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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Bier, Justus: Standardform im Besteck: Bildbericht des Museums für das vorbildliche Serienprodukt Günther Wagner-Stiftung der Pelikan-Werke Hannover
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0463

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hunderts zurückverfolgen. Sie ist in engstem Anschluß
an die Funktion entwickelt, d. h. es ist darauf geachtet,
daß das Besteck gut in der Hand liegt, daß man gut da-
mit schneiden, stechen, löffeln kann. Der Messergriff ist
im Querschnitt nicht rund, sondern oval, damit sich das
Messer nicht verdreht, die Hand eine sichere Führung
hat. Der Anschluß des Hefts an die Klinge ist so gelöst,
daß der Zeigefinger, der beim Schneiden den Druck
ausübt, nicht auf die Klinge abgleiten kann. Löffel und
Gabel ruhen durch ihr kurvig geschwungenes Profil
ausgewogen in der Hand, die Gabel wendet sich
leicht, sie läßt sich stechend und hebend gleich gut ver-
wenden. Der Griff endigt bei Messer, Gabel und
Löffel rund, das Messer ist zudem gegen das Ende zu
verdickt, so daß sich die Formen bequem in den Hand-
teller einschmiegen.

Die Formen unterscheiden sich nach schwereren und
leichteren und geben hierin bei aller standardmäßigen
Gleichheit die Möglichkeit individueller Wahl. Aber

über diese Unterschiede hinaus, die sich in der verschie-
denen Länge und in der verschiedenen Griffbreite der
einzelnen Formen auswirken, bestehen auch Unterschiede
des Formausdrucks, die nicht mehr eindeutig zweckhaft
bestimmt sind: die Messerhefte können mehr keulen- oder
mehr walzenförmig gebildet sein, mit kurviger Verbreite-
rung oder mit einer Kehle sich gegen die Klinge ab-
setzen, diese Kehle selbst kann schmäler oder breiter
ausgebildet werden. Die eiförmige Löffelmulde kann ein
spitzeres oder runderes Oval erhalten, das Zinkenteil
der Gabel kann in den Griff kurvig überführt oder gegen
den Griff eckig abgesetzt werden usw. Aus diesen inner-
halb der Standardform möglichen Variationen ergibt sich
der Unterschied im Formausdruck funktionell gleich-
wertiger Formen. Alle formale Durchbildung
wird hier einsetzen müssen, will sie nicht
die Reinheit und Strenge der funktionell
bestimmten Form zugunsten einer Mode-
laune preisgeben.

Links: silber plattiertes Eßbesteck von Mappin & Webb, Sheffield, Muster „ Old English". Das älteste Muster

der Firma, seit 100 Jahren in Fabrikation. Wird auch in massiv Silber hergestellt. Preis für Gabel und

Löffel etwa M 3.— bzw. M 8.40, Messer M 4.90 bzw. M 12.80

Mitte: silberplattiertes Eßbesteck von Ercuis, Paris, Modell „Baguette"

Rechts: Eßbesteck aus Nirostametall von Gottlieb Hammesfahr, Solingen - Foche

STANDARDFORMEN AUS DEUTSCHEN UND AUSLANDISCHEN FABRIKEN

Variationen der Standardformen aus deutschen, eng-
lischen, französischen Fabriken. Diese Bestecktypen
werden heute auf der ganzen Welt gebraucht, wo immer
auf europäische Art gegessen wird. Diese Typen, die
bereits im Anfang des 19. Jahrhunderts ihre heutige Form
angenommen haben, sind im 18. Jahrhundert entstanden,
als die neue Sitte mit an den Körper gezogenen Ellen-
bogen zu speisen, aufkam. Diese neue Sitte, die ermög-
lichte, dichter bei Tische zu sitzen ohne den Nachbarn
zu belästigen, erzwang eine neue Besteckform: das Be-
steck wurde nun nicht mehr von der vollen Hand umfaßt
— so essen heute noch Kinder und Bauern, die auf die
ältere primitivere Art breit mit abgespreizten Ellenbogen

bei Tisch sitzen —, sondern es wird kunstgerecht „ge-
führt". Mit dieser Verfeinerung der Tischsitte ver-
schwanden die im Querschnitt runden und polygonalen
Besteckgriffe, die Messerhefte erhielten ihre heutige im
Querschnitt ovale, walzen- und keulenförmige Gestalt,
Löffel und Gabel ihren heutigen blattartig endigenden
Griff, der erlaubt, sie im rechten Winkel zu Hand und
Vorderarm zu dirigieren. Die runde Löffelmulde, die
durch den Mund gezogen wurde, wurde endgültig durch
die ovale Laffe, die an den Mund herangeführt wird,
ersetzt. Die Eßgabel mit vier stumpferen, dem Mund
ungefährlichen Zinken wurde von der mit zwei spitzen
Zinken bewehrten Tranchiergabel unterschieden.

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