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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 1
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Gischler, W.: Hans Gsell
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0028

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daß sie ihre Bravour^dabei
zeigen oder daß sie iu der
Aufregung einen flattern-
den Deckmantel ihrer Blößen
gewinnen wollen. Beides
führt zu nichts, die Kunst ist
überall restlose Darstellung
und ihr Grunderfordernis
durchsichtige Klarheit. Wenn
wir mit dem Begriff des
Barocken in der Plastik
einen verächtlichen Sinn
verbinden, geht er auf dies
Gefühl zurück und daß eine
unnötige oder doch unge-
klarte Bewegung der Ober-
fläche die plastische Aufgabe,
nämlich den im Ausmaß
aller Kräfte zur Ruhe ge-
brachten Organismus des
sogenannten Gegenstandes,
vermissen oder nicht klar
erkennen läßt. Wenn man
von diesem Begriff aus
dann den „Edelfalken" von
Gsell klassisch nennen will,
spürt man in einer zag-
haften Iurückhaltung deut-
lich, welche hohen Forde-
rungen das mit Bewußt-
sein angerufene Gefühl in
einerinstinktgemäßenSicher-
heit stellt.

Eher wird sich ihm das
Relief der liegenden Löwin
behaupten, dem mit Absicht
die gezeichnete Studie aller-
dings eines Löwen beige-
geben wird, um die stilistische
Umbildung eines Naturein-
drucks für eine plastische
Lösung recht augenfällig zu
machen. Hier kommt nun
freilich die Einordnung i»
das architektonische Gehäuse
der tatsächlich klassischen Wir-
kung zustatten; denn ob-
wohl schließlich diese Ein-
ordnung auch sonst die wich-
tigste Aufgabe des Bild-
hauers ist (nur daß er bei
der freien Plastik mit der
unendlichen Silhouette sei-
nes Rundkörpers gegen den
Raum eine Feldschlacht
zu kämpfen hat, während
hier nur das Einzelgefecht
einer Silhouette gegen die
Wand stattfindet): es ist
doch eine unendliche Er-
leichterung. Freilich, wie

Hans Gsell.

Iunger Wolf (gebrannter Ton).

Hans Gsell. Stier auf der Kugel (Bronze, Granitsockel).

alles im Leben und in
der Kunst, mit einer Er-
schwerung, der reliefmäßi-
gen Verjüngung der plasti-
schen Formen verbunden.
Wie da nun in das flache
Halbrund die Masse des ge-
lagerten Tiers architektonisch
eingebaut ist, mit einem
Dreieck, das von den Vor-
dertatzen beginnend bis zuni
Hinterschenkel ansteigt, um
in dem durch dieses Dreieck
abgeschnittenen Teil der
Nische ziemlich genau in
der Mitte mit dem Halb-
kreis des gewendeten Kopfes
hinein zu ragen: dieser ar-
chitektonische Aufbau in die
senkrechte Fläche ist eben
fo klar und ruhig, wie die
Verteilung der Körpermasse
im wagerechten Durchschnitt.
Kopf, Vorderpranken und
Hinterschenkel mit dem
Schwanz geben die gleich-
maßig erhöhten Punkte an,
bis zu denen sich das Relief
aus der Nische heraus ar-
beitet, ohne aus der Wand
selbst herauszubrechen.

Wenn wir eine solche
Darstellung, wenn auch
schüchtern, klassisch zu nen-
nen wagen, ist die beson-
dere Freude dabei, daß ihr
wenig schulgemäß Über-
nommenes, vor allem nichts
Klassizistisches anhaftet, daß
sie trotz der architektoni-
schen Einordnung sich nir-
gendwo bis zur Stilisie-
rung vom Natureindruck
entfernt, daß sie ebenso-
wenig griechisch wie baby-
lonisch oder agyptisch wirkt
und doch die große Hal-
tung hat. Man darf einem
jungen Künstler, der ver-
hältnismaßig rasch, aber
von innen heraus, wie wir
sagten: aus dem Gegen-
stand statt aus der Kunst
soweit kam, wohl etwas
Vertrauen schenken, daß er
unsern nicht großen Reich-
tum an wirklichen Bild-
werken in Deutschland zu
mehren zum mindesten ein
Berufener ist.

W. Gischler.
 
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