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Heidelberger Anzeiger: unparteiische Tageszeitung für jedermann: Heidelberger Anzeiger: unparteiische Tageszeitung für jedermann — 1886

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Nr. 301 - Nr. 305 (27. Dezember - 31. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.42545#1027

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Erſchelnt täglich, Sonntags au8ge:

nommen. Preis monatlich 20 Pfg.

mit dem Illuſtrierten Unterhaltungs⸗

blatt 82 Pfg. — Wird in der ganzen

Stadt verteilt und an den Straßen⸗
ecken angeſchlagen.

Alle Zuſendungen werden franko
erbeten.

Für die Aufnahme von Anzeigen

an beſtimmt vorgeſchriebenen Tagen,

wird keine Verantwortlichkeit über⸗
nommen.



Anzeiger

Buchdruckerei und Expedition: Krämergaſſe 1.



Freitag, den 31. Dezember

1886.
Die ſtädtiſche Sparkaſſe Heidelberg

Erſtes Blatt.
giebt Darleihen auf erſtes vorſchriftsmäßiges Unterpfand in Liegenſchaften
und wollen Verlagſcheine auf dem Bureau der ſtädtiſchen Spar:

testauration- Goldener Römer AN

. empfiehlt während der Feiertage: | Der Verwaltungsrat
Hochfeinen Stoff Arbeits und Gewerbeſchule fuͤr Frauen und

— Münchener Hackerbräu Madden

Wiederbeginn des Unterrichis in allen Kurſen (Handnähen, Flicken, Stopfen,
Maſchinennähen, Sticken, Kleidermachen) Montag, den 10. Januar.

Ur. 306.





Sein grosses Lager in:
Rhein-,
Mosel«-,

per "2 Liter 20 Pfg.; sowie Pfälzer. i i
a 9 | Anmeldung neuer Schülerinnen findet ftatt: Samstag, den 8., vbormit:
Mannheimer Französischen, tags 10 12 Uhr, im Schullokal Keitengofje 12. Nähere Auskunft erteilen die

Griechischen und italienischen Damen des Vorſtandes.
Weiss- & Rotweinen,

sowie

deutschen und französ. Schaumweinen,

in nur guten Qualitäten zu billigen Preisen.

Der Vorstand:

Narren⸗Club.

Samstag, den 1. Januar findet in der Ammanns
Konzert⸗Halle unſer

De Tanz⸗Kränzchen



Doppel-Lager-Bler

aus der Brauerei Löwenkeller, per *10 Liter 10 Pfg,

Vorzügliche Weiss- & Rotweine,






Ferner zu jeder Zeit vorzüglichen







sowie . Rum- <a % mit Verlängerung fatt, wozu Freundlichft einladet
kalte und wardıe Speisen | Arae- | € Der Boritand. AYK
in reicher Auswahl. Ananas- ! P h —— NB. Sonntag, Ne milan halb 3 Uhr NMappenfahrt I
iin Preise und womte Setieung je |Eortwoin- | X US GI Ammann’ Konzert Halle Heidelberg
gesicſiert. Burgunder- . S ’
Limonade- Chriſtbaum⸗Verloſung betr.

Die Verloſung findet Sonntag, den 2. Jaunar 1887, abends 7 Uhr
mit Verlängerung und Konzert der Heidelberger Militär: Kapelle
ſtatt. Die verehrlichen Untergeichneten werden Hiermit freundlichit eingeladen. Die
Gaben bittet man bis Freitag, den 31. Dezember in obigem Lokale abzugeben.

Das Comite.



Grösstes und schönstes Bier-Restaurant. per Glas 50 Pfennige.

Wilh. B. Wallmann.

NB. Halte mein Nebenzimmer den geehrten Familien bestens empfohlen.

— Harmonie (6.4). Bahnhof⸗ Fechtſchule Heidelberg. .

