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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Riezler, Walter: Drei Bücher über "Technik"
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0441

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Technik bescheren soll. Für Oswald Spengler („Der
Mensch und die Technik, Beitrag zu einer Philosophie des
Lebens"*) bedeutet die Technik unserer Zeit die letzte,
bald überwundene Etappe auf demWege zum endgültigen
Untergange der menschlichen Kultur. Spengler ist zweifel-
los von den dreien der blendendste Geist, und die über-
raschenden Einfälle jagen sich nur so bei ihm, — aber er
scheint selbst zu merken, daß die Überzeugungskraft
seiner Ideen mit der Zeit nicht gerade zunimmt. Denn
die kokett-heroische Geste, mit der er zartnervigen Zeit-
genossen erschreckende Paradoxien ins Gesicht schleudert,
wird immer absichtlicher, sein logisches Gewissen immer
weiter. Das nicht hundert Seiten umfassende Büchlein
enthält eine Fülle von neuen, verblüffenden Gedanken,
— aber man ist immer wieder versucht, zu fragen, woher
er es denn weiß, daß es so ist, ob es sich nun um fernere
Vergangenheit handelt — wie bei der Behauptung, daß
Hand und Werkzeug des Menschen gleichzeitig ent-
standen sein müssen (wo doch auch der Affe die Hand
hat, aber kein Werkzeug kennt!) —, oder um die Gegen-
wart — wenn er dekretiert, daß die Sowjetherrschaft seit
15 Jahren nichts anderes versuche, als unter neuem
Namen die politischen, militärischen und wirtschaftlichen
Organisationen wiederherzustellen, die sie zerstört hat —,
oder um die Zukunft — bei der oben erwähnten Prophetie.

Was ist nun für Spengler die Technik? Sie ist ur-
sprünglich nicht an das Werkzeug gebunden und auch
nicht auf den Menschen beschränkt: auch der Löwe, der
eine Gazelle überlistet, hat dabei eine „Technik". „Tech-
nik ist die Taktik des Lebens", und dieses Leben, beim
Tier und dem Raubtier Mensch, ist Kampf. Immerhin be-
steht auch für Spengler ein Unterschied zwischen der
Technik der Tiere und der der Menschen. Die Technik der
Tiere ist Gattungstechnik und unvergänglich; die der
Menschen ist „bewußt, willkürlich, veränderlich, persönlich,
erfinderisch . . . Der Mensch ist der Schöpfer seiner
Lebenstaktik geworden. Sie ist seine Größe und sein Ver-
hängnis. Und die innere Form dieses schöpferischen
Lebens nennen wir Kultur, Kultur besitzen, Kultur schaffen,
an der Kultur leiden."

Also auch hier eine gewisse Gleichsetzung von Technik
und Kultur, — aber freilich bedeuten diese Worte bei
Spengler etwas anderes: Da der Mensch ein Raubtier ist,
dient die Technik hauptsächlich dem Raub und Krieg —,
im weitesten Sinne —, und Kultur ist Macht, — „Ge-
schichte ist Kriegsgeschichte". (Als wenn nicht die Ge-
schichte der römischen Kriege die gleichgültigste Sache
von der Welt wäre, wenn die Römer nicht mit Hilfe dieser
Kriege den griechischen Geist über das Abendland ver-
breitet und damit die Grundlage für unsere ganze Kultur
gelegt hätten!)

Der zweite Grundgedanke Spenglers ist nicht weniger
problematisch als der erste: Jede technische Leistung des
Menschen, angefangen vom Anzünden des Feuers bis zu
den höchsten Leistungen, ist wider die Natur: „der Natur
wird das Vorrecht des Schöpfertums entrissen. Der
schöpferische Mensch ist aus dem Verbände der Natur
herausgetreten, und mit jeder neuen Schöpfung entfernt
er sich weiter und feindseliger von ihr . . . Die Tragödie
des Menschen beginnt, denn die Natur ist stärker . . .
Alle großen Kulturen sind ebenso viele Niederlagen . . .
Der Kampf gegen die Natur ist hoffnungslos, und trotz-
dem wird er bis zu Ende geführt werden."

