Buch: Nicolas Poussin, „Premier peinrre du Roi", das
soeben* bei dem belgischen Verleger G. van Oest &Co.
in Brüssel und in Paris erschienen ist; ein würdiger,
umfangreicher Inhalt in grossem Format und würdiger
Ausstattung. Der Untertitel „Premier peintre du Roi"
bezeichnet die Kategorie. Magne ist weniger Künstler
oder Kunstgelehrter als Historiker. Er hat sich wieder-
holt mit dem Jahrhundert des Roi Solei! beschäftigt.
Sein Buch bringt die Lebensgeschichte des Meisters.
Der Poussin-Freund findet nicht allzu viel Neues, gar
nichts Neues, das entscheidend wäre, aber offenbar alles,
was einer sehr eingehenden und gewissenhaften For-
schung überhaupt erschlossen werden konnte. Manche
Legende ist gefallen, manches Verhältnis zu Zeitgenossen,
z. ß. das zu Chantelou, der einen guten Teil seines
mäcenatischen Nimbus verliert, manches Detail der
Familiengeschichte geklart worden. Natürlich wurden
allebekannten Quellen benutzt,zumal dieKorrespondenz,
die seit 1911 dank der ausgezeichneten Ausgabe von
Jouanny in den „Archives de VArt frangais" unverstüm-
melt vorliegt. Aberauch manche weniger bequeme Quelle
wurde dem Forscher zugänglich. Magne hat die fran-
zösische und italienische Literatur des siebzehnten Jahr-
hunderts durchgearbeitet, um das kulturhistorische Bild
zu sichern. Die Archive der Ministerien gaben ihm
manches Detail über die Schritte, die Louis XIII. und
Richelieu unternahmen, um Poussin zu der Übersiede-
lung nach Paris zu bewegen, die der Meister bald bitter
bereute. Das Resultat der sehr fleissigen Forschung
beschränkt sich zumal, abgesehen von der Widerlegung
biographischer Irrtümer der vorhergehenden Autoren,
auf die Nebenpersonen und Nebenthatsachen der Hand-
lung. Line Synthese der Kunst und eine Kritik des
Künstlers lagen nicht in der Absicht des Verfassers.
Dem gut gedruckten Texte sind 145 Abbildungen nach
Gemälden und Zeichnungen in nicht immer einwand-
freier Reproduktion (Heliogravüre und Lichtdruck)
beigegeben, und man freut sich, einige Bilder zu finden,
deren Photographien bisher nicht mühelos zugänglich
waren. Der Katalog am Schluss des Bandes ordnet die
* Diese Notiz ist vor dem Kriege geschrieben worden.
Werke nach Motiven, nennt die Stiche und in vielen
Fällen die früheren Besitzer und bringt Jahreszahlen da,
wo sie dokumentarisch fest stehen. Unbekannte Werke
scheinen nicht dazu gekommen, und die Unterscheidung
zwischen den ganz sicheren Originalen und den zuge-
schriebenen Bildern ist nicht gemacht oder wenigstens
nicht durchgeführt. Man entbehrtdiese Stellungnahme
schmerzlich bei einem Hauptbilde wie der „Inspiration
du poete" (das der Louvre vor einigen Jahren so glücklich
war, seinem Poussin-Saal als würdiges Zentrum zuzu-
fügen) wenn die schwache Kopie nach dem Bilde, in der
Sammlung Errard, schlechtweg als „Meme Composition
avec legeres variantes" bezeichnet wird. Dem Kunst-
forscher lässt Magne viel zu thun übrig. Es bleibt die
Reinigung und Ergänzung des Katalogs und das kritische
Raisonnement des Katalogs. Es bleibt eine der grössten
Aufgaben, die dem Fachmann unserer Zeit geboten
werden: Die Bestimmung der Entwicklung Poussins.
