ie junge und die jüngste Malerei.
(Glossen zur Sonderbundausstellung in Köln.)
I. Vincent van Gogh.
Die Ausstellung des Sonderbundes in Köln umfaßt
634 Nummern, von denen 125 (17 Aeichnungen ein-
gerechnet) auf van Gogh entfallen. Diese Aahl allein
gibt dem großen Pfadfinder der modernen Kunst ein
Ubergewicht, das, durch die Qualität seiner Werke ver-
vielfacht, die Veranstaltung zu einer Van Gogh-Aus-
stellung mit entsprechendem Anhang macht. Selbst
wenn unsere Aeit den merkwürdigen Holländer über-
schätzen sollte — welcher Meinung ich nicht bin —
bliebe sein Einfluß Grund genug, ihm eine solche Dar-
stellung und Ehrung zu bereiten; denn die Befreiung
aus dem Jmpressionismus, von der wir die europäische
Maljugend in einer wahren Wut befallen sehen, hat in
ihm ihren eigentlichen Ausgangspunkt. Der kunst-
sreundliche Laie — von den andern garnicht zu sprechen —
kann sich zwar schwer entschließen, diesen anscheinenden
Ausbruch von jeglicher Formlosigkeit, wie er sich in den
Werken der Jüngsten darbietet, begleitet von der Form-
spielerei der Kubisten, überhaupt ernst zu werten und
nicht als ein Aeichen eines plötzlichen Verfalls der Mal-
kunst anzusehen. Da aber so heftige Eruptionen wie dicse
wohl Vorhandenes zerstören, doch zunachst Elementar-
kräfte auslösen, wird es zum mindesten interessant sein,
den Mann und die Kräfte anzusehen, die solches ver-
mochten.
Der Jnipressionismus, den wir nun so rasch abgelöst
sehen, war ein Studium, dem zwar die Maltemperainente
Europas mit Leidenschaft dienten, das aber in seiner
Konsequenz mehr wissenschaftlich als künstlerisch vorging.
Die Veränderung der farbigen Erscheinung im Licht
war sein Gegenstand und es hätte der Übereinstimmung
mit der modernen Farbenlehre nicht bedurft, um ihm
seinen Forschungscharakter zu geben. Man denke nur
an die Serien von Monet, wo die selbe Landschaft nach-
einander zu verschiedenen Tageszeiten gemalt war,
um die farbige Konsequenz der wechselnden Beleuchtung
an einem Gegenstand zu zeigen.
Wer die Notwendigkeit eines solchen Studiums be-
streitet, verkennt die Ratlosigkeit, in der sich die euro-
päische Malerei im neunzehnten Jahrhundert befand.
Sie hatte mit einer früher wohl kaum so verbreiteten
Kenntnis der alten Malerei eine Erbschaft angetreten,
deren Verwertung sie mit allen Künsten einer sehn-
süchtigen Geistigkeit versuchte, bis sie den handwerklichen
Boden der Malerei erkannte und nun von dort aus eine
selbständige Entwicklung versuchte. Dabei kam es viel
weniger auf den leidenschaftlich diskutierten Gegensatz
von Naturalismus zu Jdealismus an — der von naiven
Gemütern als der Kampf zwischen häßlich und schön
empfunden wurde — als auf die technischen Mittel.
Für Leibl, den größten Malmeister der Deutschen im
neunzehnten Jahrhundert, gab es keine entscheidendere
Frage als die, ob einer „lasierte" — was ihm ein Laster
schien — oder ob er ullu primu malte, d. h. naß in naß
die Farben mit einer einmaligen Niederschrift hinsetzte.
Nur wer die Malerei in ihren technischen Grundlagen
verkennt, kann darin eine sportliche Stupidität sehen.
wie es von dcn malendcn Aeitgenossen des Meisters
unter dem Schutz Lenbachscher Autorität geschah. Jn
Wirklichkeit brachte Leibl seine Malerei damit auf den
Boden des mit Franz Hals (für ihn der größte Maler
aller Aeiten) begründeten modernen Malhandwerks und
seiner Freiheit als einer Handschrift zurück. Alle Alten,
auch noch Dürer und Tizian, hatten ihre Bilder mit viel-
fachen Lasuren gemalt und die berühmte Erfindung der
Ölmalerei durch die Brüder van Eyck war nichts als das
Malmittel gewesen, mit Lasuren vielfach übereinander
zu gehcn. Nachdem aber seit dem siebzehnten Jahr-
hundert die Malerei mit Ölfarben ihre Meister und
damit die ihr gemäße Technik gefunden hatte, war es
eine handwerkliche Pfuscherei, wenn mit den deckenden
Ölfarben wie mit Lasuren übereinander gemalt wurde,
>vie es vor, um und nach Leibl allgemein geschah.
Da er aber ein Meister, kein Pfuscher war, gab es für
ihn kcin schlimmeres Verbrechen, als Unreinlichkeit der
Mittel und keinen höheren Ehrgeiz, als es mit seinem
neuen Handwerk den Altmeistern gleich zu tun, was ihm
mit seinem Kirchenbild auch gelang, das also schlag-
wörtlich als ein mit den Malmitteln des Franz Hals
gemalter Holbein bezeichnet werden darf.
