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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 12
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0842

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„alten Kasten". Es fehlt mir die
Kenntnis der Pläne, und ich möchte
daher nicht unmittelbar zu dem
Opernhausbau Stellung nehmen.
Aber ich möchte die Gelegenheit
benutzen, um davon zu sprechen,
weshalb man eigentlich eine ganze
Klasse von Gebäuden im Gegensatz
zu den „schöneir Gebäuden" unter
die „Kasten" einreiht.

Unsere heutige Menschheit in ihrer
Masse kennt hier eigentlich nnr ein
Unterscheidungsmerkmal: ist „was
Schönes dran" oder ist „nicht viel
dran", wie neulich ja schon im Kunst-
wart erörtert wurde. Jst nun „nicht
viel dran", so rangiert das Haus als
„Kasten". DenSinn und denKern des
ganzenBauens kennt man nicht mehr.
Daß ein Banwerk vor allem durch
seine Verhältnisse und seine Detail-
lierung zu wirken hat nnd daß sast
allein davon sein Ansdrnck ab-
hängt — davon ahnt heute weder
das verehrliche Publikum in seiner
Mehrheit, noch die große Mehrheit
der Architekten etwas. Wieviel herr-
liche, wahrhaft monumentale Schlös-
ser, Rathäuser, Kirchen und Land-
häuser gibt oder gab es, in denen
man nichts anders als einen alten
Kasten erblickte? Man könnt' es ge-
radezu als einen Prüfstein des Bau-
verständnisses bezeichnen, ob die Voll-
endung solcher vornehm-einfacher Ge-
bäude erkannt oder ob in ihnen bloß
der „Kasten" gesehen wird. Unverzier-
tes kann anch häßlich sein, selbstvcr-
ständlich, aber nicht deshalb, weil
es unverziert ist.

Jn den siebziger und achtziger
Jahren erklang der Notschrei, daß
die Architektur wieder „malerisch"
werden müßte. Mit der größten
Schnelligkeit wurde dies Schlagwort
mißverstanden, und man sah nun
darin das Ziel, alle Bauglieder mög-
lichst aufzulösen und zn verzetteln.
Daß oft die schönsten und monumen-
talsten Lösungen durch starkes Zu-

sammenfassen in einen großen
Körper gelingen, schien man voll-
kommen zu übersehen, ja man ge-
langte sogleich zur Berurteilung die-
ser Einfachheit, die doch stets das
Ziel aller großen Künstler war.

Hoffentlich erhalten die hier ent-
scheidenden Männer uns die große
Schönheit des alten Opernhauses.

Schultze-Naumburg.

Verniilckles.

G Die Schlaftänzerin M ade-
lcine G. ist seit einigen Wochen die
große Sensation Münchens. Jhre De-
monstrationen versammelten in einer
Reihc von Soireen ein erlesenes Pu-
blikum, und sollen jetzt auch breiteren
Kreisen zugänglich gemacht werden,
gegen eine hohe „Garderobegebühr",
welche die ursprünglich betonte Un-
eigennützigkeit der Dame wieder schr
in Frage stellt. Nicht nur unsere Psy-
chologen, an ihrer Spitze der bekannte
Nervenarzt und Forscher auf hypno-
tischem und somnambulen Gebiete,
Freiherr Dr. von Schrenck-Notzing,
auch die namhaftesten Musiker, bil-
denden Künstler und Literaten Mün-
chens wandten der aus Tiflis ge-
bürtigcn, von dem Pariser Magneto-
pathen Magnin anläßlich einer Mi-
gränebehandlung entdeckten Traum-
darstellerin ihre lebhafteste Teilnahme
zu. O. I. Bierbaum pries in einem
Feuilleton ihre Darbietungen be-
geistert als „Wunder", als ver-
ehrungswürdige Offenbarung jener
reinen Schönheit, die den heimlichen
Urgrund der Menschennatur bilde,
und Georg Fuchs begrüßte die Russin
fast noch resoluter als „tragische
Muse". Zu derartigen Superlativen
kann sich wohl nur hinreißen lassen,
wer die eigentümlich reizvollen Er-
scheinungen des Somnambulismus
und Mediumismus noch nicht hin-
reichend kennt und jeden starken nnd
neuen Eindruck sofort als spezisisch
künstlerisches Phänomen bewun-

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