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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 11
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Oswald, Josef: Uhland, der Dichter
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0417

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hland, der Dichter.

„Denn Künstlergrößen lösen sich nicht ab
wie Schildwacht Schildwacht an des Kaisers Grab.
Jn immer längern Pausen kehren sie;
denn immer schwerer wird die Harmonie."

Friedrich Hebbcl.

Jrgend etwas von Uhlands Poesie haftet vielleicht
fedem Deutschen im Gedachtnisse. Seiner Volkstüm-
lichkeit entspricht sein einfaches, charaktervolles Wesen,
sein schlichter, weit von allem Romanhasten sührender
Lebensgang. Ein Genuß ist es, die Eigenart seines
Geistes zu betrachten. Als Dichter gehört er zu jenen
vorwiegend lyrischen und lyrisch-epischen Naturen, die
oft Brachen überliefert bleiben, um in den Tagen des
'Hervorbringens eine Anspannung, einen Fle ß zu offen-
baren, seltsam gegensätzlich berührend zu der Kleinheit
ihrer Gebilde. Wo diese intermittierende Krast allein
herrscht, ihre schöpferischen Rauschmomente das ganze
Glücksteil des Menschen ausmachen — da mag bei hoher
Begabüng sein Leben einem Sternenhimmel gleichen,
doch einem, an dem viel Gewölk verdunkelnd hinstreicht.
Solches Lyrikerlos lag Uhland fern. Nicht umsonst
hat er auf der Höhe seiner Jahre das schöne Gedicht
„Wein und Brot" geschrieben. Auch in seinem Dasein
war der Segen der Gediegenheit gebreitet. Kann es
wundernehmen, daß ihm zuweilen Genialität abge-
sprochen wurde?

Clemcns Brentano hat cinmal launig die Schwierig-
keit geschildert, einer Frau aus dem Volke seinen Schrist-
stellerberuf deutlich zu machen. Daß man mit geistigen
Gütern Handel treibe, sagt er, sei namentlich für den
Dichter ein beschämendes Gestandnis, dem leicht der
Einwand begegnen könnte: Es habe ja jeder, so gut
wie Hirn, Herz, Leber und dergleichen, auch eine Poesie
im Leibe, die zu überfüttern genau so mißlich sei wie
sonst ein Organ. Sicherlich war das Ludwig Uhland
aus der Seele gesprochen. Weit entfernt, die Dichtkunst
berufsmäßig auszuüben, schränkte er sie je langer je mehr
nuf die Nußerungen ein, womit eine starke Naturgabe
ungerufen sich geltend macht. Aeitig gesellte sich der
dichterischen Tätigkeit eine wissenschaftliche und poli-
tische von ebenso idealem Schlag. Die drei Kräfte
traten in ein Verhältnis von wechselweiser Anpassung
und gegenseitiger Spiegelung, in eine Art prästabilierte
Harmonie. Dennoch gebührt dem Dichter die erste
Stelle, wenn es sich um eine allgemeine Würdigung
seiner geistigen Persönlichkeit handelt, während der
Gelehrte und Volksvertreter nur in dem Maße in Be-
tracht kommen, als sie den Dichter bestimmt haben
oder von ihm bestimmt worden sind.

Die vollständige Ausgabe seiner Gedichte von Erich
Schmidt und Julius Hartmann enthält ein chronologisches
Verzeichnis, das für jedes Jahr seines Lebens den nach-
weisbaren Ertrag, teilweise mit genauer Angabe des
Datums, aufführt. Man ersieht daraus, daß der Acht-
undzwanzigjährige, als er 1815 zum erstenmal seins
Sammlung verössentlichte, bereits zwei Drittel von
dem gab, was er auf seinem Hauptgebiete zu geben
hatte. Der Rest der Gedichte verteilt sich auf die lange
Zeit bis zu seinem Tode (1862). Weitcr zeigt sich,
wie früh seine Hervorbringung den Grad der Rcise

