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Kunst und Künstler: illustrierte Monatsschrift für bildende Kunst und Kunstgewerbe — 14.1916

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Heft 9
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Schulz, Richard L. F.: Böhmisches Glas
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https://doi.org/10.11588/diglit.4751#0483

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man

weitem ansieht, die künstlich und gewollt wirken. Ebenso
„kunstgewerblich" aber wirken auch die meisten alltäg-
lichen Werkstatterzeugnisse, weil die an sich hochzu-
schätzende Technik hier meistens zum Virtuosentum
ausartet und ihre Künste nun wahllos und ohne jede
Ökonomie überall verschwendet.

Ein gutes Hohlglas muss in seiner grundlegenden
Art und Form bereits fertig aus der Hand des Glas-
bläsers hervorgehen, es wird von seinem Hersteller im
warmen, zähflüssigen Zustande aus der Hand, unter
Anwendung gewisser Hilfsformen, geformt. Auf diese
Weise entstehen beispielsweise bei Trinkgläsern jene
weichen verschmolzenen Ränder, weil der Rand im
weichen Zustande mit der Glasschere abgeschnitten
und, ebenfalls im weichen Zustande, vom Glasbläser
aus der Hand korrigiert, das heisst also ganz im Feuer
fertig gemacht wird. Ein minderwertiges Glas dagegen
wird in eine Form hineingeblasen, der Rand in erkaltetem
Zustande abgesprengt und notwendigerweise durch Ab-
schleifen bzw. Verschmelzen des Randes korrigiert. Ein
solches Glas bleibt immer nur ein Scherben und mutet,
vergleichsweise gesprochen an, wie ein Druck im Gegen-
satz zu einer Handzeichnung. Der geschmacklich Fein-
fühlende wird stets, schon rein instinktiv, nach einem
Glase der ersteren Art greifen, ebenso wie fast stets ein
altes Glas, dessen Hersteller zugleich der formengebende
Künstler war, sein Entzücken sein wird.

Übrigens soll man in Böhmen jene eleganten, in
Form und Gewicht so fein abgewogenen Trinkgläser, die
England und Frankreich uns boten, nicht suchen. In
diesen beiden Ländern liefern die Hütten Rohglas von
vollendeten Formen, was denn auch zur Folge hatte, dass
böhmische Raffinerien von England sowie von Frankreich
Rohglas bezogen und diese Formen dann, aber nach
falschen Fabrikationsprinzipien, häufig kopierten. Der
Mangel an guten Gebrauchgläsern in Böhmen hat,
neben den Fehlern in der Herstellung, den Grund darin,
dass man vom Zierglas ausgeht, um Formen für Ge-
brauchsgläser zu finden. Der umgekehrte Weg, vom
Gebrauchsglas zum Zierglas, der auch in England und
Frankreich der übliche ist, wäre natürlicher und damit
richtiger.

Fabriziert wird in Böhmen hauptsächlich Kristallglas
(fast nur Kaliglas), Farbiges und Rubinglas, endlich Uber-
fangglas. Da die sehr hochstehende Technik im Schleifen
und Gravieren naturgemäss als substanzmindernd ein
stärkeres Material voraussetzt, so sind charakteristisch
schwere Formen in Anlehnung an die Bergkristall-
arbeiten des sechzehnten Jahrhunderts, wie denn die
Stärke Böhmens überhaupt in der Wiederholung alter
Formen, die mit fein gravierten, überreichlichen Orna-
menten in Gravierung oder Schliff versehen sind, liegt.
Die Raffinerien haben meist jede ihre Spezialität und
lassen ihrerseits viele Arbeiten von den Kleinmeistern
machen, während sie selbst meist nur Schleifer beschäf-
tigen, die die rohere Vorarbeit leisten. Die eigentliche

Kunstarbeit liegt fast ausschliesslich in den Händen der
Kleinmeister. Eine besondere Spezialitäc ist die Her-
stellung, „antiker" Gläser, die so täuschend gemacht
werden, dass nur Kenner den Unterschied finden. Teils
mit, teils ohne Absicht decken sehr viele Antiquitäten-
händler einen Teil ihres Bedarfes in Böhmen und viele
unter ihnen scheuen sich nicht, die gekauften Gläser mit
allen möglichen Mitteln noch etwas „älter" zu machen.

Das allerstärkste Hemmnis in der künstlerischen
Entwickelung der Böhmen liegt in dem ausserordentlich
starken Export, hauptsächlich nach den Uberseeländern,
und der damit bedingten Anpassung an den Geschmack
der Abnehmer. Süd- und Nordamerika, Russland, ja
auch China mit seiner alten Kultur sind oder waren
grosse Abnehmer für die böhmischen Glasleute. Auch
in den Läden am Markusplatz in Venedig konnte man
unter den feilgebotenen „echt venezianischen Gläsern"
böhmische Stücke antreffen, so die mit reichem Gold-
dekor versehenen Gegenstände.

Leider, es muss ehrlich gesagt werden, hat auch
Deutschland mit seinen wenig hohen Anforderungen
die böhmische Glasfabrikation nicht gefördert, sondern
ihr eher geschadet. Die Schreie des Durchschnittspubli-
kums nach „Apartem", „Originellem" oder „Modernem"
(im Sinne von Mode) bei uns haben grausige, geschmack-
lose Dinge gezeitigt. Allerdings trägt das Publikum
nicht allein die Schuld, sondern dem deutschen Händler
fällt die schwerere Schuld zu. Er versteht es noch zu
wenig, das Publikum richtig zu leiten und, bei aller
Wahrung seiner kaufmännischen Interessen, in ge-
schmacklicher Beziehung auf die richtigen Bahnen zu
bringen. Auch gegen den Willen der Masse muss er
gelegentlich eine Sache hochhalten und vertreten, von
der er auf Grund seines Könnens und seines Gefühls
überzeugt ist. Erst so kann der Händler recht zur
Werte schaffenden Persönlichkeit werden.

Man darf sich nicht aus kleinlichen Gründen ver-
hehlen, dass in Frankreich und England der Geschmack
des Publikums auf Grund alter, kunsthandwerklicher
Traditionen höher steht, als bei uns. Wie sich diese
Thatsache mehr wie überall sonst in der Wahl der Dinge
äussert, die zum täglichen Leben gehören, so tritt sie
nicht zuletzt bei der Bestimmung des Gebrauchsglases
in die Erscheinung. Der Durchschnittsmensch dieser
beiden Länder wendet sich immer wieder an alte, ihm
gut und selbstverständlich erscheinende Formen, und
so verfugen denn die französischen und englischen Glas-
fabriken über eine Fülle schönster, weicher Typen, auf
die immer wieder zurückgegriffen wird. Die Thatsache,
dass eine bedeutende französische Fabrik in den letzten
Jahren im Anschluss an die immer grösser werdende
Einfuhr nach Deutschland geschmacklich so zurückging,
giebt leider viel zu denken. Umgekehrt hätte es nur
günstige Nachwirkungen für die Böhmen haben können,
wenn sie es verstanden hätten, den französischen und
englischen Markt zu erobern.

■Hute

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