Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

DOI Heft:
Heft 3
DOI Artikel:
Mahlberg, Paul: Holbein
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0122

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
olbein.

Im 15. und beginncnden 16. Iahrhundert strebt die Kunst
in Dcutschland wis in Jtalien energisch nach Klarheit dcs AusdruckS
und dcr Form. In ihrem Streben grundsählich gleich (Florenz ist
ausschlaggebcnd), habcn die Jtaliener den Deutschen die klarere
Dildtcktonik voraus. Nebenher gehen in Venedig malerische
Probleme. Die nimmt Dürer mit auf, streift sie abcr bei der Ver-
arbcitung seiner italienischen Eindrücke wiedcr ab und behält bloß
die große Form. Crfüllt sie aber mit dem innerlichen Gehalt des
Deutschen. Daß sie ihm nach einiger Arbeit paßte, beweist, daß er
sie auch aus sich selbst heraus gefunden hätte. Es war der gerade
Weg der Cntwickelung von Schongauer her, dcr noch Dürer zu
Holbein führte. Das muß man sich vorhalten, um zu erkennen,
daß der sonst vcrdienstvolle Herausgeber des Holbcin-Bandes
dcr Sammlung Klassikcr der Kunst, Pmil Ganz, nicht recht hat,
wenn er Holbein den fremdesten auf deutschem Boden nennt.
Er steht am höchstcn, aber nicht fcrn. Allerdings auf den Schul-
tern Dürers.

Er ist 26 Jahre jünger als dieser, im Iahre 1497 zu Augsburg
geboren. Aber er bekommt früher freie Hand, ihm ist vorgearbeitet
worden. Wahrscheinlich schon im Jahre 1513 verläßt er mit seinem
Bruder Ambrosius die Stadt Augsburg, wo der Vater nur schwer
scin Auskommen hat, und gcht über Konstanz nach Basel. Dort
malt er und bekommt bald Aufträge. Für das Iahr 1518 müssen
ivir eine Reise nach Italien ansehen, wo er italienische Kunst und
an Städten wahrscheinlich Como und Brescia sieht. Architekturen
aus dicser Gegend kommen in dem Passionstriptychon vor, das
cr, nach Basel zurückgekehrt, im Iahre 1520 malt. Cs sind fremds
Einflüsse zu verspüren, Grünewald gewittcrt darin und man riecht
Dürer. Aber alles kündigt hier schon seins Note an und muß
sich ihr fügen. Man ahnt schon den Stil der großen Stille. Die
schreiende Gabel der Arme des Grünewaldischen Kruzifixus ist zu
eincr ruhigen Horizontalen und der turbulente Strich Dürers
still geworden. Was Dürer nie wurde, hier der Junge von 23 Iahren
ist cs schon: der große Crzähler. Jn seinen Geschichten tritt von der
ersten an das Hauptmotiv klar und unbelästigt hervor. Man ver-
gleiche die Ölbergszene einer Dürerschen Passion (Schongauer fällt
überhaupt schon so weit zurück, daß wir ihn nicht mehr sehen können)
mit dieser Holbeinschen Darstellung. Außer in der Kleinen Passion
tritt der Christus vor den Gesichtern der Apostel zurück. Wir müssen
erst an diesen vorbei, um dann die Hauptperson zu suchen. Bei
Holbein gehen die Iünger unter, sie sind wie Crdschollen, von denen
Christus sich erhebt. Ähnlich liegt die Schwierigkeit bei der Geiße-
lung: ein ruhig leidender Mann muß vor der lauten Bewegung der
Knechte zu seinem Recht konimen, im Bilde über sie triumphieren.
Dürer kam nie über diese Schwierigkeit hinweg. Holbein löst sie.
Es ist jene Kraft der intellcktuellen Individualisierung, die Holbein
spätcr in dem Wandbilde des Basler Ratssaales beweist, wo er den
mit großem Troß heimkehrenden Sieger Saul dem einsamen
Propheten Daniel gegenüberstellt. Das geistige Übergewicht, auf
ein Sechstel Bild beschränkt, wiegt den ganzen Schwarm auf,
der den Plah erfüllt. Raffael versagt bei einem analogen Vorhaben
(Heliodor—Stanzen, Leo I. und Attila). In der später gezeichneten
Passion Holbcins tritt die selische Erfüllung eines Vorgangs noch
mchr heraus. Pilatus war bis dahin cin Mann im Bilds, der sich
die Hände wusch, während ein andcrer abgeführt wurde. Darüber
kam die Szene nicht hinaus. Holbein erfüllt sie mit Lcben und Bc:
deutung. Pilatus wäscht sich die Schuld von den Händen. Dabci
reißt es ihm den Kopf herum nach jenem Mann, den man wegführt.
Der Kontakt ist da, Ströme gehen hinüber. Es wird uns, wie dem
ungerechten Richter, unheimlich, der Himmel verfinstert sich. Der
Stein ist ins Rollen gekommen. Es ist nicht abzusehen, wo es enden
wird.

