Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Anzeiger: unparteiische Tageszeitung für jedermann: Heidelberger Anzeiger: unparteiische Tageszeitung für jedermann — 1886

DOI issue:
Nr. 281 - Nr. 290 (2. Dezember - 13. Dezember)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.42545#0941

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

— — — — — — —

— — —

— —

— ——

— —

—— — —













Erſcheint täglich, Sonntags ausge⸗

Nommen, Preis monatlich 20 Pig,

Mit dem Illuſtrierten Unterhaltungs⸗

Matt 32 Pfg. — Wird in der ganzen

Stadt verteilt amd an den Siraben-
ecken angeſchlagen.











Alle Zuſendungen werden franko
erbeten.

Für die Aufnahme von Anzeigen

an beſtimmt vorgeſchriebenen Tagen,

wird keine Verantwortlichkeit über⸗
nommen.



Kr. 286.

Weihnachten!

Seit drei Jahren um diefe Zeit Kommen,
Neben fo vielen Anderen, auch die Damen he8
ieſigen Frauenvereins mit Bitten um Weihnachts⸗





linder. Es iſt die übernommene Pflicht gegen


erzu den Mut gibt, Aber fie wifjen auch, daß
3 feiner Zeit mehr al® gerade zu diefer Wohl-
häter und Eltern geneigt find, zu geben. Weih-
nachten iſt ja das Feſt der Kinder. Wenn für
Hlückliche Eltern die Zeit herannaht, wo ſie Ihre
Siehlinge mit GejhHenken erfreuen, dann gilt es
ie zu erinnern, wie manche Waiſen und verlaſſene
Kinder darben müſſen und ſie werden geneigt fein,
duch unter dieſen Glückliche zu machen. Der
ufruf für die heſigen in Familien untergebrach⸗
ken Pflegekinder hat bis jetzt noch immer Erfolg
hehabt und diesmal freuen ſich auch dieſe Kinder
chon das ganze Jahr auf die nützlichen Geſchenke,
welche die beaufſichtigenden Damen ihnen an den

eihnachtstiſch bringen wollen. An zwanzig Damen
der VI. Mbteilung des Frau-nbereinz unterziehen
— dieſer oft nicht leichten Pflicht mit liebevoller
ufmerkſamkeit. Sie beaufſichtigen zur Zeit
240 Pflegekinder, darunter 17 Vollwaiſen, 80 Halb⸗
waiſen, die auf ſtädtiſche Koſten mit Kreisbeltrog
berpflzat werden und 9 Landarme und 134 Privat-
Toftkinder. 3 b:finden fih Darunter Viele, die
bon ihren Eltern verlaffen find. Während in den

gemeinjamer, herrlicher Feier fich der reichlich
traurig geſtaltet ſich oft der Welhnachtsabend für

danke empfangen und knüpft in feſtlicher Stunde
kin freundliches Band zwiſchen arm und reich,
In dankbarer Erinnerung an die Großherzig⸗
eit, mit welcher in den letzken Jahren die Bitte
um Weihnachtsgaben für die armen in Familien
untergebrachten Pflegekinder erfüllt wurde, wieder⸗
olen wir dieſelbe auch in dieſem Jahre. Die
Vorſtandsdamen der 6. Abteilung des Frauenver⸗

fangen und wäre nur zu wünſchen, daß ſie recht⸗

Zur Empfangnahme von Weihnachtsgaben,



ereit:

Frau Profeſſor Holſten, Leopoldſtraße 27; Frau

Diterrieth, neue Schloßfiraße 24; Frau Dr.
eydellet, Theaterſtraße 4; Frl. G. Schmitt,

Senpoldftr. 58; Frau Schulze, Leopoldfir. 10.




Die Weihnachtsbeſcheerung betr.

Das Wäiihnachtsfeſt naht wieder heran und
wiederum richten wir an die Bewohner Heidelbergs
die freundliche Bitte, unz in der VBeranftaltung
einer Weihnachtsbeſcheerung durch geeignete Gaben
oder Geldgeſchenke unuterſtüßen zu wollen.

In beiden Anſtalten befinden ſich gegenwärtig
(a, 50 Kinder. Möge es uns durch rege Anteil⸗
Rahme vergöünnt fein, auch diesmal unjere Kinder
Mit Gaben zu erfreuen.

Gaben nehmen in Empfang Gerr Verwalter
Düdner im MWaifenhHaufe und Herr Verwalter
chifferer im Erziehungshaus.

Heidelberg, den 6 Dezember 1886.
Der Verwaltungsrat:
O. H. Sommer.



Bach- Verein.

Donnerstag, den 9. Dezember,
abends präcis 8 Uhr

Gesamt-Chorprobe.