: Unſere Chriftbaum-Feier mit Vorträgen aller Art und Lanz wird om 3.
Nüchſte Probe Dienstag, 4. Januar. Je ö gen alle Lanz —

Sylveſterabend 7 Uhr, auf der Philoſophenhöhe abgehallen.
Belannimauung Hötel Prinz Carl.

Brunnenleitung betr. KT ——
Die Stadigemeinde iſt Miteigentümerin W ein = L’reisliste
ausser dem Hause.

einer Brunnenleitung vom Schloßgraben

Lifte zur weiteren Einzeichnung und Beteiligung liegt im Lokale offen.

Wirtfaft-Eröffnung und Empfehlung,
Verehrlichem Publikum, jowie Freunden und Bekannten die ergebene Anzeige,
daß ih die bisher von Herın Wer, Bölder geführte

Restauration und Pension am Bahnhof Schlierbach

übernommen habe und foldhe am Neujahrstage unter der Bezeichnung:

Keflauration und Penkon zum Felfeumeer





Canz-Anterridhts-Snfilut,
Marſtallſtraße 6.

1878er Forster Ungeheu —
50

Malaga . . .

Portwein



über den Shloßberg nad) der Siadk | 3335 Wachenheimer nn, 2 rO| 18705 Bordewux Chateau Gruand la rose 74 50 | ETOffnen werde. — Ih werde befirebt Jern, durch reine Geträufke, vorzüglide Küche
_ Der Anteil der Stadt an dieſer Waſſer-⸗ 8 Markgräfler > 1! 7 7 8011870er Chäteau Cos d’Estournel ,.. 6..— und ebenjo aufmerkjame al8 prompte Bedienung meine verehrten Gäfte in jeder Weife
leitung, deſſen Benüßung either‘ an die | 1876er » Laufener Auslese ‚, 1.20{|1870er Chäteau Leoville Poyferre , .7.—j|vollfommen zufrieden zu ftellen und indem id um geneigten, häufigen Beſuch bitte,
Gerber Philipp Jakob Werner'ſchen en jösler Reaheimer Va 8 a 55 * PEACE Lafitte . z * empfehle ich mich Hochachtungsvoll
alle verpachte er Ruppertsberger . 1870er Chäteau Montrose . . . W
* der un Sul an NE 1881er Ungsteiner , . . . ; 40 | 1875er Mouton Rothschild . 9— Franz eppel,
ar, ift vom 1.3 x f 1881er Forster Riesling . - . +. 1.50|1870er Chäteau Margaux +74 10, — bisher Reffaurateur am Karl8t h
weit zu verpachten und laden wir Pach 11878er Forster Traminer — 1870er Bordeéaux weiss Graves 2— ü d Geſell d Verei bef ii 8 DT,
Tiebhaber hiermit ein, un8 ihre Angebote, 1881er Pisporter (Mosel) . . . — | 1874er » » Haute Sauterne , 4,50 Tür gr Bere efe ſchaften un ren ſtehen ekanntlich geräumige Säle zur
bi3 zum 3, Januar £ J. zukommen zu fafjen | 1881er Brauneberger (Mosel) , . . 1.80|1874er Burgunder Volnay . + . 3.20 Verfügung. — Ebenſo haite ich einen hübſch eingeridteten Damen-Salon für Kaffees
Heidelberg, den 22 Dezember 1886. id Bempfane! Doctor VD ch » — CE Kränzchen 2c. beſtens empfohlen.
⸗ er Hochheimer . . . — | 1870er » weiss, Chablis . „2 — 7 — — 7
Der Stadirat: 1878er Liebfrauenmilch % . 50 | 1870er >» »‘}Montrachet: 5. RA 2
Dr. Wilckens. 1874er Geisenheimer — — 80 | 1870er Heremitage , . . ° . *
Mebel, | 1883er Forster Riesling Auslese , 7 20 mit Glas 3
50
80
50
50
50
80

Dir 2. Winter⸗Kurſus beginnt mit
Anfang Januar, zu defjen gefälliger Zeil-
nahme hiermit freundlichk einladet

Herrmann Lüders.
Ulve ſitäts Tanglehrer,
Haupiſtraße 131, Eingang Marſtallſtraße

Nassauer Hof. |

Mittagstiſch von 12 bis 2 Uhr
in und außer Abonnement,

Keflauration zu jeder Tageszeit,
Reine Weine.

