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Die Form: Zeitschrift für gestaltende Arbeit — 6.1931

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Schwab, Alexander: Baupolitik und Bauwitschaft, [18]
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https://doi.org/10.11588/diglit.13708#0492

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für ein darüber hinausreichendes Wirtschaftsgebiet auf-
zustellen." Ferner: „Die Aufstellung von Wirtschafts-
plänen, die Festsetzung von Bebauungsplänen, die Be-
stimmung von Bauvorschriften sowie die Durchführung
und Überwachung der Pläne ist Aufgabe der Gemeinden,
soweit die Aufgaben nicht nach Maßgabe des Landes-
rechts ganz oder teilweise staatlichen Stellen obliegen.
Landesrechtlich kann Abweichendes bestimmt, insbeson-
dere können diese Aufgaben ganz oder teilweise, all-
gemein oder für bestimmte Gruppen von Gemeinden an
Gemeindeverbände, öffentlich-rechtliche Körperschaften...
oder staatliche Stellen übertragen werden."

Das bedeutet erstens: die grundsätzliche Betrauung
der kommunalen Verwaltungsbürokratie
mit den Aufgaben des Städtebaus. Es bedeutet zweitens:
die grundsätzliche Beschränkung städtebaulicher
Planungsarbeiten auf den geographischen, wirtschaft-
lichen, kulturellen Horizont der einzelnen Ge-
meinde. Beides stimmt mit den Auffassungen, die der
moderne Städtebau entwickelt hat, nicht überein. Weder
können wir uns eine gedeihliche städtebauliche Ent-
wicklung vorstellen, wenn nicht grundsätzlich die Frage
nach dem Bauherrn durch enge und geordnete Zu-
sammenarbeit der Verwaltung mit Vertretern des wirt-
schaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens geregelt
wird — daß die heutige Form der kommunalen Ver-
waltung diese Kooperation an sich nicht gewährleistet,
bedarf wohl kaum eines Beweises — noch entspricht es
den heutigen Verhältnissen der Wirtschaft und des Ver-
kehrs, wenn die Planungsarbeit grundsätzlich auf den
Bezirk des einzelnen Kirch- oder Rathausturmes be-
schränkt wird. Da die Zeit der Postkutsche nun einmal
vorbei ist, kann im Städtebau die Zusammenfassung zu
größeren Planungsgebilden nicht die seltene Ausnahme
bleiben, sondern sie muß die Regel werden.

Der dunkelste Punkt des Entwurfes ist schließlich die
vorbehaltlose Übernahme der kunstpolizeilichen
Vorschriften aus der bestehenden Gesetzgebung.
Da heißt es noch immer: „Nach Maßgabe des Landes-
rechts ... können Vorschriften erlassen werden... in
bezug auf die künstlerische und einheitliche Gestaltung
und Erhaltung des Orts- und Städtebildes und auf die
Erhaltung des Landschaftsbildes und von Bau- und Natur-
denkmälern." Und über diese Kann-Vorschrift hinaus
wird sogar vorgeschrieben: „Die Bebauungspläne
haben ... den Schutz des Orts- und Landschaftsbildes,
die Erhaltung von Bau- und Naturdenkmälern und die
künstlerische Gestaltung der Bebauung zu fördern." In
dieser Beziehung ist also der neue Reichsentwurf um kein
Haar besser als der alte preußische. Dieser allerdings
enthielt außerdem für die praktische Durchführung noch
Bestimmungen, die alle Macht in die Hände des beam-
teten und konservatorisch eingestellten Elements gaben;
und gewiß ist bei solchen Kautschuk-Vorschriften das
Wichtigste die Praxis. Aber der Reichsentwurf, in dem er
in dieser Frage den Ländern freie Hand gibt, sanktioniert
die preußischen Vorschläge stillschweigend und geht,
ebenso stillschweigend, über die bekannten Vorschläge
der Architekten hinweg, die die „Kunstpolizei" der Ent-
scheidung freier Schiedsgerichte von Fachleuten über-
tragen sehen wollten.

Westeuropa und der russische Städtebau.