Man sieht, ein schärferer Gegensatz zu Dessauer läßt
sich nicht mehr denken. Kann man diesem eine gewisse
Romantik vorwerfen, weil bei ihm die Technik in der Tat

*) C. H. Beck'sche Verlagsbuchhandlung, München

etwas im verklärenden Lichte eines Traumes vom wieder-
kommenden Paradiese erscheint, so ist Spenglers Romantik
noch viel schrankenloser und — unfruchtbarer, in gewisser
Hinsicht der Lehre von Klages verwandt, der bekanntlich
in dem allmählichen, sehr früh beginnenden Abfall von
der rein naturverbundenen „Seele" die „Schuld" des
Menschengeschlechtes und die Ursache seines schließlichen
Unterganges sieht. Nur, daß bei Klages der Schwerpunkt
auf der großartigen poetisch-metaphysischen Schau der
Vergangenheit liegt, hinter der die Gegenwart als etwas
Gleichgültiges verschwindet, während Spengler eigentlich
nur von der Gegenwart spricht und den Leser zwingen
will, diese gerade so hoffnungslos anzusehen wie er
selbst. In ihr sieht er drei Symptome des unmittelbar
drohenden Untergangs: er behauptet, daß die abend-
ländische Welt der Technik satt zu werden beginnt, indem
die Qualität des technischen Nachwuchses rasch ab-
nehme, was als die „Flucht der geborenen Führer vor der
Maschine" auszulegen sei(?). Im Zusammenhang damit
entwickle sich die Spannung zwischen Führerarbeit und
ausführender Arbeit zu einer Katastrophe, und die Folge
davon sei „die Meuterei der Hände gegen ihr Schicksal,
gegen die Maschine"(?). Das dritte Symptom sei der
„Verrat an der Technik", den die weiße Rasse dadurch
begangen habe, daß sie, anstatt das ihr gehörende Ge-
heimnis der Technik zu hüten, dieses den „Farbigen" (zu
denen für Spengler auch die Russen und die Balkan-
völker gehören!) mitgeteilt habe. Infolgedessen sei es
zu Ende mit der „luxuriösen Lebenshaltung des weißen
Arbeiters" (!), — die weiße Arbeit werde überflüssig.

Und die Folgerung hieraus für uns? — „Wir müssen
tapfer den Weg zu Ende gehen, der uns bestimmt ist",
den Weg zum „ehrlichen Ende". Und nur die Welt-
anschauung des Achill sei unser würdig: „Lieber ein
kurzes Leben voll Taten und Ruhm als ein langes ohne
Inhalt." Freilich, — was das für „Taten" sind, die uns
noch zu tun übrigbleiben, wenn nicht sinnlose Taten der
Verzweiflung, — das verrät uns Spengler nicht, und wenn
er fordert, wir müßten auf unserem Posten ausharren wie
jener römische Soldat in Pompei, — so vergißt er uns zu
sagen, was das für ein Posten sei.

Hat es für uns im Werkbund überhaupt einen Sinn, uns
mit diesen so widersprechenden Auffassungen ausein-
anderzusetzen? Diese Frage ist, wie mir scheint, in jedem
Sinne zu bejahen. So einfach ist die Lage nicht, daß man
nicht versuchen sollte, sie durch Beleuchtung von allen
Seiten zu klären, vor allem, zu einer Entscheidung dar-
über zu kommen, was an dem Problem „Vordergrund",
was „Hintergrund" sei. Daß Dessauer in seinem Bemühen,
zum religiös-metaphysischen Kern vorzudringen, gewisse
Konflikte der Gegenwart, die die Uberzeugungskraft
seiner Prophetie stark gefährdet, übersieht oder zuwenig
wichtig nimmt, scheint mir ebenso festzustehen wie die
Tatsache, daß Spengler seine ganzen großartigen welt-
und erdgeschichtlichen Perspektiven nur dazu benutzt, ge-
wisse Vordergrunderscheinungen, die im Augenblick aller-
dings sehr wichtig zu nehmen sind, auf seine äußerst sub-
jektive, durch persönliche Antipathien bestimmte Art zu
interpretieren. Keinem von beiden können wir vorbehalt-
los folgen, — von beiden können wir lernen. Aufgabe
des Werkbunds scheint mir hierbei ungefähr die von
Schwarz aufgezeigte zu sein: der Technik „den Weg zu
weisen", — oder, besser und bescheidener gesagt: der
Technik auf den Wegen aufmerksam und zum Eingreifen
bereit zu folgen, auf denen die geistig-kulturellen Fragen
zu entscheiden sind. Denn sie allein gehen den Werk-
bund an!

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