Pfeiffer,
oedl's Bierkeller.
GHeute Freitag



u0 JUWI% 1 uoa
u3x3ißor



Reflauration Pfeifer.



So:



1881er Deidesheimer Hofstück . 4

1881er Forster Jesuitengarten SE ; —
1875er Forster Kirchenstück (Ausbruch) *
1874er Rauenthaler . 80
1874er Marcobrunner (prämiert) . 50
1874er Rüdesheimer Orleans (Festhalle) 80
1881er Rüdesheim Rottland (Dom.-Kell‘) *

1874er Rüdesheimer Berg (Riesling Ausl)

50

DIR DOGS Ss UI. 5 00WNAS WOW 14

1868er Hochheimer Dom-Dechanei

1876er Steinberger Cabinet . . *
1865er Rüdesheimer Berg (Festhalle) 50
1868er Johannisberger Cabinet . 50
1883er Lützelsachser . . . .‚— 90
1881er Affenthaler , ; % . . 1.208
1881er » Auslese . „4 DO
1878er Ingelheimer . 4 . . "1.50
1878er Lützelsachser‘ Auslese . . » 1.501
1881er. Assmannshäuser (Domänen-Kell) 4 50
1881er Bordeaux St Estephe . — 1269—
1881er » St Julien —

2.
3

50
50

1878er Chäteau Larose
1875er Bordeaux Chäteau Leoville, .

*

Hol. Dol-Heringe,

ſuperior Qualität, per St. 8 Pfg. bei



wird geſchlachtet.






Franz Popp am Markt.

Marsala .
Madeira .
Sherry... ; . . .

. .

Tokayer Ausbruch . .
Moussierender Neckarwein .
Müller’s Germania-Sect ,

» Jubiläums-Champagner
Mouss Assmannshäuser (rot) .
Rheingold . ‚ . .

*

90

N
©

50

]

— —



St. Perey mousseux m
Möet sillery . 50

» ‚cremant rose . . . 50
Cliquot veuve Ponsardin . 80
Heidsieck Monopole . 80

Roederer Carte blanche ,
Pommery. & Greno, sec. .
Cognac vieux . . .
fine champagne
grand fine Martell V,
Jamaica-Rum, alter, 1834
Curacao (Wynand Focking)

— — —

»

———

©
-

*

BRORSHODIAIIADRTSH WS WEL &

S1118313

8

Hauptſtraße 197.
Billig zu verkanfen eine Plüſch-⸗Garnitur, ein
Chiffonnier, 2 Bettladen, 2 Röſte, 2 Nachttiſche
und eine Waſchkommode.
Hauptſtraße 197 Im Laden.



Durch eigene Schuld
(654 Fortſetzung.)

Lieſe war inzwiſchen, wie Herr und Frau Sand
ihm geſchrieben, zu einem Mäbchen herangewachſen,


zügen, ſie zu einer vielbewunderten und auch viel
umworbenen Erſcheinung machte. So ſtill und ab⸗—


der Eine oder Andere hatte ſie doch geſehen und
der Ruf ihrer Schönheit war überall hingebrungen,
weiter alS ihr lieb war.
und mohin fie gehöre, mar aufgeworfen und vielleicht
vermehrte no das Geheimnis,
das allgemeine Intereffe.