Durch eine interessante Denkschrift sucht die Sied-
lungswissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft, eine Zweck-
vereinigung einer Anzahl führender Fachverbände, eine
internationale Aussprache über die Probleme einzu-

leiten, die von der neueren Entwicklung des sowjetrussi-
schen Städtebaus aufgeworfen worden sind. Daß diese
Entwicklung besondere Beachtung verdient, ist hier im
Novemberheft bereits ausgesprochen worden, und die
Denkschrift nimmt auf unsere Ausführungen über die
Berliner proletarische Bauausstellung*) ausdrücklich Bezug.
Das russische Städtewesen ist bekanntlich im Zusammen-
hang mit dem Fünfjahresplan materiell durch Neugrün-
dungen und Umbauten in enormem Tempo entwickelt
worden, und Hand in Hand damit ging und geht noch
immer eine sehr umfangreiche Produktion auf ideologi-
schem und theoretischem Gebiet. Schon die verhältnis-
mäßig kleine Auswahl an Zitaten, die die Siedlungs-
wissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft als erste Anregung
mitteilt, läßt die Verschiedenheit der Standpunkte er-
kennen, wie sie bei dem inneren Widerstreit der Sowjet-
union zwischen kollektivistischer Propaganda einerseits,
einem tatsächlich überwiegenden Staatskapitalismus
eigenartiger Prägung in der Praxis andrerseits nicht
anders möglich ist.

Bei dieser Gelegenheit ist ein Rückblick lehrreich auf
das erste Auftreten des jungen sowjetistischen Städtebaus
in der westlichen Welt. Es war im Jahre 1923, bei Ge-
legenheit der Gothenburger Ausstellung. Damals be-
richtete ein großes rechtsstehendes Berliner Blatt: „Das
russische Ausstellungsmaterial kam leider für die meisten
Besucher und Kongreßteilnehmer zu spät. Technisch und
ästhetisch hat es auch nichts Bemerkenswertes gebracht.
Es handelt sich um dürftiges Siedlungsmaterial eines
wieder mit den primitivsten Mitteln und Methoden be-
ginnenden revolutionierten Agrarstaates. Kultur-, staats-
und wirtschaftspolitisch hingegen bot es neben den west-
lichen Industriestaaten mit ihren Großstädten eine Über-
sichtsmöglichkeit von unschätzbarer Bedeutung, weil es
die ganze Gefahr unserer Kulturentwicklung entrollt, an
deren Ende die Großstadt steht und deren Schicksal in
Rußland die Stadtruine und auf dem Lande das Erdloch
und die Bretterhütte ist." — Inzwischen sind acht Jahre
vergangen, die Russen sind von dem — stets nur als
Nothilfe gedachten — System der Erdlöcher und Bretter-
hütten längst abgekommen und schaffen sich, aus welchen
Gründen auch immer, inmitten ihres ungeheuren Agrar-
gebietes neue Industriezentren mit neuen Städten. Bei
uns dagegen — sind wir eigentlich von dem Zustand
der Stadtruinen und Bretterhütten so sehr weit entfernt?
Nur daß eben unsere — und überhaupt die westeuro-
päischen — Verhältnisse in fast allem übrigen so unge-
heuer von den russischen verschieden sind. Die einge-
leitete Diskussion wird sich dieser Unterschiede sehr ge-
nau bewußt bleiben müssen, wenn sie den Erfolg haben
soll, daß die westeuropäische Fachwelt aus der Entwick-
lung im sowjetrussischen Städtebau lernt.

Alexander Schwab

*) Die Ausstellung wird übrigens von offiziellen Sowjetkreisen
keineswegs voll gedeckt.

Mitarbeiter dieses Heftes:

Dr. Justus Bier, Schriftsteller, künstlerischer Leiter der Kestnergesell-

schaft E. V., Hannover
Richard L.F.Schulz, Kaufmann, Berlin

Wi I h e I m Wa g e n f e I d, Oberweimar (Thrg.), gestaltender Mitarbeiter
der Jenaer Glaswerke

Karl Rupflin, Professor an den Folkwangschulen, Kunstgewerbe-
schule, Essen

Dr. August Hoff, Geschäftsführer des Duisburger Museumsvereins
E.V., Duisburg

Dr. Alexander Schwab, Berlin, Volkswirtschaftlicher Schriftsteller

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