Holbeins Entwickelung in den Iahren des (zweiten) Baseler
Aufenthaltes (1519—1526) ist rapid. An Aufträgen, woran er
scinc Kraft erproben kann, ist kein Mangel. Unter anderm ist er
kunstgewerblich für den Verleger Frobsn tätig, bei dcm Erasmus
von Rotterdam wohnt. Im Hausc seines Auftraggebers wird der
Künstler den großen Gelehrtcn kennen gelernt haben und kann ihn
i»i Winter des Iahres 1523 malcn. Es sind aus jener §eit drei
Redaktionen dieses Themas bekannt. Cs war dem ordentlichen
Manne, wie Holbein war, sicher eine Freude, den stillen Gelehrten
in der Stube an seinem schmalen Schreibpültchen zu malen, da-
sihend, die linke Hand ordentlich ncbcn die schreibende gelegt.
Hier klingt schon die große Stille. Dis Porträts sind ganz un-

malerisch, kühl. Holbein ist der objektivste Mann (seltsam, wenn
man bedenkt, daß zu sciner Zeit in Orley schon Ansähe eincr
malerischen Cpoche da sind), sein Strich lebt nur am Leben des Dar-
gestellten, bei Dürer lebt er Dürers Leben. Dessen Crasmus ist
unruhig, Bücher sind fahrig aufgelegt, das Gewand stößt sich
knitternd, laut, eine große weiße Tafel bringt laute Unruhe hinein.
Die Schreibhand ist malerisch verkürzt, und es ist der Versuch ge-
macht, das Wescn des Gelehrten im Ausdruck seiner Augen zu-
sammenzufassen. Bei Holbein ist alles koordiniert: Mund, Nase
und Augen. Die gewöhnliche Entwickelung der Kunst läuft so,
daß man damit beginnt, das Auge zu zeichnen, um dahin zu ge-
langen, den Blick zu malen. Bei Holbein ist es umgekehrt. Im
Bildnis des Bonifazius Amerbach, dem beliebtcsten, weil sentimen-
talen Porträt, malt er den Blick, um später nur noch das Auge zu
zeigen und uns alles weitere zu überlassen. Diese Cntwickelung
vollzog sich bci ihm von 1519 bis 1523. Man braucht bei Holbcin
nie hoch hinaufzusteigen, um zur nächsten Stufe zu kommen. Im
Iahre 1522 malt er die Solothurner Madonna, eins saora oon-
versariono. Maria mit dem Kinde, sihend, links ein heiliger Bischof,
rechts ein heiliger Kriegsmann, St. Ursus. Maria siht unter cincm
Tonnengcwölbe mit kärglichen Versteifungen, das Ganze noch ziem-
lich ungelöst, ärmlich, gedrückt. Drei Iahre später kommt die
Madonna des Bürgermeisters Meyer, bei allem Reichtum des Auf-
baus anspruchslos. Die Madonna mit dem Kinde, zu ihren HLup-
ten eine Muschel. Vor ihr knieend: links der Bürgermeister und
seine Knaben; rechts, der Mutter Gottes am nächsten, die erste,
verstorbene Frau des Mannes, schemenhaft; davor die lebende
mit eincr Tochter. Der Mann ist der einzige, der zu der Heiligsten
emporblickt. Es ist jene geniale Okonomie der Form und der
Psyche, die weiß, daß sie diesen Blick voller Inbrunst und Andacht
nicht ein zweites Mal zu vergeben hat. Das Bild erinnert an die
Siptinische Madonna (wo ja auch nur der Papst hinaufblickt), und