Vor allem der Entwicklung, die er bei Lebzeiten nahm,
die vorsichtige Entwirrung der vielen scheinbaren
Widersprüche in seinen verschiedenen Perioden; eine
Aufgabe, die grosse Energie und ein nicht gewöhnliches
schöpferisches Vermögen erfordert; und auch der Ent-
wicklung Poussins über Poussin hinaus, der Fortsetzung
seines Werkes in den Werken anderer, über Le Brun zu
Delacroix und Corot und bis zu der Generation Bonnards.
Was Magne darüber in parenthesenhafterForm andeutet,
kommt der Vollständigkeit seiner Darstellung nicht zu-
gute. Schliesslich wäre der Nachweis zu erbringen,
warum man die französische Kunst ohne Poussin nicht
kennen kann und warum die Vertrautheit mit seinem
Wesen nicht allein zu der Kunsthistorie, sondern zu
der allgemeinen Gesittung gehört, um unsere Begriffe
von menschlicher Würde, von Ernst und Spiel in unserem
Verhalten zur Welt zu ergänzen; warum es gerade heute
vorteilhaft und natürlich ist, ihn zu entdecken, ebenso
notwendig, wie es die Entdeckung Grecos für unsere Zeit
war, deren Künstlern der grosse Klassiker ebenso nütz-
lich, ebenso schädlich werden kann. Mögen die Freunde
des Meisters, die sich hier und dort um seine Kunst be-
mühen, der grossen Aufgaben würdig sein. Magne kommt
ihnen mit einer sehr dankenswerten Vorarbeit zu Hilfe.
LISTE EINGEGANGENER BÜCHER
Nicolas Poussin, sein Werk und sein Leben, von Otto Grautoff. 2 Bände. München bei Georg
Müller. 1914.
VIERZEHNTER. JAHRGANG. E-FTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 14. JULI. AUSGABE AM I. AUG'JST NEUN/.EHNHUNDERTSECHZEHN
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN
VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG
soeben* bei dem belgischen Verleger G. van Oest &Co.
in Brüssel und in Paris erschienen ist; ein würdiger,
umfangreicher Inhalt in grossem Format und würdiger
Ausstattung. Der Untertitel „Premier peintre du Roi"
bezeichnet die Kategorie. Magne ist weniger Künstler
oder Kunstgelehrter als Historiker. Er hat sich wieder-
holt mit dem Jahrhundert des Roi Solei! beschäftigt.
Sein Buch bringt die Lebensgeschichte des Meisters.
Der Poussin-Freund findet nicht allzu viel Neues, gar
nichts Neues, das entscheidend wäre, aber offenbar alles,
was einer sehr eingehenden und gewissenhaften For-
schung überhaupt erschlossen werden konnte. Manche
Legende ist gefallen, manches Verhältnis zu Zeitgenossen,
z. ß. das zu Chantelou, der einen guten Teil seines
mäcenatischen Nimbus verliert, manches Detail der
Familiengeschichte geklart worden. Natürlich wurden
allebekannten Quellen benutzt,zumal dieKorrespondenz,
die seit 1911 dank der ausgezeichneten Ausgabe von
Jouanny in den „Archives de VArt frangais" unverstüm-
melt vorliegt. Aberauch manche weniger bequeme Quelle
wurde dem Forscher zugänglich. Magne hat die fran-
zösische und italienische Literatur des siebzehnten Jahr-
hunderts durchgearbeitet, um das kulturhistorische Bild
zu sichern. Die Archive der Ministerien gaben ihm
manches Detail über die Schritte, die Louis XIII. und
Richelieu unternahmen, um Poussin zu der Übersiede-
lung nach Paris zu bewegen, die der Meister bald bitter
bereute. Das Resultat der sehr fleissigen Forschung
beschränkt sich zumal, abgesehen von der Widerlegung
biographischer Irrtümer der vorhergehenden Autoren,
auf die Nebenpersonen und Nebenthatsachen der Hand-
lung. Line Synthese der Kunst und eine Kritik des
Künstlers lagen nicht in der Absicht des Verfassers.