Freitag, den 10, D. Mis,,
abends 8 Uhr

Ändet im feinen Saale der Harmonie
(fine Treppe hoch) die ſtatutengemäße

Gensral-Herfammlung
latt, wozu die bisherigen Mitglieder und
Alle Freunde des Eis-Vergniüzen® einge-

loden werden.
Der Vorstand.
Weidelberg, den 7. Dezember 1886.

Für Naucher.

Alle Sorten feine, ſelbſtgemachte Cigarren bei



urch eigene Schuld.

(27. Fortſetzung.)
„O, lieber Gott — Sie — Sie glauben nicht,
ich ſchuldig bin?“ ſtieß ſie endlich in abge⸗
kochenen Worten hervor. „Sie allein —“
„Still, Lieſe, regel Dich nicht auf; Du wirſt wieder
Sant werden und das darf nicht fein. IH weiß,
SB Du unfehuldig bift, Du würdeft. niemals etwas
erartiges hun“
A „O, gewiß niemals,” entgegnete fie unter ftrömen-
en Thränen. ” „Wißt Ihr denn auch, wie es ge⸗
men ft?“
Air „Nein, Lieſe. Aber ich will es auch nicht
Aſſen und beſonders jetzt nicht. Garmer wird Dich
ng Verderben gelockt haben.“
Sie ſchauderte zuſammen bei der bloßen Nennung
ES furdhtbaren Namens. Dann nicte fie leife
it dem Kopfe.
Ä Bon jenem Tage an bhefferte fich Lieſe's Zuſtand
N Otlich. Die trefflihe Pflege, die man ihr ange:
quden ließ, verfehlte nicht, eine günftige Wirkung
Zzuüben und bald war fie imftande, ihr Lager
verlaſſen.
Nun aber traten auch neue Beſorgniſſe an
oltor Leonhard heran. Was ſollte aus Lieſe werden?
täuſchte ſich nicht über die Gefahr, in welcher
Maͤbchen täglich, fundlich ſchwebte. Irgend
unvorhergeſehener Zufall konnte ihre Entdeckung
fie Deiführen und ihm blieb dann Feine Hoffnung,
vor ihren Feinden zu retten.
Io; SDier in der Stadt Konnte Liefe nicht bleiben,
u Over ihm auch eine Trennung von ihr werben
ade, nachdem er fi an ihre Gegenwart gewöhnt
Dat ſich in die Stelle eines Beidhüger8 Hineingelebt
Au te, Aber wohin wollte er fie bringen? Es gab
9 eine Familie in der Welt, bei welcher er ſie
er geborgen gewußt Hatte, im Haufe des Barons
u Dreuil. Einen Augenblif dünkte e8 ihm fogar
Gedanke von Gott ſelbſt eingeflößt, aber — er
ihn wieder auf, Welche Erinnerungen mochte

«

daß
B

Rab








gute Schweſter

Mittwoch, den 8. Dezember



Heidelberg,








Anfang 8 Uhr.

— Entre6e frei.




Heute Mittwoch,




den 8. Dezember






Anfang 8 Uhr.

Entree frei.




Pelz.











gesäumt, prima




Kindertücher
mit Stauren

pc. Dizd. Mk. 150,



I.Id. 2.



152
Hauptſtraße
152,

Glas-, Porzellan-


gaſſe.





u. Bronce-Artikel


Julius Krrnst.



Heute friſche Wurſt.

J. Eckert,
Filheraafie Nr. 14.


erft nad hartem Kampf zum Frieden gefommen war.

Shm blieb nur übrig, in einer entfernten Stadt
für Lieje ein Unterfommen zu juchen. In Bonn
Tebte eine im bekannte Familie Sand, zu weldher
er während feiner. Stubien in nahe Beziehungen
getreten war; fie war gewiß ein pafjender Aufenthalt
für das Kind, Aber ‚er Ihob. den Zeitpunkt, wo
er fi von ihr trennen mußte, weiter und weiter
hinaus und doch mahnte ihn fein Sewifjen an die
Erfüllung feiner freiwillig übernommenen Pflicht.
Liefe war unter feiner und Frau Kacob’8 Pflege
wie eine Rofe emporgeblüt und ihre fonft fo edigen
Formen wichen ſogar einer wohlthuenden Fülle.

Lieſe lebte wie in einem wunderbar ſchönen
Traum und ſie hoffte nur, daß es niemals ein Er—
wachen daraus geben möge. Ein ſinniger Ernſt
prägte ſich in ihren kindlichen Zügen aus und ließ
ſie gereifter erſcheinen. Wenn ſie ihrem Bilde in
einem der hohen Spiegel begegnete, fragte ſie ſich
wohl, ob ſie es denn ſein könne — des armen
Stadtſchreibers Kind.

