V.3 Rangbewußtsein und Repräsentation im Nordosten um 1500
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in der erwähnten Bilderhandschrift auftaucht und auf seine heraldische Weise an die ge-
nealogische Kontinuität erinnert" , verwiesen auf die zeitgenössische mecklenburgische
Geschichte. Mecklenburg selbst wurde zu einem kontinuierlich besiedelten, natürlichen
wie gleichsam überzeitlichen Gebilde stilisiert.*^ Marschalks genealogisch-historiogra-
phische Fiktion wurde fürstlicherseits offenbar schnell akzeptiert, wiewohl es an gelehr-
ter Kritik daran nicht fehlte.*" Der 1578 gedruckte Stammbaum, den David Chytraeus für
Herzog Ulrich entworfen hatte und der mit Anthyrius und Symbulla seinen Anfang
nahm, legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Er wurde an andere Fürstenhöfe geschickt,
um dort als Nachweis auch der mecklenburgischen Altehrwürdigkeit zu dienend"
Die Darlegungen von Krantz und mehr noch von Marschalk hatten augenschein-
lich die besondere Dignität der mecklenburgischen Herzoge im Vergleich zu anderen
Fürstenhäusern im Reich zu belegen und erklären sich auch vor dem Hintergrund der
damaligen Reichsverdichtung, welche die Fürsten des südlichen Ostseeraums über-
haupt erst in die Verlegenheit einer solch starken Vergleichs- bzw. Konkurrenzsituation
brachte. Marschalks Herkunftssage stellt dabei eine auffällige Parallele zu den sächsi-
schen Fürsten her. Denn auch diese leiteten ihre Abkunft in der gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts gedruckten Cronec/u'?; &r Sassen vom Heer Alexanders des Großen ab.'" Korre-
spondierte mit dieser sächsisch-mecklenburgischen Parallelität einerseits Marschalks
persönlicher Lebensweg, der ihn von Thüringen und Sachsen nach Mecklenburg ge-
führt hatte, so entsprach sie andererseits den engen dynastischen Beziehungen, die
Mecklenburg und Sachsen zu Beginn des 16. Jahrhunderts knüpften. Marschalks Kon-
strukt zufolge standen Mecklenburgs Herzoge mit den sächsischen Fürsten auf einer
Ebene. Das ist nicht unwichtig, vergegenwärtigt man sich, daß in Sachsen eine der Kur-
würden verankert war.
Doch nicht nur über Geschichtsschreibung und Genealogie wurde pro-
pagiert, sondern auch die Architektur der herzoglichen Schlösser führte sie eigens vor
Augen. Ein Schloßgebäude als physisch ansichtiges Haus war der architektonische Inbe-
griff der fürstlichen Familie als dynastisches Haus."'* So war z. B. die Fassade des Resi-
denzschlosses in Stettin, dessen südliche Seite der prächtige, im Stile der Spätgotik ge-
haltene sog. Bogislawbau einnimmt, das erstaunliche Ergebnis einer stilistischen
»Rekonstruktion«, die im Zuge des 16. Jahrhunderts vorgenommen worden war."** Ganz
bewußt sollte durch die Aufnahme altmodischer Stilelemente das Gedächtnis an einen
der bedeutendsten Vertreter der Dynastie, nämlich Bogislaw X., wachgehalten und
gleichzeitig an die Altehrwürdigkeit des Herrscherhauses erinnert werden. Auch für
das herzogliche Residenzschloß in Barth ist dieser Kontext neuerdings überzeugend un-
tersucht worden: Es wies - gewiß absichtlich - in Anlehnung und unter Einbeziehung
älterer Bauteile eine unregelmäßige Fassadenstruktur auf, welche auf ihre Weise die dy-
153 RörcKEl995,S. 19.
154 G. WERNER 2002, S. 198f.
155 BEI DER WiEDEN 2007 S. 15-19 (S. 15: »Marschalks Geschichte des mecklenburgischen Fürsten-
hauses stieß bei Herzog Heinrich V. und seinem Hof offensichtlich auf ein großes Bedürfnis«).
Kritik äußerte z. B. der mecklenburgische Hofrat und Kanzler Andreas Mylius (ebda., S. 18).
156 Er findet sich so z. B. heute noch im HStA Stuttgart, Bestand 190, Nr. 10a. - NEUMANN 2000 kennt
dieses Exemplar anscheinend nicht.
157 Ebda., S. 203.
158 Siehe zu diesem Komplex grundlegend MÜLLER 2004. Daneben DERS. 2005b. Siehe zum Thema
im weiteren Sinne auch HuBACH 1995.
159 Freundliche telefonische Mitteilung von Prof. Dr. Matthias Müller, Mainz, vom 12. Juni 2006. -
Zur Baugeschichte des Schlosses siehe Das Schloss der Pommernherzöge 1992.