Dresden glaubte zu dieser auch die nordische Sixtina zu besihen.
Im Streite darum erlag, wie im Fall des Giovannino des Michel-
agniolo des Berliner Museums, die geschlossene Sphalanx dcr
Künstler gegen die Argumente der Kunsthistoriker. Darmstadt
besiht das Original. Leider ist der Rahmen nicht dabei. Wenn ich
nicht irre, hat Schmid eine zeichnerische Rekonstruktion versucht,
die sich auf den beiden Konsolen aufzubauen hätte. — In jene Icit
des Basler Aufenthaltes fällt (ums Iahr 1524) eine Reise Holbeins
nach Frankreich, die sehr wichtig für ihn wurde, da er dabei zugleich
mit der Malweise und Farbkreidetechnik der Clouets auch mit den
Lyonern Verlegern bekannt wurde, bei denen im Iahre 1538 der
Totentanz erschien, der aber zur Zeit der Reise schon seiner Voll-
endung nahe gewesen sein muß. Ganz behandelt ihn nur ober-
flächlich. Aus der §eit nach Holbeins Rückkehr aus Frankreich müßte
das angebliche Selbstporträt in farbiger Kreide stammen, das dem
hier glossierten Buche als Titelbild vorangestellt ist. Ich zwcifle
aber die Authentizität dieses Bildes als Selbstporträt an. Der hier
dargestellte Dreißigjährige ist nicht der Mann, der zu dem Knabcn
auf der Aeichnung Holbeins d. A., des Vaters, gehört und dann
der Ausgereifte des späteren Selbstbildnisses von 1543 ist. Die
Augen müßten kühler, klarer, schneidender blicken, der ganze Mann
von mehr kühl-verbindlichem, weltmännischem Wesen sein. Cr
ist ein Mensch, der es sich zum Ziel geseht hat, auch ein reicher
Mann zu werden, Grandseigneur war er von Geblüt. In Basel
aber wurden die Aufträge knapp, seine Gönner mußten sich vor der
Reformation zurückziehen, und so verließ er zum zweiten Male
seine Fanülie, diesmal Frau und Kinder, und ging nach Sngland,
um dort kortuns zu machen. Empfehlungen des Crasmus wiesen
ihm den Weg zu Thomas Morus, und dcr weist ihn weiter über
die Welt des englischen Hofes an die Welt überhaupt. Holbein ist
auf dem Wege, der objektivc Schilderer der Nationen zu wcrdcn,
der gleich vortrefflich einen Franzosen als solchen charakterisiert,
ohne selbst mit einem Worte dazu Stellung zu nehmen, wie er die
englische Rasse (sie muß damals sehr differenziert gewesen sein)
solcher Art zeichnet, wie man glaubt, daß nur ein Dollblut-Cng-
länder cs könnte, und schließlich seinc cigencn Landsleute, die Kauf-
herren vom Londoncr Stahlhof schildert.

Noch sind die Porträtaufträge dünn gesät. Inimerhin sind
es so viele, daß Holbein nicht auf den Vorschlag eingeht, den dcr Rat
von Basel ihm macht, als er zum dritten Male diese Stadt auf-
sucht (1528—1532). Man bictet ihm 50 Gulden Jahresgehalt,
wofür er nichts anderes tun soll, denn als künstlerischer Beratcr
fungieren. Aber er verläßt diese gastliche Stätte bald wieder und
geht zum zweiten Male nach London, um da die letzte Staffel
 
Annotationen