicht zu verkennen. Dessauers
These ist heute in der Tat nur eine ethische Forderung, —
wie sie nur von einem Menschen erhoben werden kann,
der den Schluß für zwingend hält, „daß Technik ethischen
Eigenwert hat, immanente Religion trägt, daß sie, in der
Sprache der Religion gesprochen, nicht gottesfern ist,
sondern vom Schöpfer kommt und zu Gottes Thron führt".

Auch das zweite Buch, „Wegweisung der Technik" von
Rudolf Schwarz*), dem auch den Lesern der „Form" wohl-
bekannten Architekten und Leiter der Aachener Kunst-
gewerbeschule, entstammt der katholischen Welt. Es ist
wichtig, daß gerade der Katholizismus das Bedürfnis fühlt,
sich mit diesem Gegenwartsproblem von höchster Be-
deutung auseinanderzusetzen. Freilich ist hier die Be-
ziehung nicht so deutlich wie bei Dessauer zu merken.
Vielleicht stammt eine gewisse Feierlichkeit der Sprache
daher, die das Lesen ebenso erschwert wie der Druck des
Buches in fast sakral wirkenden Lettern. Möglicherweise
liegt es daran, daß es nicht so leicht gelingt, die leitende
Idee mit jedem einzelnen der sehr reichen Gedanken in
Einklang zu bringen, wenn auch diese Idee selber sehr
klar ist: im Gegensatz zu Dessauer, der die ganze
moderne Kultur aus der Technik entwickelt und neben ihr
keine anderen formenden Kräfte zu kennen scheint,

*) Verlag Müller & Kiepenheuer, Potsdam

jedenfalls keine anderen nennt, weist Schwarz der Technik
den Weg, d. h. er teilt ihr eine ganz bestimmte Aufgabe
zu, neben der er aber auch noch andere Aufgaben nicht
nur gelten läßt, sondern als zum mindesten ebenso be-
deutsame der Menschheit ins Gedächtnis ruft, so daß die
„Wegweisung" zugleich ein „In-die-Schranken-Weisen"
bedeutet. In der Einleitung wirft er sogar die Frage auf:
ob die Menschheit verantworten könne, daß diese neue
Welt entstehe, — denn sie sei nicht unvermeidbar. Im
weiteren Verlauf aber scheint er ihre Mächtigkeit doch so
hoch einzuschätzen, daß man an ihre Vermeidbarkeit
nicht recht glauben kann. Erkennt er doch sogar die
Autonomie und Naturverbundenheit der technischen
Formenwelt an und nimmt sehr richtig die Tatsache von
deren Existenz als Beweis für die überrationale Natur der
Technik. Wie er das Wesen der technischen Form ana-
lysiert, das ist ganz ausgezeichnet und sehr lesenswert.

Auch wird man ihm nur darin folgen können, wenn
er in dem „Gesetz der Serie" einen der wesentlichsten
Angelpunkte des technischen Problems sieht. Allerdings
scheint mir seine Analyse des Begriffs nicht frei von
Widersprüchen zu sein. Einerseits sieht er in der Serie
ein echtes Erzeugnis des technischen Geistes und billigt
auch ihr, wie der Technik im allgemeinen, eine gewisse
Irrationalität zu: „Menschliches Werk pflegte sonst, pflegte
früher anders zu sein: Es trug das Zeichen eines ein-
maligen Meisters, das Bild der Seele. Wie eine Natur-
gewalt bricht nun über das Werk das fremde Prinzip der
Reihe herein, und vor der brutalen Kraft dieses Einbruchs
verblaßt jedes rationale Argument zur voreiligen Illusion."
Anderseits aber ist „Serie" für ihn nichts Neues und
nicht auf die technische Gegenwart beschränkt: auch die
Sphinxalleen von Ägypten, die Löwen der Prozessions-
straße von Babylon, die Bogen der römischen Aquädukte
gehören für ihn in das Reich der „Serie", und unter den
Abbildungen des Buches findet sich auch eine griechische
(oder klassizistische) Säulenhalle als Beispiel einer Serien-
form. Hier scheint mir der Begriff der „Reihe" nicht klar
genug von dem der „Serie" geschieden zu sein, — welch
letzterer Begriff doch eigentlich der Welt der Maschine
vorbehalten bleiben muß, da diese allein imstande ist,
eine und dieselbe Form beliebig oft mathematisch gleich
zu wiederholen. Trotz dieser begrifflichen Unschärfe ist
das, was Schwarz zu dem Problem zu sagen hat, aus-
gezeichnet. Er denkt nicht daran, der Serie wahren Wert
abzusprechen, er billigt ihr „Größe", ja sogar die Mög-
lichkeit höchster „Qualität" zu, aber er warnt davor, über
ihrer Macht die „Personalen Werte" zu vergessen, deren
Reich auch heute unangetastet bleiben müsse. Wenn er
es auch für erforderlich hält, die „Serie" so wichtig wie
irgend möglich zu nehmen, d. h. alles das, was in ihr
Reich gehört, zur größtmöglichen Vollkommenheit zu
steigern, so gibt es doch für ihn Aufgaben, die innerhalb
dieses Reiches nicht zu lösen sind, die daher der per-
sonalen Sphäre vorbehalten bleiben müssen. Und hierbei
hält er es für entscheidend, daß diese beiden Sphären
nicht etwa ohne inneren Zusammenhang nebeneinander
bestehen, sondern daß die beiden Seinsformen durch eine
„polarisierte Ordnung" zu einer Einheit zusammen-
gebunden werden. Dadurch allein kann unsere Kultur
gerettet und vermieden werden, daß die menschliche
Natur schließlich dem Endzustand „träger Entropie" an-
heimfällt.

Von dieser Rettung unserer Kultur durch die richtig ge-
leitete Technik ist in dem dritten Buche, das wir besprechen
wollen, nicht die Rede, — noch weniger von der Herrlich-
keit des „vierten Reichs", das uns nach Dessauer die

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