Gleichzeitig mit dieser Rückbesinnung auf die hand-
werkliche Tradition der Malerei brachte das Ende des
neunzehnten Jahrhunderts auch die Neueinstellung des
Bildproblems. Nur der naive Laie kann in einem Bild
die Nachahmumg irgend eines Stückes Natur sehen, wie
ihn etwa die vollkommene Farbenphotographie auch zu
geben vermöchte; obwohl die Anforderungen auch des
gebildeten Publikums an ein Bildnis sich selten über
diese Laienmeinung erheben. Als Kunst betrachtet ist
es die Ausbildung einer Harmonie von Flächen und
Farben in einem selbstgewählten Rahmen, kein will-
kürlicher Ausschnitt also — wie ihn die Photographie
immer gibt —, sondern ein bewußtes Gleichgewicht der
Bildelemente, die im einzelnen der Naturanschauung
entnommen sind, im ganzen aber eine bewußte Kompo-
sition ergeben.
Es ist ein glücklicher Umstand, daß gerade in der
Musik der Begriff der schöpferischen Tätigkeit als „Kom-
position" festgehalten ist; denn weil im Reich der Töne
als der reinsten Kunst jede Nachahmung der Natur
absurd wäre — die modernste Verirrung hat uns aller-
dings auch diesen Unsinn beschert — vermögen sich
von hier aus die künstlerischen Begriffe am sichersten zu
orientieren. Ein Bild ist nicht anders als in der Musik
eine Komposition, nur daß seine Töne Farbcn sind und
sein Rhythmus sich statt im Takt der Aeit im Nebenein-
ander des Raumes bewegt. Das Nebeneinander auf
einer Bildfläche kann sich in der getreuesten Nachahmung
der Natur vollziehen und dennoch nicht Kunst sein, sofern
es der harmonischen Einheit der Komposition entbehrt.
Die Naturgesetze der Harmonie — also der Kunst —
sind unveränderlich, aber die Mittel sind im fortwäh-
renden Wachstum begriffen, wie alle lebendigen Dinge
der Natur. Vor Bach wurde anders komponiert als
nach ihm; und wie die Maler des siebzehnten Jahr-
hunderts in ihrer Öltechnik ein anderes Malmittel hatten,
so auch ein anderes Mittel der Komposition.
Die Alten komponierten — drastisch gesagt — allein
mit der zweiten Dimension in der Fläche; die Gewänder
(Glossen zur Sonderbundausstellung in Köln.)
I. Vincent van Gogh.
Die Ausstellung des Sonderbundes in Köln umfaßt
634 Nummern, von denen 125 (17 Aeichnungen ein-
gerechnet) auf van Gogh entfallen. Diese Aahl allein
gibt dem großen Pfadfinder der modernen Kunst ein
Ubergewicht, das, durch die Qualität seiner Werke ver-
vielfacht, die Veranstaltung zu einer Van Gogh-Aus-
stellung mit entsprechendem Anhang macht. Selbst
wenn unsere Aeit den merkwürdigen Holländer über-
schätzen sollte — welcher Meinung ich nicht bin —
bliebe sein Einfluß Grund genug, ihm eine solche Dar-
stellung und Ehrung zu bereiten; denn die Befreiung
aus dem Jmpressionismus, von der wir die europäische
Maljugend in einer wahren Wut befallen sehen, hat in
ihm ihren eigentlichen Ausgangspunkt. Der kunst-
sreundliche Laie — von den andern garnicht zu sprechen —
kann sich zwar schwer entschließen, diesen anscheinenden
Ausbruch von jeglicher Formlosigkeit, wie er sich in den
Werken der Jüngsten darbietet, begleitet von der Form-
spielerei der Kubisten, überhaupt ernst zu werten und
nicht als ein Aeichen eines plötzlichen Verfalls der Mal-
kunst anzusehen. Da aber so heftige Eruptionen wie dicse
wohl Vorhandenes zerstören, doch zunachst Elementar-
kräfte auslösen, wird es zum mindesten interessant sein,
den Mann und die Kräfte anzusehen, die solches ver-
mochten.
Der Jnipressionismus, den wir nun so rasch abgelöst
sehen, war ein Studium, dem zwar die Maltemperainente
Europas mit Leidenschaft dienten, das aber in seiner
Konsequenz mehr wissenschaftlich als künstlerisch vorging.
Die Veränderung der farbigen Erscheinung im Licht
war sein Gegenstand und es hätte der Übereinstimmung
mit der modernen Farbenlehre nicht bedurft, um ihm
seinen Forschungscharakter zu geben. Man denke nur
an die Serien von Monet, wo die selbe Landschaft nach-
einander zu verschiedenen Tageszeiten gemalt war,
um die farbige Konsequenz der wechselnden Beleuchtung
an einem Gegenstand zu zeigen.
