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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0335

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allzu unpersönlicher Art, ohne Anregung und Teil-
nahme verlassen. Wie nun hier das Goethemuseum in
Weimar Ausnahme, so ist unter den wenigen, allerdings
nur entfernt mit ihr vergleichbaren Sammlungen Aus-
nahme die Goethesammlung Kippenberg. Ein imposanter
Katalog* dieser Sammlung liegt jetzt vor, gleich rühmens-
wert an Druck, Ausstattung und Genauigkeit. Derselbe
wird nicht allein beim hohen Rat der zünftigen Literar-
historiker und eingeschworenen Goetheforscher Aner-
kennung empfangen, er muss vielmehr in gleicher Weise
Eingang finden zu dem kleinen Kreise, der, seit einigen
Jahren erst, neben dem Dichter Goethe den Zeichner
bewundert, ja zu allen, die im Fortschreiten ihres Daseins
immer fester einwuchsen in Goethes Gedankenwelt und
hinter dem Pathos des Werkes das Ethos der erhabensten
Menschlichkeit zu erkennen glücklich waren.

Ein nicht immer ganz ernsthaft zu nehmender
Naturforscher hat einmal geschrieben, Goethe gewähre
das erste Beispiel des Versuches, ein einziges Leben vom
ersten bis zum letzten Tage deutlich zu überschauen, es
gebe keinen zweiten Menschen in der gesamten Welt-
geschichte, von dem wir auch nur annähernd soviel
wüssten wie von ihm. Ein Vorwurf liegt in diesen
Worten, dass über dem Vielen-Allzuvielen das Wesent-
liche verkümmert werde, und es ist nicht zu bestreiten,
dass es hätte dahin kommen können. Wenn daher betont
wird, dass eine genaue Durchsicht des Kataloges der
Sammlung Kippenberg dem Kundigen wider alles Er-
warten den neuen freiheitlichen, lebendigen Geist, der
von sich sagt „am Anfang war die That" sogar aus Folgen
von hundert und mehr nur scheinbar leblosen Buchtiteln
hervorrufen wird, soll damit dieser mühevollen, erst
am Abschlüsse, hier freilich doppelt belohnten Arbeit
ein besonderes Lob gespendet werden.

Nach drei Seiten hin hat sich die Entwickelung der
Sammlung Kippenberg systematisch vollzogen. Goethe-
Faust-Altweimar: so bezeichnet das Titelblatt des Kata-
loges die Richtungen, welchen die Aufmerksamkeit des
Sammeins galt. Aber diese drei Überschriften geben
nur die hauptsächlichen Bestandteile an. Die Rubrik
Faust beispielsweise umfasst annähernd tausend Num-
mern, die sich nicht auf die einzelnen Ausgaben der
Dichtung etwa beschränken, sondern alle Bühnenbear-
beitungen, Übersetzungen, die verwandten Sagen, die
Volksbücher, die ähnlichen Behandlungen des Stoffes
einschliessen. Der bibliographische Wert gerade dieser
Abteilung wird der Forschung zugute kommen. In
entsprechender Vielseitigkeit ist die Zusammenstellung
der Wertheriana gehalten, sind die Bildnisse und Auto-
graphen des Goethekreises mit vornehmlicher Berück-
sichtigung des weimarischen Fürstenhauses zusammen-
getragen.

An dieser Stelle erscheint es angemessen, den litterar-
historischen Wert des Kataloges mit einem kurzen Hin-

* Katalog der Sammlung Kippenberg. Goethe
Altweimar. Leipzig 1913. (Im Insel-Verlag.)

Faust —

weis zu erledigen, um etwas ausführlicher bei einigen in
der Sammlung Kippenberg vorhandenen Werken der
bildenden Kunst zu verweilen. Dabei entfernen wir
uns allerdings von der ursprünglichen und wesentlichen
Aufgabe der Sammlung, mit dem Rechte eines nach
einer bestimmten Seite vornehmlich angeregten Be-
schauers. Unter den Kostbarkeiten stehen Goethes
Zeichnungen und Radierungen an erster Stelle. Es sind
fünfzehn eigenhändigeBlätter. Von ihnen darf dieTusch-
zeichnung mit dem leicht hingeschriebenen Motiv aus
dem Weimarer Park wiederum angerufen werden, die im
sichersten Verhältnis zur Natur gefestigte künstlerische
Begabung Goethes zu bestätigen. Das kleine Blatt wird
sogar unweit früher italienischer Zeichnungen Corots
seine Wirkung behalten. Die Radierung der Landschaft
mit altem Tor und verfallener Stadtmauer könnte dann
nächst Menzels Graphik Aufnahme finden (vergleiche
Kunst und Künstler, Jahrgang VIII, Seite 69—72). Und
bleiben wir beim Vergleich, so wird uns das flüchtig
angedeutete Profilbildnis Fräulein von Göchhausens
am Schreibtisch, geistreich wie eine Vignette von
Chodowiecki und erstaunlich frei in der Betonung
des Raummaasses, wiederum an Menzel erinnern, den
jugendlichen Bildner der Friedrichhistorie. Es ist durch-
aus einleuchtend, dass einer solchen Sicherheit der Be-
gabung nur wenige der nicht aus Neigung, sondern
aus Beruf schaffenden gleichzeitigen Künstler sich zur
Seite stellen. Sehr leicht und fein wirkt eine Zeichnung
Mercks (die einzig beglaubigte von seinerHand), während
die ganze Bedächtigkeit des Kupferstechers Lips aus
seinem Bildnis Tischbeins spricht und die Biederkeit des
ehrbaren Georg Melchior Kraus das behaglich-empfind-
same Leben von Ilm-Athen in seiner „Ansicht von Wei-
mar auf der Ostseite" schildert. Diesen und ähnlichen
Arbeiten lässt sich beim besten Willen nicht mehr ab-
gewinnen als der Eindruck guter Durchschnittsleistungen
im Rahmen ihrer Zeit. Ist doch auch in der Sammlung
Kippenbetg das Entscheidende das ihnen hier verliehene
Relief, welches wir ihren Schöpfern gerne zugestehen,
weil der Zufall des grossen dichterischen Genius Erden-
bahn mit ihrem Wege kreuzte und ihnen die Attribute
der Unsterblichkeit in seinem Gefolge verlieh. Vielleicht
ist der einzige wirklich hervorragende Künstler in Goethes
erster Umgebung der bescheidene Bildhauer Martin
Klauer gewesen, von dessen Hand die Sammlung Kippen-
berg einige rhythmisch stark betonte Terrakotten besitzt,
Goethe selbst, Christian Bode, vor allem den jugendlichen,
in Vorahnung der bestenPlastikenSchadowsgeschaffenen
Karl August. Wohl zeigt auch K. G. Weissers Haupt-
werk, Goethes Büste, den Olympier mit den dräuenden
Falten Kronions in formal geglückter Pose, aber die Ge-
heimnisse hinter dieser undurchdringlichen Stirne halten
sich verborgen, und sie sind wohl nur einmal von Künstler-
hand entbunden worden, in der ergreifenden Zeichnung,
die Friedrich Preller vor dem Lager des Geschiedenen
gelungen ist.

iW

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