erlangte, der für die Aufnahme in sein Buch entscheidend
wurde. Jn dieser Beziehung ist das Jahr 1805 zu
nennen, da er mit dem Studium der Rechte begann,
nachdem er seit seinem vierzehnten Jahre der Hoch-
schule angehört hatte. Jn Ermangelung eines Gym-
nasiums oder einer ähnlichen Anstalt ließen die Tübinger
ihre Söhne, die einmal studieren und doch inzwischen
in elterlicher Hut bleiben solltcn, schon im Knabenalter
unter die akademischen Bürger ausnehmen, dainit sie
auf der Universität sich sür die Universität vorbereiteten.
Leute wie Uhland sanden dadurch jedenfalls rascher
ihr individuelles Fahrwasser. Fügt man hinzu, daß
mit dem Fachstudium wohl erst das eigentliche Studenten-
leben für ihn anfing, ebenso die sruchtbare Freundschast
mit Justinus Kerner, dem bedeutendsten Dichtergenossen
seines Jugendkreises, so hat man die Voraussetzungen
für den poetischen Aufschwung in dem genannten Jahr,
dessen Ernte rund zur Hälfte die Qualität für seine
„Gedichte" besaß, indes die Quantität nur noch einmal
übertroffen wurde.

Das war in dem berühmten Kometenjahr. Jm
Januar kehrte der junge Doktor von Paris heim, wo
die Erfahrung vieler Monate ihm bestätigt hatte, was
er vorausempsindend einem Freunde geschrieben: „Dem
Dichter mag freilich das Umtreiben in der Fremde in
seinen jungen Jahren das Vorteilhafteste sein." Bei
seiner Rückkunft nach Tübingen ergriff ihn das Gesühl
einer entsetzlichen Einsamkeit, wie wenn er „in die
Eiswüstcn von Sibirien hineinlicfe". Doch seine Poesie
erstarrte nicht. Anregende Erinnerung wird bald mit
der empfindsamen Stimmung verschmolzen sein, ein
Klima bereitend, das seinem Schaffen eine gedrängte
Fülle gab, woran auch das folgende Jahr teilhatte.
1813 dagegen sank es auf ein Minimum herab. Wie
sollte es auch nicht? Als provisorischer Sekretar im
Justizministerium war der Poet wie entwurzelt: Für
die angestammten Träume bot das Amt keinen Raum,
die zeitgeschichtlichen Einblicke aber, die er gewann,
sorderten ein weiter entwickeltes Stadium, um zum
dichterischen Refler zu werden. Aller Fleiß verhalf
ihm nicht zu einer festen Anstellung, er wurde Advokat
in der Hauptstadt, ohne Neigung, auch pekuniär ohne
rechten Erfolg. Da klopfte statt der Klienten wieder
öfters die Muse bei ihm an, doch es war nicht ganz
dieselbe mehr wie in der Studentenzeit.

Bis an die Schwelle der Mannesjahre kennzeichnet
seine Dichtung eine Romantik, die lyrisch in weichen,
schwermütigen Stimmungen schwelgt, episch mit einem
erträumten Altertum sich umgibt. Bemerkenswert ist
der volle Ton seiner frühen Formreife, und wenn auch
der jugendliche Meister nicht selten ins Spielerische
gerät, so zeigt doch die Gesamtheit seiner Darbietungen
schon cine stattliche Aahl unsterblicher Gesänge. Selbst-
verstandlich wächst diesS auf der folgenden Stufe.
Formal — im Sinne musikalischen Wohllauts — blieb
nichts hinzuzulernen, wohl aber wurde die Darstellung
kunstvoller, die Stoffwelt reicher, Aeichnung und Fär-
bung bestimntter. Nicht mehr Melancholie thront im
Mittelpunkte, sondern eine gesundere Empfindung. Vor
allem crscheint die romantische Phantasie einem kräftig
der Gegenwart lebenden Geiste vermähll: dem geliebten
Vaterlande in seinen äußeren und inneren Nöten ist

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