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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 2
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Mahlberg, Paul: Die Witwe
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Wörner, Ursula Anna: Maria Magdalena
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0083

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Maria Magdalena.

war sie gestorben. Niemand hatte sie gesehen. Die Ver-
wandten hatten sich nicht um sie gekümmert. Als Mutter
hineinkam, fand sie sie tot. Sie kreuzte meinen Weg
nur noch einmal, als sie im Sarg lag und hinausgetragen
wurde. Sie soll im Tode ganz klein geworden sein.

„So?" fragte ich damals, und „es mag schon richtig
sein", dachte ich. „Der Tod bereitet die Menschen auf
den Sarg vor." Es war dies der erste Sterbefall in
meiner Sphäre, und das Vorkommnis beschastigte mich
intensiv, aber nicht lange, da ich ihm nicht in die Augen
gesehen hatte. Erst spater bemerkte ich, daß so ein
Sarg wirklich zum Jammern klein scheint, wenn er in
den schwarzen Wagen geschoben wird.

aria Magdalena

i.

Mein Bräutigam trat nicht aus irdischer Tür,
trat aus der Himmelspforte selbst herfür;
cr hatte einen blauen Mantel an
mit einer Funkelsternenschließe dran.

Darunter kreuzten sich die blassen Hände.

Er sprach so mild, daß ihn der Vater sende
herab auf unser sündiges Erdenrund.
Trostwörtlein fielen aus dem roten Mund,
der in den Winkeln sich ein wenig zog,
sich blütenweich um kleine Aähne bog.

Die Augen leuchteten lichtbraun wie Gold;
von gleicher Farb die Strähnen lang gerollt,
auf vorgeneigte schmale Schultern wallend —;
oft hätt ich gern, in alte Schwachheit sallend,
darüber hingefingert, lind und leis.

Dann strich er sie zurück, der alles weiß,
wenn er so saß, des Abends angelehnt
am Feigenbaum, der dort geduldig dehnt
zum Dach empor den zäh gekrümmten Arm.
Und ich, zu seinen Füßen, hüllte warm
die beiden schimmernd bleichen, kühlen ein
in meines Haares gelben Flammenschein.

Und auch die Fledermaus, die uns umglitt,
liebt ich in diesem Dämmerfrieden mit.

2.

Wir gingen mit dem Herrn einst über Land; —
das lag von Sonnengluten ausgebrannt,
verzweifelt und erstarrt, entfarbt, entlaubt.

Wir gingen müde, hungrig und bestaubt.

Jm Schatten eines Berges dann zur Rast
warfen wir hin des Leibes kranke Last
auf die zerglühte, harte, rissige Erde.

Doch unser Herr mit segnender Gebärde
berührte mit der schimmernd weißen Hand
leis hinter sich die gelbe Felsenwand;
und es begann zu rieseln und zu tropfen,
mit feinem Silberklang herab zu klopfen;
und nur wie prüfend legt er an die Lippen,
vom Wunderquell ein weniges zu nippen.

Der Jünger Arme drangten sich, zu langen,
den reinen Strahl behutsam einzufangen

in hohler Hand, im Reisebecherlein.

Da sprach der Herr: „So dürstet Jhr allein?"

Und Petrus bückte sich beschämt nach Sand,
fegte den Becher und, halb abgewandt
das Haupt, das mürrische, bot er ihn mir,
der Sünderin. Jch schluckte ohne Gier
und gab ihn weiter an die andern Frauen.

Durft ich die Nähe unsres Herrn erschauen,
war ich der Not des Jrdischen entrückt,
wunschlos ein Geist, den nur der Geist erquickt,
und den erstaunt der Menschen Harm und Hast.

Jch spähte blinzelnd in den Sonnenglast,
denn plötzlich war mir, daß ich säh den Herrn,
der doch hier ruhte neben uns, — auch fern
in einem fahlen Dunstgewölke schweben,
sich über jenem Trümmerfeld erheben,
das blendend lag, bestreut mit Blöcken, Steinen,
in feierlichen Gruppen, groß und kleinen.

Wie kauernd hockten viele; wenige standen,
wenn eins am andern sie noch Stütze fanden;
und Pfeiler schienen in die Knie gesunken,
und Säulen lagen häuptlings, feuertrunken
von all der Hitze, die sie weiß durchglühte,
und von den bleichen Flanken flimmernd sprühte.
Und über ihnen, aus dem Dunst der Wolke
bog unser Herr zum Stein gewordnen Volke
herab daS haarumwallte braune Haupt,
auf dem es schimmernd lag, leis angestaubt.

Und sieh, von seinen Händen fiel ein Regen
glänzenden Taues, daß sich zu bewegen
die gramerstarrten blassen Häupter schienen,
und leis zu rauchen ihre duncpfen Mienen.

Doch starb das gnadenhelle Taugefunkel
bald auf der Oberfläche fleckendunkel.

Da schlug der Herr sich an die Brust — und Blut
floß nieder purpurn in die weiße Glut.

Jedoch die lechzenden, zu ausgebrannt,
empfingens nicht; so ballte sichs im Sand
zu schwarzen Klümpchen, staubvermischt und schwer.
Und jetzt sah ich: gestaltlos, schlaff und leer
die Wolke wieder hängen über Steinen,
so trostverlassnen, — und begann zu weinen,
und wandte mich, wo tot auch hingegossen,
die blassen Lider zartgewölbt verschlossen,
der Herr lind atmete im Schläferkreise.

Da wars, als regten sich die Lippen leise,

als glitten dunkle Worte draus hervor

und schwirrten mit den Mücklein an mein Ohr:

„Ob auch verstockt und taub die Welt erscheine,
die Menschen starr, und starrer noch als Steine;
ob ich mit meinem Blute selbst nicht kühlen
die Durstigen kann und sie mich niemals fühlen —:
ich dennoch muß — muß alle Zeit verleben
und durch die Wüste der Jahrtausend schweben,
ich dennoch muß — ich kann vom Heilandwesen
selbst in der ewigen Ruhe nicht genesen.

Jch muß aus ewigen Sphären Niederschau
noch halten einst und meinen Liebestau
verströmen in das bleiche Todesfeld
durch die Jahrtausende der Christenwelt."

U. Carolina Woerner.
 
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