Den Tod des Vaters Hatte der Doktor ihr,
nachdem fie voljtändig genejen war, mitgeteilt. Aber,
wenn fie auch bitterlich geweint hatte, der Sedanfe,
daß ſie trotzdem nicht einſam und verlaſſen ſei,
tröſtete und beruhigte ſie.

Der Traum, in welchem Lieſe lebte, mußte bald
ſein Ende erreichen. Eines Tages ſetzt ihr Wohl—
thäter ihr auseinander, daß ſie nicht immer bei ihm
bleiben könne und beſonders jetzt ihre eigene Sicher—
heit ihre Entfernung fordere. Sie war in einen
Strom von Thränen ausgebrochen, aber ſie war
feſt entſchloſſen, ſich allen Wünſchen ihres Wohlthäters
zu fügen; ihre Zukunft ſollte ihm gehören.

Der Doltor hatte ſeinen Plan entworfen. Er
wollte Lieſe nach Bonn bringen, bis in der Vater—
ſtadt die Angelegenheit der Vergeſſenheit verfallen
wäre. Er durfte hoffen, daß dies ſehr bald der
Fall ſein würde, da alle Welt Lieſe für tot hielt und
unter den Trümmern begraben glaubte, obſchon man
keine Spur von ihrer Leiche gefunden hatte.



Billig! Iſhnlrunzen, Gut!

eine große Wartie für Knaben und Mäd-
en, von Mi. 1.—, Sattlerarbeit von
Mk. 150 an, Jagrimſtraße 8

zu dieſer Trennung entſchloſſen; er glaubte, ſeitdem
ſeine gute Mutter tot war, nie wieder ein ſo trau:
liches Heim gehabt zu haben. Er war des abends
nach mühevoller Tagesarbeit nicht in ſein einſames
Zimmer zurückgekehrt, ſondern ſehnſuchtsvoll erwartet
worden und hatte die Liebe und Dankbarkeit em—
pfunden, mit der Lieſe an ihm hing. Wenn ſie ihn
erblickte, leuchtete es in ihrem Antlitz auf wie ver—
klärendes Glück.

So ſah denn ſowohl der Doktor als auch Lieſe
mit bangem Herzen die Stunde des Abſchieds kommen.
Doktor Leonhard hatte ſie von ſeinen Plänen und
Wünſchen unterrichtet und ſie konnte Gott nicht
genug danken für feine wunderbare Führung. In
berjelben Nacht, da fie erliegen zu müfjen glaubte,
war fie zu neuem Leben erwacht, Hatte er fie aufs
gerichtet und ihr eine Heimat. gegeben.

Schneller als dem Doktor lieb war, mußte die
Reife angetreten werden und eines Morgens mit
Tagesanbruch hielt der Wagen vor der CThlır, der
Lieſe fortbringen ſollte. Sein Herz war bleiſchwer,
daß er ſie ziehen laſſen mußte und ſie wieder unter
fremden Menſchen allein bleiben ſollte. Frau Jacob
hatte Lieſe ſorglich in einen Mantel gehüllt und mit
einer Kaputze das krauſe Haar bedeckt, ſo daß es
wohl Niemand einfallen fonnte, in dem rofigen,
friſchen Mädchenantlitze das der roten Lieſe zu er—
bliclen. Das Herz des Mädchens pochte in bangen,
ſchweren Schlägen, als ſie ſich dem Thore näherten und
ſie zitterte wie das Laub der Espe im Morgenwinde.

Mächtig wogte die Erinnerung auf Lieſe ein,
als ſie ſich der wohlbekannten Stätte näherte und
ihre Hand faßte unwillkürlich nach der Rechten des
Doktors. Voller Fürſorge nahm er ſie in die ſeine
und ſprach beruhigende Worte. Er wünſchte ihre
Aufmerkſamkeit von da draußen abzulenken, aber
es gelang ihm nicht. Mit fieberhaft geröteten Wangen
und glänzenden Augen blickte ſie ins Freie hinaus.
Da war das Haus des Schmieds, deſſen Kinder
ſie nie anders als „die rote Lieſe“ genannt hatten.
Es war mittlerweiſe hell genug geworden, jeden


1886.



Heidelberg, 29. November 1886.



Der Vorscandl.




Das prov. Comite.





©

©

©

S)

ſoliden Preiſen.





Alles in feinster. Qualität billigst.


Größer



Kramer, Hauptſtraße 26.














©
©

J. Behrens.




Carl Penner,

ſeither C. W. Nom.





Ein Kanapee, tin Ovaltiſch,









Todfeindes ruhte das goldene Morgenlicht und tauchte
die Fenfter in rofige Slut. In demfelben Augen:
blick wurde auch ein Fenfter aufgeriffen, denn ein
früher Reiſewagen war etwas Seltenes; ein büſchi⸗
ger Kopf kam zum Vorſchein — und Lieſe ſtieß
einen gellenden Schrei aus — ſie hat den jungen
Garmer erkannt.

