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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 9
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Grolman, Adolf von: Moderne Buchkunst, 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0329

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Moderne Buchkunst.*

i.

aß der großc englische Kunstgewerbler Morris
auch als der Vater der modernen Buchkunst zu
gelten hat, ist ziemlich allgemein bekannt;
nur wenige dagegen wissen, daß die deutsche Bewegung
auf diesem Gebiet, wennschon sie auf englische An-
regung zurückgeht, so ganz verschieden von der dortigen
verlief. Wahrend nämlich in England Morris, indem
er sich aufs engste an die Meisterwerke Gutenbergs
und seiner Schüler anschloß, sofort mit heute noch nicht
übertroffenen Höchstleistungen hervortrat, gingen die
deutschen Künstler unter dem Einfluß des sogenannten
Jugendstiles, der gerade umgekehrt das Heil von dem
Abbruch aller Verbindungen nüt der alten Kunst
erwartete, fast ein Jahrzehnt in die Jrre. So er-
lebten wir zunächst jene unglückliche Buchschmuck-
periode, in der polypenartige Ornamente oder über-
große naturalistische Pflanzenmotive die vom Tert
freigelassenen Stellen des Buches in unorganischster
Weise bedeckten, während dieser selbst nach wie vor
mit schlechten Lettern schlecht gesetzt wurde. Schließlich
kam es gar dahin, daß auch die Buchstaben allerlei
Auswüchse und Dornen tricben, sich krümmten und bogen,
wodurch die Lektüre selbst eines Plakates oder einer
Geschäftsanzeige sich nicht selten zu einer schwierigen
Kunst gestaltete.

Morris selbst hat allerdings durch allzupeinliche Nach-
bildung, namentlich des ornamentalen Schmuckes alter
Drucke, zuweilen auch dlirch übergroßes Format, seinen
Werken einen zu archaistischen Charakter verliehen.
Aber sein Mitarbeiter Cobden Sanderson, der heute
noch in voller Rüstigkeit tätige Leiter der Doves-
Presse, hat der Welt das erste in ganz modernem Geist
geschaffene Buch von künstlerischem Wert geschenkt
(siehe Abb. 3). Dem Genie dieser beiden Männer ver-
danken die Engländer ihre heute noch bestehende Über-
legenheit in dem eigentlichen Werksatz, die auch auf der
Wiesbadener Ausstellung hervortrat. Die Geschlossen-
heit des Satzbildes und die klassische Monumentalität
der Drucke aus der Morrisschule, die ruhige Selbst-
verständlichkeit, wie sie sämtlichen Drucken der Doves-
Presse eignet, erreichten die Deutschen dort nicht.
Dafür zeichnete sich die deutsche Abteilung durch den
wahrhaft erstaunlichen Reichtum ihrer Motive aus,
und die rapiden Fortschritte der allerletzten Jahre
lassen noch Großes von der Aukunft erwarten. —

Die Ursachen des Verfalls unserer Druckschrift
im neunzehnten Jahrhundert hat bereits Heinrich
Wallau vor mehr wie 20 Jahren aufgedeckt und zugleich
den Weg der Genesung gezeigt: Aus der Schreibschrift
hervorgegangen, mit der breiten Kielfeder gezeichnet,
hatte sie ihren Charakter von dem Auge der Feder er-
halten. Statt dessen war in dem Aeitalter der Technik
eine maschinenmäßige Eraktheit und Schematisierung
der Schnitte entstanden, die zu einer völligen Ent-

* Die Abbildungen dieses Aufsatzes sind der „Ausstellung
für moderne Buchkunst und Akzidenzdruck" entnommen, die im
verflossenen Winter von der „Wiesbadener Gesellschaft für bil-
dende Kunst" im dortigen Rathaussaale veranstaltet wurde.

seelung der Druckschrift geführt hatte. Die letzten guten
Schriften stammen aus dem achzehnten Jahrhundert,
so die prachtvolle Breitkopf-Fraktur und die etwas
jüngere zierliche Ungerfraktur. Sie haben heute
wieder, wie noch manche andere aus alter Aeit, eine Auf-
erstehung und neue Blüte erlebt.

Mit dem Jahre 1900 beginnt ein neuer Abschnitt
in der Entwicklung der modernen Buchkunst, die sich
von der äußerlichen Ausschmückung der Terte zur
Reorganisation des Typenmaterials selber wandte;
es erscheint im Verlag der Gebrüder Klingspor, Offen-
bach, die Eckmannschrift, eine erste große Tat, die
freilich noch an den Fehlern ihrer Ieit krankt. Obwohl
anscheinend von Morris angeregt, verfällt Eckmann in
jugendstilistische Willkür und Unruhe, während die auch
heute noch an Schönheit nicht übertroffene Schrift des
Engländers auf genauester Kenntnis der alten Jn-
kunabeln aufgebaut ist und doch eine völlige Neuschöpfung
darstellt. Schon im gleichen Jahre kam dieselbe Firma
mit der ersten Behrensschrift heraus, die einen
wesentlichen Fortschritt bedeutet, aber noch immer zu
souverän dem historisch Gewordenen gegenüber auf-
tritt. Merkwürdigerweise ist hier an Stelle der Unruhe
eine eigentümliche glatte Kälte getreten. Weder die
Eckmann noch die Behrens lassen sich der üblichen
Klassifikation in Antiqua- und gebrochene Schriften
einreihen.

Die ältesten Druckschriften, wie sie Gutenberg und
seine Schüler gleichmäßig für deutschen und latcini-
schen Tert verwendeten, waren bekanntlich fast un-
mittelbar den handschriftlichen Terten entnommen.
Dieje gewöhnlich als gotisch bezeichneten Schriftzeichen,
deren Eigentümlichkeit in der gebrochenen Linien-
führung beruht, waren übrigens schon in romanischer
Ieit aus den römischen Mutterschriften entstanden
und im ganzen Abendland gebräuchlich. Jm Gegensatz
hierzu stellen die schon von Schöffer gebrachte „Schwa-
bacher" und die von niemand Geringerem als unserem
Dürer entworfene „Fraktur" durchaus künstlerische
Neuschöpfungen von höchstem Werte dar, auf die >vir
Deutsche allen Grund haben stolz zu sein und die wir
uns auch aus praktischen Gründen nicht rauben lassen
sollten; denn ihre Eigentümlichkeiten, wie z. B. die
langen s und f, die Ligaturen ß und ch, die der gotischen
Schrift noch völlig unbekannt waren, sind ganz der
deutschen Sprache angepaßt und tragen wesentlich
dazu bei, die langen zusammengesetzten Worte des
Deutschen leichter lesbar zu machen, da sie die Wort-
bilder in charakteristische Abschnitte zerlegen.

Was wir heute Antiquaschrift nennen, verdankt
seine Entstehung der Karolingerzeit. Diese Schrift-
mode wurde unter dem Einfluß der Renaissancebewegung
im Jtalien des 15. Jahrhunderts an Stelle der bis dahin
auch dort üblichen gotischen zur Normalschrift erhoben,
weil man glaubte, in ihr alt-römische Schrift vor sich
zu haben. Sie erscheint im Druck zuerst etwa 1470.
Auch diese, später „Mediäval" genannten Typen
wiesen starken handschriftlichen Charakter auf, es war
daher ein glücklicher Gedanke, daß man bei der Erneue-
 
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