Während Liefe hereitS auf der Reife zu Doktor
Leonhard Begriffen war, hatte diefer voll Unruhe
Vorbereitungen getroffen, feinem Schüßling zu Hilfe
zu eilen. Sie mußte in Gefahr fein, denn aus dem
Bericht erfah er ihre große Angft und Konnte nicht
umbin, fie zu teilen,

Vol Ungeduld Hatte er den Morgen erwartet
und atmete erleichtert auf, al8 er jet den Wagen
borfahren Hörte. Schon Jangte er nach feinem Reife
tod, al8 der Klopfer dröhnend gegen die Hausthür fiel

Es war ſeliſam, daß det Kutſcher ſoviel Lärm
a aber der Doktor dachte nicht weiter daran,
is —

Ein Schritt kam die Treppe herauf, das konnte
weder einer der Diener noch Frau Jacob fein, Im
Gegenteil, es war ihm, als hörte er die Stimme
der Letzteren etwas ſehr Verwundertes ausrufen
und dann —

Die Thlire wurde aufgeriffen und — Doktor Leon:
hard fiand fiarr vor Staunen und VBerwunderung —
im nächſten Augenblick hatten zwei Arme ſeinen Nacken
umſchluͤngen und Lieſe hing weinend an ſeinem Halſe.
„Viele — was iſt geſchehen?“ kam es endlich
Über. feine Lippen, inbem er fie janft abwehrte, denn-es
bar ihm feltjam zu Mute geworden, als die weiche,




preßte, daß ihm die Sinne zu vergehen drohten.

„Er hat mid gefunden, Onkel,“ entgegnete fie,
ihn {9 anredend, wie er e8 von ihr gefordert und
doch beräührte ihn das Wort jeßt peinlich. „Und nun-—“
| „So wäre gekommen, Lieje,” unterbrach er fie.

„Zu fpät, , Onkel... Sie wollten mich den Ge:
richten Üüberliefern. -O, mein Gott und ich habe ihnen
doch nichts gethan!“

Sié barg ihr Geſicht in beide Hände und weinte
vbitterlich, während der Voktor betroffen einen Schritt
zurückgetreten war.

„Unmöglich, Lieſe; Du ſtandeſt in Sand's

Schutze,“ ſagte er endlich
„Aber ſie haben doch geglaubt, was Franz
mer ihnen ſagte,“ entgegnete ſie, nicht ohne Bitter:
keit. „Und wenn ſie gekommen wären, mich fort—
Zuholen, ich Hätte den Polizei-Offizianten folgen
müſſen, ohne Erbarmen.“

Das Schluchzen wurde heftiger; ihr ganzer
Körper ſchüttelte ih und der Doktor jtand ratlos.
Schon früher war Lieje ein [hönes Mädchen ge:
wefjen, aber nicht fo wie jeßt: — Und dann —
wenn er Lieſe anſah, konnte er ſich des Gedankens
nicht erwehren, daß er ſie ſchon irgendwo geſehen
haben müſſe, nicht damals, al8 fie noch ein halbes
Kind war, nein — jetzt in der vollen Bluͤte ihrer
Schönheit.

„Lieſe, weine nicht mehr — Garmer wird Dir
nicht mehr ſchaden,“ jagte er endlich, ihre Hände
janft von dem Gefichte fortziehend. „Ich werde
Dich zu dem Baron Chevreuil und feiner Gemahlin
bringen. Da ftehft Du unter würdigem Schuß und
man wirb nicht zugeben, daß ein Haar auf Deinem
Haupte gefrümmt werde.“

„Sie wollen, mich wieder fortbringen, Onkel,
zu fremden Menfchen ?“ fragte fie mit Janftem Vor—
wurf, der ſeltſam ſein Ohr berührte. „O, laſſen
Sie mich doch hier bleiben,“ fuhr ſie mit Thränen
in den Augen und in leidenſchaftlicher Erregung
fort, „Sie gebrauchen eine Magd — warum fann

blidte ihm flehend in das Geſicht; und als ihre
großen blauen Augen ſo wehmütig in die feinen
ſchauten, da übermannte ihn fein Sefühl und er
mußte jidh von ihr abwenden.

