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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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Friedländer, Max J.: Gainsborough als Radierer
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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0027

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Meisters für 500 bis icoo Mark erwerben. Leider
haben die öffentlichen Sammlungen in Deutschland
von dieser Gelegenheit wenig Gebrauch gemacht.
Das allgemeine Vorurteil gegen britische Zeichen-
kunst ist nicht ganz unberechtigt. Während die
grossen Engländer von Pieter Lely bis Sir Thomas
Lawrence in unersättlicher Sammlerthätigkeit ein
überlegenes Verständnis für die Zeichenkunst der
alten Meister bewährten, haben sie von eigener
Kraft wenig als Zeichner eingesetzt. Die Studien-
blätter von Sir Joshua Reynolds sind merkwürdig
unbedeutend und enthüllen Schwächen, die von
der glanzvollen Malkunst gleichsam verhüllt und
verschleiert werden. Und ähnlich steht es mit
Romney. Nur Gainsborough bietet als Zeichner
keine Enttäuschung. Man erwartet Zeugnisse einer
soliden und meisterlichen Zeichenkunst von Reynolds
und wundert sich, sie nicht zu finden, man setzt
voraus, dass Gainsboroughs Zeichnung gleichgültig,
detailarm und oberflächlich sei, und findet mit
wachsendem Staunen vollgültigen Ersatz für natür-
liche Schwächen und die glückliche Fähigkeit,
Schimmer, Duft und Schmelz wie den Gemälden
so den Zeichnungen zu verleihen. Freilich darf
man nicht an die präzise Meisterschaft der gleich-
zeitigen Franzosen denken.

Wie Gainsborough selbst vonseinenLandschafts-
studien dachte, dass er sie hoch bewertete und nicht
als Hervorbringungen spielerischer Liebhaberei an-
sah, geht aus einem merkwürdigen, wenig beachteten
Umstand hervor. Er hat gegen Ende seines Lebens
dieReproduktion seiner Landschaftsblätter in Angriff
genommen. Das seltsame Dunkel, das über diesem
Unternehmen liegt, möchte ich ein wenig lichten.
Dass ein Maler vom Range Gainsboroughs sich der
Radierung zuwendet mit keinem andern Ziele vor
Augen als um Imitationen seiner Zeichnungen
hervorzubringen, ist beispiellos in der Geschichte
des Bilddrucks. Und nicht weniger erstaunlich ist
die Gleichgültigkeit, mit der die Ergebnisse seiner
Bemühungaufgenommen wurden,und dasSchweigen
darüber in der kunstgeschichtlichen Literatur. Um-
fragen im englischen Kunsthandel ergaben, dass
Gainsboroughs Radierungen unbekannt oder doch
ihrer Bedeutung nach nicht gewürdigt sind.

Geplant war die Herausgabe einer Folge. Von
den Drucken, die ich gesehen habe, tragen einige
Nummern — in der Ecke links oben. Die höchste
(mir bekannte) Nummer ist 11. Nirgends aber,
selbst im Britisch Museum nicht, ist die vollständige
Serie zu finden. Einige der Radierungen zeigen

Schrift aur einer besonderen, schmalen, unterhalb
des Bildes gedruckten Platte. Die Schrift sagt:
„Designed and Engraved by Tho Gainsborough —
Publ.— 1797 by Jand J Boydell —". Gainsborough
war 1788 gestorben. Ich kenne einige Drucke
„vor der Nummer" und drei davon mit kräftigen
Handkorrekturen,Probedrucke,in denen der Meister
selbst Änderungen vorgenommen hat. Von einer
Platte liegen mir zwei Drucke vor, die stark von-
einander abweichen.

Der als Radierer unerfahrene Meister experimen-
tierte, wählte eine kühne und unerprobte Arbeits-
weise. Eine grössere Zahl gleichmässiger und be-
friedigender Drucke zu erzielen, gelang nicht. Das
Material, vermutlich Zink, nicht Kupfer, und das Atz-
verfahren versagten. So erklärt sich, dass Gains-
borough die Arbeit bald aufgab, dass er nicht viel
Wesens aus den Ergebnissen machte, dass die Zeit-
genossen die Gabe nicht laut begrüssten, dass Boydell
mit seiner Publikation, wenn anders es zu einer or-
dentlichen Publikation kam, wenig Glück hatte, und
dass die Späteren die Bemühung schnöde vergassen.

Legt man die Probedrucke der Beurteilung zu-
grunde, nicht die stumpfen und matten Drucke
„mit der Nummer", so wird offenbar, dass Gains-
borough erfolgreich war, dass das Erreichte weit
mehr ist als eine Kuriosität in der Geschichte des
Bildrucks.

Wie ein Komponist ein besserer Interpret seiner
Musik zu sein pflegt als ein blosser Klaviervirtuose,
selbst einer, der im Technischen dem Komponisten
überlegen ist, so übertrifft Gainsborough mit diesen
Radierungen alles, was sonst im achtzehnten Jahr-
hundert an gedruckten Imitationen von Zeichnungen
ausgeführt worden ist, alle die geschickten, aber
monotonen „Crayon"- und „Aquatinta'c-Drucke
von Kupferstechern und Dilettanten. Seine Platten-
bearbeitung und sein Druckverfahren sind in er-
staunlichem Grade handschriftlich. Das Technische
ist überaus mannigfaltig und beweglich. Der Maler
hat mit Unbefangenheit und Keckheit die gegen
Ende des achtzehnten Jahrhunderts bekannten Re-
zepte und Prozeduren aufgenommen, variiert und
gemischt. Er hat das Schematische der Aquatinta
und der Crayon-Manier überwunden. Seine ver-
blüffenden Resultate geben dem analysierenden
Kenner des Technischen Rätsel auf. Oft scheint es,
als ob er die ätzende Flüssigkeit mit dem Pinsel unmit-
telbar auf dieMetallplatteaufgetragenhabe. Der rauhe
Strich der Kreide ist täuschend in seiner Freiheit, Un-
regelmässigkeit und Zügigkeit wiedergegeben. Auf

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