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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Ginsburger, Roger; Riezler, Walter: Zweckhaftigkeit und geistige Haltung
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0445

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grundlos ist, da auch die frühere „große Baukunst" nicht
ein solches metaphysisches Ziel angestrebt, sondern ein
rational faßbares Ziel mit rational faßbaren Mitteln
zu erreichen gesucht hat. Doch ich will mich nicht auf
das Wort „geistig-seelisch" festlegen, sondern annehmen,
daß Sie mit meiner materialistischen Ästhetik einver-
standen sind und mit Ihrer Forderung vor allem sagen
wollen, es genüge nicht, daß die Konstruktion, die Wirt-
schaftlichkeit und Zweckmäßigkeit eines Hauses gelöst
seien, der Architekt müsse auch den psychologischen Be-
dürfnissen Rechnung tragen. Und mit dieser Forderung
bin ich vollkommen einverstanden und behaupte, daß
sie für jeden auch noch so radikal materialistisch denken-
den Architekten selbstverständlich ist, daß jeder im Farb-
lichen und Räumlichen die psychologische Forderung als
Teil der Zweckforderung anerkennt. Aber wenn Sie das
Haus Tugendhat und die Wohnbauten von Le Corbusier
als Schulbeispiele für die Lösung dieser Forderung auf-
stellen, bin ich nicht mehr Ihrer Meinung. Es ist sehr ver-
schieden, ob man in einem Raum die Farben harmonisch,
freundlich und licht, die Proportionen ruhig, die Ver-
teilung von Fenstern und Türen ordentlich hält und ob
man mit Farben, Formen und Materialien, mit Verhält-
nissen und Beziehungen von Flächen und Öffnungen
den bestimmten Eindruck der Sanftheit, der Brutalität,
der Anmut oder der Würde, wie Le Corbusier sagt,
hervorrufen will. Um beim Brünner Haus von Mies
van der Rohe zu bleiben, es ist verständlich, wenn er,
da ihm die Mittel zur Verfügung standen, dem Be-
dürfnis des heutigen Menschen nach Luft, Licht und
Naturverbundenheit soweit entgegenkommt, daß er die
Außenwände ganz aus Glas und versenkbar machte, aber
es entspricht nicht einem natürlichen Bedürfnis, wenn er kost-
bare Materialien verwendete, wenn er den Eindruck der
Dynamik hervorrufen wollte durch die Stellung der
Zwischenwände und die Raumform. Ich kann nur nach
den Fotos und dem Grundriß urteilen, aber ich verstehe
trotzdem sehr wohl die Mittel, welche den Eindruck
„heilige Halle" in demjenigen hervorrufen, welcher den
Wohnraum des Erdgeschosses betritt. Ich verstehe das
Staunen, das man empfindet, wenn man von der Straße
in ein ziemlich niedriges Gebäude kommt, durch eine
fast unauffällige Tür geht und eine gar nicht monumen-
tale Treppe hinabsteigt und nun plötzlich einen ganz
großen Raum vor sich liegen sieht, der noch größer
wirkt als er ist, weil er nicht vollkommen übersehen wer-
den kann, und die Außenwände aus Glas sind, wenn
man außerdem in diesem Raum das Glitzern des Chrom-
nickels und der polierten Onyxwand sieht und auf dem
glatten Steinholzfußboden die reiche Ornamentik der
Perserteppiche wie auf einem Präsentierteller vor sich
hat, wenn man die weitgespannte Decke nur von den
dünnen, durch die glänzende Umschalung noch dünner
erscheinenden Eisenpfosten getragen fühlt. Dies Staunen,
dies Benommensein aber ist ein Gefühl genau derselben
Art wie dasjenige, das uns beim Betreten einer Kirche
oder eines Palastes erfaßt. Die Mittel sind raffinierter,
man verzichtet auf Symmetrie und Formenreichtum, man
arbeitet mehr mit Gegensätzen und läßt die Ornamentik
der Onyxwand und der Teppiche und die Ideen-
assoziation des materiellen Wertes, den sie auslösen,
durch die Glätte und Einfachheit der übrigen Dinge noch
stärker wirken. Aber das Ziel ist dasselbe: den Eindruck
des Reichtums geben, des Besonderen, des nie Erlebten.