Dem gut gedruckten Texte sind 145 Abbildungen nach
Gemälden und Zeichnungen in nicht immer einwand-
freier Reproduktion (Heliogravüre und Lichtdruck)
beigegeben, und man freut sich, einige Bilder zu finden,
deren Photographien bisher nicht mühelos zugänglich
waren. Der Katalog am Schluss des Bandes ordnet die
* Diese Notiz ist vor dem Kriege geschrieben worden.
Werke nach Motiven, nennt die Stiche und in vielen
Fällen die früheren Besitzer und bringt Jahreszahlen da,
wo sie dokumentarisch fest stehen. Unbekannte Werke
scheinen nicht dazu gekommen, und die Unterscheidung
zwischen den ganz sicheren Originalen und den zuge-
schriebenen Bildern ist nicht gemacht oder wenigstens
nicht durchgeführt. Man entbehrtdiese Stellungnahme
schmerzlich bei einem Hauptbilde wie der „Inspiration
du poete" (das der Louvre vor einigen Jahren so glücklich
war, seinem Poussin-Saal als würdiges Zentrum zuzu-
fügen) wenn die schwache Kopie nach dem Bilde, in der
Sammlung Errard, schlechtweg als „Meme Composition
avec legeres variantes" bezeichnet wird. Dem Kunst-
forscher lässt Magne viel zu thun übrig. Es bleibt die
Reinigung und Ergänzung des Katalogs und das kritische
Raisonnement des Katalogs. Es bleibt eine der grössten
Aufgaben, die dem Fachmann unserer Zeit geboten
werden: Die Bestimmung der Entwicklung Poussins.
Vor allem der Entwicklung, die er bei Lebzeiten nahm,
die vorsichtige Entwirrung der vielen scheinbaren
Widersprüche in seinen verschiedenen Perioden; eine
Aufgabe, die grosse Energie und ein nicht gewöhnliches
schöpferisches Vermögen erfordert; und auch der Ent-
wicklung Poussins über Poussin hinaus, der Fortsetzung
seines Werkes in den Werken anderer, über Le Brun zu
Delacroix und Corot und bis zu der Generation Bonnards.
Was Magne darüber in parenthesenhafterForm andeutet,
kommt der Vollständigkeit seiner Darstellung nicht zu-
gute. Schliesslich wäre der Nachweis zu erbringen,
warum man die französische Kunst ohne Poussin nicht
kennen kann und warum die Vertrautheit mit seinem
Wesen nicht allein zu der Kunsthistorie, sondern zu
der allgemeinen Gesittung gehört, um unsere Begriffe
von menschlicher Würde, von Ernst und Spiel in unserem
Verhalten zur Welt zu ergänzen; warum es gerade heute
vorteilhaft und natürlich ist, ihn zu entdecken, ebenso
notwendig, wie es die Entdeckung Grecos für unsere Zeit
war, deren Künstlern der grosse Klassiker ebenso nütz-
lich, ebenso schädlich werden kann. Mögen die Freunde
des Meisters, die sich hier und dort um seine Kunst be-
mühen, der grossen Aufgaben würdig sein. Magne kommt
ihnen mit einer sehr dankenswerten Vorarbeit zu Hilfe.
LISTE EINGEGANGENER BÜCHER
Nicolas Poussin, sein Werk und sein Leben, von Otto Grautoff. 2 Bände. München bei Georg
Müller. 1914.
VIERZEHNTER. JAHRGANG. E-FTES HEFT. REDAKTIONSSCHLUSS AM 14. JULI. AUSGABE AM I. AUG'JST NEUN/.EHNHUNDERTSECHZEHN
REDAKTION: KARL SCHEFFLER, BERLIN; VERLAG VON BRUNO CASSIRER IN BERLIN. GEDRUCKT IN DER OFFIZIN
VON W. DRUGULIN ZU LEIPZIG