„E83 geht nicht, Liefe, unmöglich ;“” Jagte er Kurz,
beinahe hart. „Aber laß Did) das nicht Fümmern,
Du bleibit in meiner Nähe und ih werde über Did
wachen, Du weißt es. Was wollteſt Du auch in
dem einſamen Hauſe eines alten Junggeſellen?“

„Sit e8 nur das, Onfel?“ fragte fie und in
ihren. hellen Augen bligte e8 auf: „Dann afjen
Sie mid hierbleiben und Sie find nicht mehr einſam.
Ich werde alles thun, was ich Fann, Ihnen das
Veben angenehm zu machen, ih‘ will unabläſſig
arbeiten, mir nur ein Wort des Tanfkes zu verdienen.
Ach, ich bitte Sie flehentlidh! Lafjen Sie mich Ihnen
einen Heinen Beweis meiner grenzenlofen Dankbarkeit
und Liebe geben! Stoßen Sie mich nicht von ich,
jondern gönnen Sie mir den niedrigjten Plaß in
Ihrem Hauſe.“

Sie thaten ihm wohl, die Worte und berührten
ihn doch gleichzeitig ſchmerzlich. War er nicht ein
unſinniger Thor, ein armer Narr, wenn er ſo gern
hätte vergeſſen mögen, daß er über vierzig Jahre
alt war, und das blühend [Höne Mädchen da vor
im nicht die Hälfte zählte? Ihn peinigte der Ge—
danke förmlich, daß er fie in das Haus des Barons
bringen fjollte und unabläffig fand ihm Johann
Brand’s Bild vor der Seele, obgleich derfelbe nicht
jünger war, als er,

Doktor Leonhard mußte fich jagen, daß er für
Liefe eines Tage8 nicht mehr alles fein werde, vielleicht
ion jebt nicht mehr war -— wer mochte das wiffen ?
Aber er Konnte e8 nicht ändern, daß der bloße Ge:
danke ihn- mit wahnfinnigem Schmerz erfüllte, Er
verhehlte es ſich nicht mehr, daß er das ſchöne Mäd⸗—
chen liebte, nicht mit väterlicher oder brüderlicher
Zuneigung, ſondern mit jener leidenſchaftlichen Liebe
des gereiften Mannes, die, weil ſie zu ſpät kommt,
um ſo heftiger auftritt, ſobald ſich ihr Hinderniſſe

Wieshader

®
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8
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a)

Kanarienhahnen und Weibchen

zu verlaufen, Auguftineraafje 1.



was ihn denn eigentlich hindere, fie an fidh zu reißen
und zu feinem Weibe zu machen? Hatte nicht der
Baron kürzlich jelb{t einen folchen Fall für möglich
gehalten? Und würde Liefe unglüclih werden durch
eine Joldje Verbindung?

Er warf einen ſcheuen, fragenden Blick zu ihr
hinüber und Lieſe fing den Blick auf. Ahnte ſie,
was in ſeiner Seele vorging? Es war ihm, als
ob das Rot ihrer Wangen ſich dunkler färbe und
ſie ihre Augen einen Moment verlegen zu Boden
ſenke. Aber gleich darauf blickte ſie ihn wieder ſo
offen und ehrlich an, ſo voll Vertrauen, daß auch
der letzte, thörichte Gedanke aus ſeinem Herzen ver—
ſcheucht wurde und er ſich von Neuem gelobte, nie
mehr an ſich zu denken, ſondern nur ſtets ihr Wohl
im Auge zu halten.

Als der Tag voll hereingebrochen war, führte
Frau Jacob Lieſe hinauf in das Zimmer, das der
Doktor zur Aufnahme ſeines „Töchterchens“ beſtimmt
hatte, wenn ſie dann und wann zu ihm herüber
kommen wollte, ihn ein Stündchen zu beſuchen. In
Lieſe's Augen traten Thränen der Rührung, als ſie
alle Zeichen ſeiner Fürſorge und Liebe ſah. Was
hatte fie gethan, um dieſe Liebe zu verdienen ? Womit
konnte ſie ihm jemals das vergelten, was er für ſie
gethan? Sie hatte ſchon oft darüber nachgedacht
und nie das Rechte finden können, Was war fie
auch dieſem Manne anders, als ein armes Geſchöpf,
das er aus dem Staube zu ſich emporgehoben und
zu dem gemacht hatte, was es war?