Wer die Notwendigkeit eines solchen Studiums be-
streitet, verkennt die Ratlosigkeit, in der sich die euro-
päische Malerei im neunzehnten Jahrhundert befand.
Sie hatte mit einer früher wohl kaum so verbreiteten
Kenntnis der alten Malerei eine Erbschaft angetreten,
deren Verwertung sie mit allen Künsten einer sehn-
süchtigen Geistigkeit versuchte, bis sie den handwerklichen
Boden der Malerei erkannte und nun von dort aus eine
selbständige Entwicklung versuchte. Dabei kam es viel
weniger auf den leidenschaftlich diskutierten Gegensatz
von Naturalismus zu Jdealismus an — der von naiven
Gemütern als der Kampf zwischen häßlich und schön
empfunden wurde — als auf die technischen Mittel.
Für Leibl, den größten Malmeister der Deutschen im
neunzehnten Jahrhundert, gab es keine entscheidendere
Frage als die, ob einer „lasierte" — was ihm ein Laster
schien — oder ob er ullu primu malte, d. h. naß in naß
die Farben mit einer einmaligen Niederschrift hinsetzte.
Nur wer die Malerei in ihren technischen Grundlagen
verkennt, kann darin eine sportliche Stupidität sehen.
wie es von dcn malendcn Aeitgenossen des Meisters
unter dem Schutz Lenbachscher Autorität geschah. Jn
Wirklichkeit brachte Leibl seine Malerei damit auf den
Boden des mit Franz Hals (für ihn der größte Maler
aller Aeiten) begründeten modernen Malhandwerks und
seiner Freiheit als einer Handschrift zurück. Alle Alten,
auch noch Dürer und Tizian, hatten ihre Bilder mit viel-
fachen Lasuren gemalt und die berühmte Erfindung der
Ölmalerei durch die Brüder van Eyck war nichts als das
Malmittel gewesen, mit Lasuren vielfach übereinander
zu gehcn. Nachdem aber seit dem siebzehnten Jahr-
hundert die Malerei mit Ölfarben ihre Meister und
damit die ihr gemäße Technik gefunden hatte, war es
eine handwerkliche Pfuscherei, wenn mit den deckenden
Ölfarben wie mit Lasuren übereinander gemalt wurde,
>vie es vor, um und nach Leibl allgemein geschah.
Da er aber ein Meister, kein Pfuscher war, gab es für
ihn kcin schlimmeres Verbrechen, als Unreinlichkeit der
Mittel und keinen höheren Ehrgeiz, als es mit seinem
neuen Handwerk den Altmeistern gleich zu tun, was ihm
mit seinem Kirchenbild auch gelang, das also schlag-
wörtlich als ein mit den Malmitteln des Franz Hals
gemalter Holbein bezeichnet werden darf.
Gleichzeitig mit dieser Rückbesinnung auf die hand-
werkliche Tradition der Malerei brachte das Ende des
neunzehnten Jahrhunderts auch die Neueinstellung des
Bildproblems. Nur der naive Laie kann in einem Bild
die Nachahmumg irgend eines Stückes Natur sehen, wie
ihn etwa die vollkommene Farbenphotographie auch zu
geben vermöchte; obwohl die Anforderungen auch des
gebildeten Publikums an ein Bildnis sich selten über
diese Laienmeinung erheben. Als Kunst betrachtet ist
es die Ausbildung einer Harmonie von Flächen und
Farben in einem selbstgewählten Rahmen, kein will-
kürlicher Ausschnitt also — wie ihn die Photographie
immer gibt —, sondern ein bewußtes Gleichgewicht der
Bildelemente, die im einzelnen der Naturanschauung
entnommen sind, im ganzen aber eine bewußte Kompo-
sition ergeben.
Es ist ein glücklicher Umstand, daß gerade in der
Musik der Begriff der schöpferischen Tätigkeit als „Kom-
position" festgehalten ist; denn weil im Reich der Töne
als der reinsten Kunst jede Nachahmung der Natur
absurd wäre — die modernste Verirrung hat uns aller-
dings auch diesen Unsinn beschert — vermögen sich
von hier aus die künstlerischen Begriffe am sichersten zu
orientieren. Ein Bild ist nicht anders als in der Musik
eine Komposition, nur daß seine Töne Farbcn sind und
sein Rhythmus sich statt im Takt der Aeit im Nebenein-
ander des Raumes bewegt. Das Nebeneinander auf
einer Bildfläche kann sich in der getreuesten Nachahmung
der Natur vollziehen und dennoch nicht Kunst sein, sofern
es der harmonischen Einheit der Komposition entbehrt.
Die Naturgesetze der Harmonie — also der Kunst —
sind unveränderlich, aber die Mittel sind im fortwäh-
renden Wachstum begriffen, wie alle lebendigen Dinge
der Natur. Vor Bach wurde anders komponiert als
nach ihm; und wie die Maler des siebzehnten Jahr-
hunderts in ihrer Öltechnik ein anderes Malmittel hatten,
so auch ein anderes Mittel der Komposition.
Die Alten komponierten — drastisch gesagt — allein
mit der zweiten Dimension in der Fläche; die Gewänder