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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 17,1.1903-1904

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Heft 12
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.7715#0843

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dert. Jch selbst habe bei verschiede-
nen Somnambulen nnd Medien Ein-
drücke erhalten, die an pathetischer
Gewalt und ursprünglicher Anmut die
Leistungen der Madeleine noch über-
trafen: aber so sehr mich diese Dinge
menschlich bewegten und spekulativ be-
schäftigten, an Kunst vermochte ich
dabei niemals zu denken. Gewiß
haben alle solchen Entrücktheitszu-
stände — wie ja schon der gewöhn-
liche Traum — vermöge der Ausschal-
tung des nüchternen Verstandes-
bcwußtseins eine gewisse Aehnlichkeit
mit dem künstlerischen Schaffenszu-
stand, eine Aehnlichkeit, die sich auch
auf das Hervorgebrachte überträgt:
aber sie bleiben Erscheinungen der
Natur, die einesteils viel reicher,
andernteils aber auch viel ärmer ist
als die Kunst. Jhre Armut liegt in
der unmündigen Passivität, die rest-
los durch äußere Einwirkungen be-
stimmt wird, während in den Werken
dcr echten Kunst immer auch der aktive
und zielbewußte Geist durchleuchtend
und beherrschend, ordnend und aus-
wählend mitarbeitet. Der llmstand,
daß die Madeleine ihre somnambule
Passivität hauptsächlich musikali-
schen Suggestionen zur Verfügung
stellt, deren rhythmische Ordnung auch
ihren Darstellungen naturgemäß
etwas Harmonisches und Geordnetes
leiht, konnte allerdings leicht zu dem
Jrrtum führen, die Quelle dieser Ord-
nung und Harmonie aus dem Musik-
stück in sie selbst zu verlegen und
sie als „unbewußte Künstlerin" an-
zustaunen, während sie doch in Wahr-
heit dabei nur als sür alles Gefühls-
mäßige eminent gefügige Marionette
fungiert; auch das elementare, dunk-
les und vieldeutiges Triebleben ver-
mittelnde Wesen der musikalischen
Kunst mochte hier das Urteil verwir-
ren. Bei den Darstellungen von
Schauspielszenen und menschlichen
Affekten, die durch bloße Schlagworte
ausgelöst wurden, konnte man da-

gegen deutlich genug den Mangel
der geistigen Beherrschung bzw. dcn
Mangel einer geistigen Reaktions-
fähigkeit wahrnehmen. Ais Gelegen-
heit zum Studium unwillkürlicher
und rein gefühlsmäßiger Bewegungen
und Gebärden wie auch zur Beob-
achtung eines primitiveren mensch-
lichen Lebenszustandes beanspruchcn
die Demonstrationen der Madeleine
ohne Zweifel allgenreinstes Jnteresse,
auch von künstlerischer Seite: nur
sollte man sie nicht als allgemeines
Jdeal künstlerischer Darstellung
seiern, solange man die Kunst noch
nicht ins tierisch Urzuständliche ver-
wildern und ins Tranmhafte zer-
sließen lassen will.

Lsanns von Gumxpenberg.

K „Der Tanz."

Der Strauß-Gedenktag legt es
nahe, ein gutes Buch über den Tanz
zu empsehlen, — Karl Storck hat
vor kurzem eins bei Velhagen und
Klasing erscheinen lassen. Storcks
Ehrgeiz ging nicht dahin, neue Quel-
len zu erschließen, sondern eine gute,
lesbare und dabei von gesundem Ur-
teil geleitete Uebersicht zu geben. Das
ist ihm gelungen. Man hat nun alles
Wissenswerte des Stoffes bequem bei-
sammen. Und doch ist der Eindruck
einer bloßen Zusammenstellung des
Tatsächlichen vermieden. Vielmehr
zeigt sich in der Gruppierung, in der
matteren oder helleren Beleuchtung
der Einzelheiten, in der einheitlichen
Linie, welche die einzelnen Abschnitte
verbindet, die selbständige geistige
Durchdringung des ausgebreiteten
Materials. s50 Abbildungen illustrie-
rcn die durch eine frische, gemeinver-
ständliche Schreibweise belebte Dar-
stellung der Kulturgeschichte des Tan-
zes, der Formen unserer Gesellschafts-
tänze und der Entwickelung der Tanz-
musik. Eine neue Auflage müßte
jedenfalls auch die Duncan noch
charakterisieren und dann auf die Be-
deutung hinweisen, die Nichard Wag-

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Kunstwart
 
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