Die Bramane hat von Gott wie von etwas außerhalb ihrer
selbst Stehendem gesprochen. Jhr heimlicher Gedanke ist aber, daß
Gott nur innerhalb ihrer selbst lebt, lebt im höchsten Sinne des
Wortes. Und wie sie das denkt, so fühlt sie es auch, ja sie denkt
es, weil sie es fühlt. Aber besser dünkt sie, diese Gedanken und Ge-
fühle zu verschweigen, weil die Menge davor wie vor einer blas-
phemischen Ueberhebung schaudern und in ihr anstatt einer Helferin
vor Gott eine Gottesvernichterin sehen würde. — Man erkennt, warum
Goethe diese „höchst bedeutende Fabel" als einen „stillen Schatz"
Jahrzehnte lang hegte und hütete.
Gewissermaßen ein Vorspiel, in dem jene Grundmotive des Paria
schon deutlich vorklingen, ist „der Gott und die Bajadere"
(1797). Mahadöh, der Herr der Erde, wird Mensch, um Gott sein
zu können. „Soll er strafen oder schonen, muß er Menschen mensch-
lich sehn." Den Reinen tut er nicht not, aber den Sündigen. Daher
gesellt er sich zur Sünderin, flößt ihr Liebe bis in den Tod zum
Göttlichen ein und reinigt sie hierdurch von dem Schlamme, in dem
sie versunken war. Sie darf mit ihm zum Himmel emporsteigen.
Jn diesen ausgewählten Beispielen hat der Dichter den sym-
bolischen Schleier teils hie und da selber emporgehoben, teils leicht
genug gewebt, daß wir den Sinn, den er deckt, erkennen konnten.
Dagegen haben wir andere Balladen, bei denen er so dicht aufliegt,
daß wir nicht hindurchzublicken vermögen, ja wohl meinen können,
es sei überhaupt hier von keinem Schleier die Nede; sondern das,
was wir sehen, sei alles, was der Dichter uns habe sagen wollen. Jn
diesen Kreis scheinen die „Ballade vom vertriebenen und
zurückkehrenden Grafen (1816) und das „H o ch z e i t s lied"
(1802) zu gehören. Aber wir werden sofort schwankend, wenn wir
vernehmen, daß Goethe diese beiden Balladen neben die Braut von
Korinth, den Gott und die Bajadere und den Paria stellt und von
ihnen gemeinsam aussagt, daß er ihren Stoff Jahrzehnte lang mit
sich herumgetragen, und lebendig und wirksam im Jnnern erhalten
habe. „Mir schien der schönste Besitz", fährt er fort, „solche werte
Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen."
Es bleibt nach diesem Bekenntnis kein Zweifel, daß auch die
genannten Balladen Symbole für tiefer liegende Gedanken waren,
die durch allerhand Erlebnisse in Goethe immer wieder sich erneuten
und beunruhigend und klärend wirksam wurden. Schon das überlange
zärtliche Bewahren der Stoffe würde dafür sprechen. Denn hätten
sie ihm nichts bedeutet, so hätte er sie, einem Augenblicksreize
folgend, rasch verarbeitet oder, was wahrscheinlicher ist, wieder fallen
lassen. Wir müssen demnach versuchen, ihren Sinn zu erfassen.