Es gibt ein sehr einfaches Kriterium für die Wohn-
lichkeit, d. h. den funktionellen Wert eines Wohnraumes.
Man stellt sich vor, daß man in dem Räume leben muß,

daß man müde nach Hause kommt und sich ganz un-
zeremoniös in einen Sessel setzt, mit überschlagenen
Beinen, daß man Freunde empfängt, Grammofon spielt,
alle Möbel in eine Ecke rückt und tanzt, daß man einen
großen Tisch aufstellt und Ping-Pong spielt. Kann man
das in diesem Raum, kann man überhaupt noch gehen
darin und muß man nicht schreiten, kann man den Tisch
aus dem Zentrum der halbkreisförmigen Eßnische heraus-
nehmen oder den Teppich vor der Onyxwand weg-
nehmen ohne eine Heiligtumsschändung zu begehen,
ohne daß die ganze Stimmung zerrissen ist? Nein, man
kann es nicht.

Ich gebe gerne zu, daß die Stoffe der Onyx- oder
Edelholzwand erstaunlich schöne Dinge sind, so schön
und aus demselben Grunde schön wie eine Felswand in
den Alpen, aus deren Schichtungen und Furchen wir das
Wirken der Naturgewalten herauslesen, oder wie die
mikroskopische Aufnahme eines einzelligen Wesens.
Aber man stellt sich solche Dinge nicht ins Zimmer, um
sie immer wieder zu genießen, schon weil dieser Genuß
sehr schnell abgestumpft wird und vor allem, weil man
andere Dinge zu tun hat als Onyxwände und Edelholz-
furniere zu betrachten. Aber in Wirklichkeit würden sie
ja gar nicht dastehen, wenn sie billig wären, sie werden
verwendet wegen der Idee der Kostbarkeit, die sie er-
wecken, genau so wie unregelmäßig grob handgewebte
Stoffe heute bei den reichen Leuten als fein gelten, weil
billigere maschinengewebte Stoffe sehr leicht regelmäßig
gewebt werden können, während noch vor einem Jahr-
hundert die reichen Klassen sich immer die regelmäßig-
sten Stoffe aussuchten, da sie von Hand am schwersten
herzustellen, also am teuersten waren.

Wenn man von einer Dame sprechen hört, die ihren
drei chinesischen Zwerghündchen jeden Tag für 12 Mk.
Kalbfleisch kauft, dann denkt man an die Millionen von
Menschen, die heute hungern, und entrüstet sich. Ist der
künstlerische Luxus nicht ebenso verdammenswert, ist er
nicht geschaffen mit einem Besitz, der nicht von der
Arbeit eines einzelnen Menschen entstehen konnte, son-
dern nur von der Mitarbeit von hunderten, die heute
vielleicht hungern? Ich gehe soweit zu sagen, daß sogar
die Verwendung versenkbarer Glaswände heute ein un-
moralischer Luxus ist. Denn solange das Verhältnis von
Mehrwert zu Mehrleistung so unverhältnismäßig groß ist
wie hier und solange die Produktionsleistung der Gesamt-
heit nicht so groß ist, daß solche Dinge für alle möglich
werden, solange ist es Diebstahl am Besitz der Gesamt-
heit, wenn ein einzelner sie benutzt. Man kann mir
antworten, daß die heutige Moral die Ansammlung von
Besitz nicht verdammt, wenn sie auf ehrlichem Wege
geschieht. Dann ist es eben traurig, daß die Wege, die
ohne produktive Arbeit zu Besitz führen, noch als ehr-
lich gelten!

Zu Ihrer Meinung, das neue Form- und Raumgefühl
entspräche einem neuen Weltgefühl, welches materia-
listisch nicht erklärbar sei, möchte ich bemerken, daß man
bei den Bauten von Le Corbusier und Mies van der Rohe,
von denen Sie ausgehen, zweierlei Dinge unterscheiden
muß. Einerseits sind es diejenigen, welche aus der Er-
kenntnis entstanden sind, daß nur die zweckmäßige
Form richtig ist, daß die von den Ingenieuren ver-
wendeten Konstruktionen auch von den Architekten be-
nutzt werden sollen, weil sie sehr große Vorteile ver-
schaffen, und daß der heutige Mensch andere Bedürf-
nisse hat als die Schichten, welche früher die Architektur-
formen bestimmten. Andererseits sind es die Dinge, die
bei diesen Architekten sich aus ihrem Glauben an die

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