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in der erwähnten Bilderhandschrift auftaucht und auf seine heraldische Weise an die ge-
nealogische Kontinuität erinnert" , verwiesen auf die zeitgenössische mecklenburgische
Geschichte. Mecklenburg selbst wurde zu einem kontinuierlich besiedelten, natürlichen
wie gleichsam überzeitlichen Gebilde stilisiert.*^ Marschalks genealogisch-historiogra-
phische Fiktion wurde fürstlicherseits offenbar schnell akzeptiert, wiewohl es an gelehr-
ter Kritik daran nicht fehlte.*" Der 1578 gedruckte Stammbaum, den David Chytraeus für
Herzog Ulrich entworfen hatte und der mit Anthyrius und Symbulla seinen Anfang
nahm, legt davon ein beredtes Zeugnis ab. Er wurde an andere Fürstenhöfe geschickt,
um dort als Nachweis auch der mecklenburgischen Altehrwürdigkeit zu dienend"
Die Darlegungen von Krantz und mehr noch von Marschalk hatten augenschein-
lich die besondere Dignität der mecklenburgischen Herzoge im Vergleich zu anderen
Fürstenhäusern im Reich zu belegen und erklären sich auch vor dem Hintergrund der
damaligen Reichsverdichtung, welche die Fürsten des südlichen Ostseeraums über-
haupt erst in die Verlegenheit einer solch starken Vergleichs- bzw. Konkurrenzsituation
brachte. Marschalks Herkunftssage stellt dabei eine auffällige Parallele zu den sächsi-
schen Fürsten her. Denn auch diese leiteten ihre Abkunft in der gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts gedruckten Cronec/u'?; &r Sassen vom Heer Alexanders des Großen ab.'" Korre-
spondierte mit dieser sächsisch-mecklenburgischen Parallelität einerseits Marschalks
persönlicher Lebensweg, der ihn von Thüringen und Sachsen nach Mecklenburg ge-
führt hatte, so entsprach sie andererseits den engen dynastischen Beziehungen, die
Mecklenburg und Sachsen zu Beginn des 16. Jahrhunderts knüpften. Marschalks Kon-
strukt zufolge standen Mecklenburgs Herzoge mit den sächsischen Fürsten auf einer
Ebene. Das ist nicht unwichtig, vergegenwärtigt man sich, daß in Sachsen eine der Kur-
würden verankert war.
Doch nicht nur über Geschichtsschreibung und Genealogie wurde pro-
pagiert, sondern auch die Architektur der herzoglichen Schlösser führte sie eigens vor
Augen. Ein Schloßgebäude als physisch ansichtiges Haus war der architektonische Inbe-
griff der fürstlichen Familie als dynastisches Haus."'* So war z. B. die Fassade des Resi-
denzschlosses in Stettin, dessen südliche Seite der prächtige, im Stile der Spätgotik ge-
haltene sog. Bogislawbau einnimmt, das erstaunliche Ergebnis einer stilistischen
»Rekonstruktion«, die im Zuge des 16. Jahrhunderts vorgenommen worden war."** Ganz
bewußt sollte durch die Aufnahme altmodischer Stilelemente das Gedächtnis an einen
der bedeutendsten Vertreter der Dynastie, nämlich Bogislaw X., wachgehalten und
gleichzeitig an die Altehrwürdigkeit des Herrscherhauses erinnert werden. Auch für
das herzogliche Residenzschloß in Barth ist dieser Kontext neuerdings überzeugend un-
tersucht worden: Es wies - gewiß absichtlich - in Anlehnung und unter Einbeziehung
älterer Bauteile eine unregelmäßige Fassadenstruktur auf, welche auf ihre Weise die dy-
153 RörcKEl995,S. 19.
154 G. WERNER 2002, S. 198f.
155 BEI DER WiEDEN 2007 S. 15-19 (S. 15: »Marschalks Geschichte des mecklenburgischen Fürsten-
hauses stieß bei Herzog Heinrich V. und seinem Hof offensichtlich auf ein großes Bedürfnis«).
Kritik äußerte z. B. der mecklenburgische Hofrat und Kanzler Andreas Mylius (ebda., S. 18).
156 Er findet sich so z. B. heute noch im HStA Stuttgart, Bestand 190, Nr. 10a. - NEUMANN 2000 kennt
dieses Exemplar anscheinend nicht.
157 Ebda., S. 203.
158 Siehe zu diesem Komplex grundlegend MÜLLER 2004. Daneben DERS. 2005b. Siehe zum Thema
im weiteren Sinne auch HuBACH 1995.
159 Freundliche telefonische Mitteilung von Prof. Dr. Matthias Müller, Mainz, vom 12. Juni 2006. -
Zur Baugeschichte des Schlosses siehe Das Schloss der Pommernherzöge 1992.