Was sehen wir im „H o ch zeits lied"? — Ein Gras, der nach
langer Abwesenheit auf sein Schloß zurückkehrt, findet dort alles öde
und leer. Diener und Habe sind zerstoben, durchs Fenster ziehen
die Winde. Das tut ihm nicht das geringste, er bleibt wohlgemut,
legt sich mit Behagen ins Bett, und erlaubt den Zwergen, die ihn
im Schlafe besuchen, wie ein gütiger großer Herr nach Belieben im
Schlosse zu Wirtschaften. Sie feiern eine Hochzeit, bei der sich das
Schloß mit Reichtum und Glanz füllt. „Und was er, so artig,
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Kunstwart
selbst Stehendem gesprochen. Jhr heimlicher Gedanke ist aber, daß
Gott nur innerhalb ihrer selbst lebt, lebt im höchsten Sinne des
Wortes. Und wie sie das denkt, so fühlt sie es auch, ja sie denkt
es, weil sie es fühlt. Aber besser dünkt sie, diese Gedanken und Ge-
fühle zu verschweigen, weil die Menge davor wie vor einer blas-
phemischen Ueberhebung schaudern und in ihr anstatt einer Helferin
vor Gott eine Gottesvernichterin sehen würde. — Man erkennt, warum
Goethe diese „höchst bedeutende Fabel" als einen „stillen Schatz"
Jahrzehnte lang hegte und hütete.
Gewissermaßen ein Vorspiel, in dem jene Grundmotive des Paria
schon deutlich vorklingen, ist „der Gott und die Bajadere"
(1797). Mahadöh, der Herr der Erde, wird Mensch, um Gott sein
zu können. „Soll er strafen oder schonen, muß er Menschen mensch-
lich sehn." Den Reinen tut er nicht not, aber den Sündigen. Daher
gesellt er sich zur Sünderin, flößt ihr Liebe bis in den Tod zum
Göttlichen ein und reinigt sie hierdurch von dem Schlamme, in dem
sie versunken war. Sie darf mit ihm zum Himmel emporsteigen.
Jn diesen ausgewählten Beispielen hat der Dichter den sym-
bolischen Schleier teils hie und da selber emporgehoben, teils leicht
genug gewebt, daß wir den Sinn, den er deckt, erkennen konnten.
Dagegen haben wir andere Balladen, bei denen er so dicht aufliegt,
daß wir nicht hindurchzublicken vermögen, ja wohl meinen können,
es sei überhaupt hier von keinem Schleier die Nede; sondern das,
was wir sehen, sei alles, was der Dichter uns habe sagen wollen. Jn
diesen Kreis scheinen die „Ballade vom vertriebenen und
zurückkehrenden Grafen (1816) und das „H o ch z e i t s lied"
(1802) zu gehören. Aber wir werden sofort schwankend, wenn wir
vernehmen, daß Goethe diese beiden Balladen neben die Braut von
Korinth, den Gott und die Bajadere und den Paria stellt und von
ihnen gemeinsam aussagt, daß er ihren Stoff Jahrzehnte lang mit
sich herumgetragen, und lebendig und wirksam im Jnnern erhalten
habe. „Mir schien der schönste Besitz", fährt er fort, „solche werte
Bilder oft in der Einbildungskraft erneut zu sehen."
Es bleibt nach diesem Bekenntnis kein Zweifel, daß auch die
genannten Balladen Symbole für tiefer liegende Gedanken waren,
die durch allerhand Erlebnisse in Goethe immer wieder sich erneuten
und beunruhigend und klärend wirksam wurden. Schon das überlange
zärtliche Bewahren der Stoffe würde dafür sprechen. Denn hätten
sie ihm nichts bedeutet, so hätte er sie, einem Augenblicksreize
folgend, rasch verarbeitet oder, was wahrscheinlicher ist, wieder fallen
lassen. Wir müssen demnach versuchen, ihren Sinn zu erfassen.
Was sehen wir im „H o ch zeits lied"? — Ein Gras, der nach
langer Abwesenheit auf sein Schloß zurückkehrt, findet dort alles öde
und leer. Diener und Habe sind zerstoben, durchs Fenster ziehen
die Winde. Das tut ihm nicht das geringste, er bleibt wohlgemut,
legt sich mit Behagen ins Bett, und erlaubt den Zwergen, die ihn
im Schlafe besuchen, wie ein gütiger großer Herr nach Belieben im
Schlosse zu Wirtschaften. Sie feiern eine Hochzeit, bei der sich das
Schloß mit Reichtum und Glanz füllt. „Und was er, so artig,
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