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Früh- und Hochmittelalter
Trotz dieser grundsätzlichen methodischen Probleme hinsichtlich des Einzelfalls
sowie des Gesamtzusammenhangs hat die Forschung stets den Versuch unternommen,
gewisse übergreifende Entwicklungslinien herauszuarbeiten, verbunden mit immer
präziseren Einsichten in den eingetretenen Wandel. Mitteis sah hierbei durch die Dop-
pelwahl von 1198 einen »tiefen Einschnitt« gegeben: Bis zu diesem Zeitpunkt habe »die
Königswahl nur ein Glied in einer ganzen Kette von Handlungen« gebildet, der ge-
samte »staatsrechtliche Vorgang bewegte sich noch durchaus in den volkstümlichen
Rechtsformen, die aus der germanischen Frühzeit stammen; er war eine Bekundung
des spontan geäußerten Volkswillens, der keine festen Regeln kannte«. Das Jahr 1198
markiert für ihn eine Wasserscheide zwischen »der (durch die Fürsten getätigten)
Volkswahl« und der »beginnenden Zeit der reinen Fürstenwahl«, so dass man vor die-
sem Zeitpunkt »strenggenommen von einer >Königswahl< gar nicht reden dürfe«, da es
den Begriff für sich allein gar nicht gegeben habeÜ
Gegen diese und andere Ansichten wurden jedoch bald Bedenken und Kritik
geäußert,^ was zu gewissen Präzisierungen führte. Besonders Hagen Keller und Ulrich
Schmidt konnten herausarbeiten, dass sich das Prinzip der freien Wahl spätestens seit
den Gegenkönigserhebungen zur Zeit des Investiturstreits durchgesetzt hattet" Mit-
teis' Urteil wirkte jedoch insofern weiter, als auch noch Schmidt 1198 als den Zeitpunkt
ansah, von dem an sich die »Königswahl zu einem formalisierten Rechtsgeschäft« ent-
wickelte.^ Diese Neubewertung, dass »nicht im Wahlprinzip, sondern im rechtlichen
Vollzug der Wahl der einschneidende Wandel« begründet sei, unterzog wiederum Ul-
rich Reuling einer eingehenden Überprüfung. Reuling kam zu dem Schluss, dass sich
die »Anfänge ... der institutioneilen Ausformung der Wahl und ihrer rechtlichen Be-
deutung im Rahmen der Königserhebung« deutlich länger als 1198 zurückverfolgen lie-
ßen, nämlich bis zur Wahl Konrads II. 1024. Er konnte wahrscheinlich machen, dass
sich »die Wahlform der Kur zunächst nur bei den freien Wahlen« durchzusetzen ver-
mochte. Dieses Verfahren habe sich jedoch in der frühen Stauferzeit verfestigt, wodurch
die aus Stimmabgabe der Großen und Vollbort des Volkes bestehende Wahlhandlung
immer stärkeres Gewicht gewonnen hättet Der Doppelwahl von 1198 beließ auch Reu-
sprüchlichen Nachrichten über die Herrschererhebung Friedrichs I. siehe REunNG, Entwick-
lung der Wahlformen, S. 251f. sowie DicK, Königserhebung Friedrich Barbarossas, und NiEDER-
KORN, Zu glatt und daher verdächtig?.
28 Mi i i ris, Die deutsche Königswahl, S. 14-17.
29 Vgl. REunNG, Entwicklung der Wahlformen, S. 228-230.
30 Vgl. KELLER, Schwäbische Herzoge als Thronbewerber, besonders S. 145-150; SCHMIDT, Königs-
wahl und Thronfolge, S. 261-265.
31 ScHMiDT, Königswahl und Thronfolge, S. 265. Siehe auch S. 2f., wo die Doppelwahl als »Zäsur«
bezeichnet wird (S. 3).
32 REunNG, Entwicklung der Wahlformen, S. 269f. Dass tatsächlich bereits der Vollzug der Wahl
den König »in den Vollbesitz der Regierungsgewalt« versetzte, ist im Lichte der Urkundenver-
gabe und der Zählung der Regierungsjahre jedoch bis ins späte 13. Jahrhundert in Frage zu stel-
len, mit Philipp von Schwaben als die Regel bestätigende Ausnahme (vgl. unten, Kapitel 7.1).