Doktor Leonhard ſchien von einer ſeltſamen
Unruhe getrieben, Lieſe ſobald wie möglich zu ſeinen
Freunden zu bringen. Er hatte Frau Jaͤcob gleich
mit der Botſchaft hinübergeſandt, daß ſeine Pflege—
tochter ſchon angekommen ſei und er ſie in wenigen
Stunden ſelbſt bringen werde.

Im Hauſe des Barons hatte die Nachricht eine
gewiſſe Aufregung hervorgerufen. Der Doktor ſprach
ſo viel und ſo gern von ſeinem Schützling, daß es
Allen ein offenes Geheimnis war, daß er ſie mit







koſige Wange des Mädchens an der ſeinen ruhte und


in den Weg ſtellen. Er liebte Lieſe bis zum Wahn-

mehr als päterlicher Zuneigung liebe und der Baron










& Rothschild.


Kanarienvögel

zu verkaufen, Dreiköniaſtraße 4 im Hinterhaus.

hatte nicht ohne Grund auf eine Verbindung zwijchen
ihm und dem fremden Mädchen angefpielt. Sowohl
er, wie auch Silvia Hätten dem Freunde ein files
Cheglück gegönnt und e8 that ihnen leid, daß er fo
einfaın durch das Leben ging.

Die Baronin Hatte zur Aufnahme für den neuen
Gaſt noch mancherlei zu ordnen und man fah fie
mit ungewohnter Lebendigkeit im Haufe {Halten und
walten, . Sie war fejt entſchloſſen, dem Mädchen
um ihres eigenen verlorenen Kindes willen, eine
wirflide Heimat entgegenzubringen und erwartete
daher mit einiger Ungeduld defjfen Ankunft.

Und noch Siner war im Haufe, der mit einem
GSemifch von Neugierde und Ungeduld Liejfe erwartete,
Dieſer Eine war Johann Brand. Die legten Schilz
derungen des Doktors [über jeine Pflegetochter Hatten
ihn ſeltſam berührt und feine lebhafte Phantaſie
that ein Nebrige8, fidh von dem Mähchen ein Bild
zu ſchaffen, wie es kaum der Wirklichkeit entſprechen
konnte.

Der Baron ſaß mit ſeiner Gattin in dem Wohn-
zimmer, als Doktor Leonhard mit ſeiner Pflegetochter
die Schwelle überſchritt und ohne einen Blick auf
das lieblich errötende Mädchen zu werfen, ging er
dem Freunde entgegen. In demſelben Augenblick
aber, als er dem Doktor die Hand zum Willkommen
reichte, fielen feine Augen auf Lieſe. Leichenbläſſe
bedeckte plötzlich ſein Geſicht, mit weit aufgeriſſenen
Augen ſtarrte er das Mäbchen an, als ſei ihm ein
Geſpenſt erſchienen und:

„Silvia!“ ſchrie er, zurücktaumelnd, indem er
ſein Geſicht mit beiden Händen bedeckte.

Nieniand verſtand ihn; Niemand wußte, was
in dieſem Augenblick ſo mächtig ſeine Seele bewegte;
Silvia und der Doktor ahnten nur, daß ihn die
Er innerung an ſein verlorenes Kind derartig ergriffen
habe. Nun war die ſchwache Frau ſtärker. Sie
ging auf Lieſe zu, wenn auch mit Thränen in den
Augen, legte den Arm um des Mädchens Nacken
und küßte es innig auf den Mund.

(Fortſetzung folgt.)




 
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