Doktor Leonhard war nicht minder erſchrocken.
Er ſah noch, wie der Kopf des ihm verhaßten Jungen
zurückfuhr und glaubte ſogar in deſſen Zügen Schrecken
und Ueberraſchüng geſehen zu haben. Wenn Garmer
Lieſe's Stimme erkannt hatte?

Der Wagen rollte weiter und wenige Minuten
ſpäter lag die Stadt hinter ihnen. Lieſe weinte und
ſchluchzte bitterlich und der Boktor ärgerte ſich über
eine Sorgloſigkeit, die ein Wiedererkennen für ſo
durchaus unmöglich gehalten, daß er einen offenen
Wagen genommen.

Erſt nach und nach gelang es ihm, ſie zu be⸗

ruhigen und ihre Zhränen zu trodnen. Sie bat
ihn um Verzeihung, der Anblick Garmer's habe ſie
ganz außer ſich gebracht. Der Doktor verſicherte
ſie, daß ſie gewiß keine Entdeckung zu fürchten habe.
Und doch hatte er noch ſelber das unangenehme
Gefühl nicht überwunden, das ihm der Anblick des
jungen Menſchen verurſacht hatte.
Nach und nach klärte ſich der anfangs etwas
bedeckte Himmel auf und ſo ging es auch Lieſe's
von Thränen überthauetem Geſichte. Wie die Wolken
vom Himmel ſchwanden, ſo ſchwanden ſie auch von
ihrer Stirn, wenn auch ein leiſer Schatten darauf
zurückblieb.

Der Tag war ſchön geworden; die Sonne ſchien
warm und belebend vom tiefblauen Himmel herab
und überall zeigte die Natur ſich in vollendeter
Schönheit.

Dem Doktor war es gleichfalls gelungen, ſeiner
düſteren Stimmung Herr zů werden — die Trennung
mußte ſein. Er hatte es ſich feierlich gelobt, für
das Wohl dieſes Mädchens zuͤ ſorgen, es wie ſein



eigenes Kind zu halten und von der Stunde an



durfle er nicht mehr an das denken, was ihm lieb
geweſen wäre und was er wünſchte.

Die Familie des Herrn Sand empfing das
junge Mädchen mit freundlicher Teilnahme und Liefe
fühlte ſich vom erſten Augenblick an zu den liebens⸗
würdigen Menſchen hingezogen, aber es lag doch
wie Blei auf dem jungen Herzen.

Der Doktor hatte am Abend Abſchied von Lieſe
genommen, um am Morgen mit dem Früheſten die
Rückreiſe anzutreten. Er fürchtete, daß es ihm ſonſt
zu ſchwer werden würde, ſie zurückzulaſſen. Als
aber früh am Morgen der Wagen vor der Zhür
{ftand und der Doktor eben einfteigen wollte, berührte
plötzlich eine weiche, warme Hand die feine und als
er ſich halb erſchrocken umſchaute, blickte er in Lieſe's
thränenuberſtrömtes Geſicht. Im nächſten Augen—
blick hatte ſie ihre Arme um ſeinen Nacken geſchlungen
und hing aufſchluchzend an ſeinem Halſe.

Nur mit bieler Mühe gelang es ihm, Lieſe zu
beruhigen und in das Haus zurückzuführen. Er
hatte ihr verſprechen müſſen, daß er bald einmal
wiederkommen wolle und ſie, wenn die Verhältniſſe
es irgendwie geſtatteten, zurückholen werde. Erſt
dann kehrte ſie auf ihr Zimmer zurück, das neben
demjenigen der beiden Toͤchter des Hauſes lag ·
der Doktor ſah aber noch am Ende der Straße ihr
Geſicht gedrückt, als er ſchon die Züge nicht mehr
klar erkennen konnte.

Lieſe galt bei der Familie des Herrn Sand, in
welcher ſie jetzt zunächſt leben ſollte, für eine Verwandte
des Doktors und die bedeuten de Summe, die dieſer
im Voraus für ſie bezahlt hatte, ſicherte ihr ein
angenehmes Leben. Sie ſah ſich auch nicht getäuſcht.
Was man ihr immer, der Einſamen, Gutes und Liebes
erzeigen konnte, wurde ihr zu Teil und ſie hätte
ſich vollſtändig glücklich in ihrer neuen Umgebung
fühlen können.

Lieſe war auch zufrieden, aber ſie lebte noch
immer wie in einem Traum und das machte ſie
ſtill und ruhig.

(Fortſetzung folgt.)


 
Annotationen