Wenig Neues für die Entwicklung der Wahlformen bringt hingegen die kurz nach Reulings
Arbeit veröffentlichte Abhandlung von FAussNER, Thronerhebung, die eher einen Überblick
über die verschiedenen Herrschererhebungen darstellt, allerdings unter sehr begrenzter Einbe-
ziehung der Forschungsliteratur. Die dortige These über die Entstehung des Kurfürstenkollegi-
ums im Zusammenhang mit dem gescheiterten Erbreichsplan Heinrichs VI. (siehe besonders
S. 32-38) ist von Franz-Reiner Erkens zu Recht als »im kühnen Zugriff auf die Quellen ... ohne
Früh- und Hochmittelalter
Trotz dieser grundsätzlichen methodischen Probleme hinsichtlich des Einzelfalls
sowie des Gesamtzusammenhangs hat die Forschung stets den Versuch unternommen,
gewisse übergreifende Entwicklungslinien herauszuarbeiten, verbunden mit immer
präziseren Einsichten in den eingetretenen Wandel. Mitteis sah hierbei durch die Dop-
pelwahl von 1198 einen »tiefen Einschnitt« gegeben: Bis zu diesem Zeitpunkt habe »die
Königswahl nur ein Glied in einer ganzen Kette von Handlungen« gebildet, der ge-
samte »staatsrechtliche Vorgang bewegte sich noch durchaus in den volkstümlichen
Rechtsformen, die aus der germanischen Frühzeit stammen; er war eine Bekundung
des spontan geäußerten Volkswillens, der keine festen Regeln kannte«. Das Jahr 1198
markiert für ihn eine Wasserscheide zwischen »der (durch die Fürsten getätigten)
Volkswahl« und der »beginnenden Zeit der reinen Fürstenwahl«, so dass man vor die-
sem Zeitpunkt »strenggenommen von einer >Königswahl< gar nicht reden dürfe«, da es
den Begriff für sich allein gar nicht gegeben habeÜ
Gegen diese und andere Ansichten wurden jedoch bald Bedenken und Kritik
geäußert,^ was zu gewissen Präzisierungen führte. Besonders Hagen Keller und Ulrich
Schmidt konnten herausarbeiten, dass sich das Prinzip der freien Wahl spätestens seit
den Gegenkönigserhebungen zur Zeit des Investiturstreits durchgesetzt hattet" Mit-
teis' Urteil wirkte jedoch insofern weiter, als auch noch Schmidt 1198 als den Zeitpunkt
ansah, von dem an sich die »Königswahl zu einem formalisierten Rechtsgeschäft« ent-
wickelte.^ Diese Neubewertung, dass »nicht im Wahlprinzip, sondern im rechtlichen
Vollzug der Wahl der einschneidende Wandel« begründet sei, unterzog wiederum Ul-
rich Reuling einer eingehenden Überprüfung. Reuling kam zu dem Schluss, dass sich
die »Anfänge ... der institutioneilen Ausformung der Wahl und ihrer rechtlichen Be-
deutung im Rahmen der Königserhebung« deutlich länger als 1198 zurückverfolgen lie-
ßen, nämlich bis zur Wahl Konrads II. 1024. Er konnte wahrscheinlich machen, dass
sich »die Wahlform der Kur zunächst nur bei den freien Wahlen« durchzusetzen ver-
mochte. Dieses Verfahren habe sich jedoch in der frühen Stauferzeit verfestigt, wodurch
die aus Stimmabgabe der Großen und Vollbort des Volkes bestehende Wahlhandlung
immer stärkeres Gewicht gewonnen hättet Der Doppelwahl von 1198 beließ auch Reu-
sprüchlichen Nachrichten über die Herrschererhebung Friedrichs I. siehe REunNG, Entwick-
lung der Wahlformen, S. 251f. sowie DicK, Königserhebung Friedrich Barbarossas, und NiEDER-
KORN, Zu glatt und daher verdächtig?.
28 Mi i i ris, Die deutsche Königswahl, S. 14-17.
29 Vgl. REunNG, Entwicklung der Wahlformen, S. 228-230.
30 Vgl. KELLER, Schwäbische Herzoge als Thronbewerber, besonders S. 145-150; SCHMIDT, Königs-
wahl und Thronfolge, S. 261-265.
31 ScHMiDT, Königswahl und Thronfolge, S. 265. Siehe auch S. 2f., wo die Doppelwahl als »Zäsur«
bezeichnet wird (S. 3).
32 REunNG, Entwicklung der Wahlformen, S. 269f. Dass tatsächlich bereits der Vollzug der Wahl
den König »in den Vollbesitz der Regierungsgewalt« versetzte, ist im Lichte der Urkundenver-
gabe und der Zählung der Regierungsjahre jedoch bis ins späte 13. Jahrhundert in Frage zu stel-
len, mit Philipp von Schwaben als die Regel bestätigende Ausnahme (vgl. unten, Kapitel 7.1).
Wenig Neues für die Entwicklung der Wahlformen bringt hingegen die kurz nach Reulings
Arbeit veröffentlichte Abhandlung von FAussNER, Thronerhebung, die eher einen Überblick
über die verschiedenen Herrschererhebungen darstellt, allerdings unter sehr begrenzter Einbe-
ziehung der Forschungsliteratur. Die dortige These über die Entstehung des Kurfürstenkollegi-
ums im Zusammenhang mit dem gescheiterten Erbreichsplan Heinrichs VI. (siehe besonders
S. 32-38) ist von Franz-Reiner Erkens zu Recht als »im kühnen Zugriff auf die Quellen ... ohne