Franz Löhr.
Mutter mit Kind (Stein).
Bildwerke von
Aweifel ist Franz Löhr ein Plastiker von
H ^ seltener und nrsprünglicher Begabnng. Seine
Skizzen sind lebendig und von originaler Erfin-
dung; man spürt sein Talent an dem glücklichen Auf-
greifen eines formalen Themas, und die erste Anlage
des Werks ist immer schon ein Wurf, wie er nur dann
einem Künstler gelingt, wenn der Jnstinkt sicher, das
Gestaltungsvermögen angeboren und rein von aller
allzu menschlichen Jngredienz ist. Weiß man auch, wie
sclten diese ganzen Talente besonders unter den Bild-
hauern sind? —
Der Künstler liebt es, seinen Werken sentimentale
Titel zu geben, wie „Jugend", „Traumerei", „Einge-
schlafen" oder „Der Weltverachter". Das klingt nicht ganz
gcschmackvoll, wie ncan mir einräumen wird, und erinnert
an den fatalen Bildhacierkitsch, der sich überall breitmacht.
Die guten Plastiker sollten solche nachtragliche Taufe lieber
vermeiden,denn ihre Werke bedürfen keiner dilettantischen
„Erklärung". Dazn sieht man es den Arbeiten Löhrs an,
daß sie nicht im landläufigen Sinne eine „Jdee verkörpern"
wollen, sondern sie verdanken, wie alle gute Kunst, einem
unlöslichen Miteinander von formalen cind inhaltlichen
Einfällen und letztcn Endes eincm unbestimmten pro-
dnktiven Trieb ihre Entstehung. Eine spezifische reine
Begabung laßt den Künstler, als einzige Möglichkeit,
sich auszudrücken, immer nur nichts anderes finden
als die plastische Form; Gedanke oder Empfindung
und Form sind für ihn eins und alles. Der Gestaltungs-
trieb ist das Primäre, Jnhalte des Erlebens treten
hinzu und verlcihen dem schweifenden Trieb Richtung
und Bestimmtheit. Jm Kunstwerk sollen die einzel-
nen Tätigkeiten der Seele gar nicht mehr zu unter-
scheiden sein und sind es auch nicht bei den reincn Ta-
lenten. So kommt es, daß die Titel stets zu begrenzt
erscheinen gegenüber jenen Erlebniswerten des Bild-
werkes, die das Auge vermittelt. Die Empfindung, die
das Werk veranlaßte, war viel umfassender und stärker,
als die literarische Formel es auszudrücken verniag, und
Franz Löhr.
bei Löhr stört die (natürlich erst nachträglich gesuchte)
Bezeichnung um so mehr, als er gewissen verbrauchten
und diskreditierten Worten nicht geschmackvoll genug
aus dem Wege geht.
Daß aber neben dem künstlerisch Formalen das all-
gemein Menschliche überhaupt entsprechend figuriert als
Wirkungsmoment des plastischen Werks, das hat Löhr
mit aller guten Kunst gemeinsam, die mit dem Leben sich
irgendwie persönlich auseinandersetzen will. Und man
brauchte keinen besonderen Nachdruck auf die Feststellung
zu legen, spürte man nicht Neigungen bei gewissen jungen
Bildhauern, sich solchen inhaltlichen Problemen zu ent-
ziehen und sich ganz dem Spiel der reinen Formen hin-
zugeben. So sympathisch für jeden Kenner und so rein
künstlerisch auch alle diese Bemühungen sein können, so
schmecken sie doch immer ein wenig nach Atelierweisheit.
Wo das persönliche Erlebnis so sehr destilliert wird, daß
schließlich gar nichts mehr davon im Werk zu spüren ist,
oder wo es gar unabhängig von der künstlerischen
Produktion seinen Weg allein geht und Mensch und
Künstler sich nie im Werk finden, da droht dem Schaf-
fenden die Gefahr der Unfruchtbarkeit. Denn ebenso-
wenig kann er des Lebens und Erlebens entbehren wie
der Natur.
Es ist nun Löhrs Eigenart, jek n Gedanken oder jede
Empfindung so lange durchzuarbeiten, bis die letzte For-
mel gefunden ist, bis dahin eben, wo das Persönliche zum
Typus wird. Natürlich heißt das nichts anderes, als daß
er die empfindungdeutende Form zu einer statuarischen
Reife und Geschlossenheit zu führen sucht. Selbst seine
Skizzen haben in der Erfindung nichts Unfertiges mehr,
und wir begreifen, daß die Hauptleistung des Künstlers
sich bereits im Gehirn vollzogen hat, noch ehe er die
Hände dem Ton näherte. Denn in der Skizze schon steckt
die ganze seelische Reife des fertigen Werkes. Die Be-
wegung ausdruckssicher, alle Konturen schön zusammen-
geführt, die Formen sprechen; noch hat die reizende
Frische des Entwurfs dem feilenden Kunstverstand nicht
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Mutter mit Kind (Stein).
Bildwerke von
Aweifel ist Franz Löhr ein Plastiker von
H ^ seltener und nrsprünglicher Begabnng. Seine
Skizzen sind lebendig und von originaler Erfin-
dung; man spürt sein Talent an dem glücklichen Auf-
greifen eines formalen Themas, und die erste Anlage
des Werks ist immer schon ein Wurf, wie er nur dann
einem Künstler gelingt, wenn der Jnstinkt sicher, das
Gestaltungsvermögen angeboren und rein von aller
allzu menschlichen Jngredienz ist. Weiß man auch, wie
sclten diese ganzen Talente besonders unter den Bild-
hauern sind? —
Der Künstler liebt es, seinen Werken sentimentale
Titel zu geben, wie „Jugend", „Traumerei", „Einge-
schlafen" oder „Der Weltverachter". Das klingt nicht ganz
gcschmackvoll, wie ncan mir einräumen wird, und erinnert
an den fatalen Bildhacierkitsch, der sich überall breitmacht.
Die guten Plastiker sollten solche nachtragliche Taufe lieber
vermeiden,denn ihre Werke bedürfen keiner dilettantischen
„Erklärung". Dazn sieht man es den Arbeiten Löhrs an,
daß sie nicht im landläufigen Sinne eine „Jdee verkörpern"
wollen, sondern sie verdanken, wie alle gute Kunst, einem
unlöslichen Miteinander von formalen cind inhaltlichen
Einfällen und letztcn Endes eincm unbestimmten pro-
dnktiven Trieb ihre Entstehung. Eine spezifische reine
Begabung laßt den Künstler, als einzige Möglichkeit,
sich auszudrücken, immer nur nichts anderes finden
als die plastische Form; Gedanke oder Empfindung
und Form sind für ihn eins und alles. Der Gestaltungs-
trieb ist das Primäre, Jnhalte des Erlebens treten
hinzu und verlcihen dem schweifenden Trieb Richtung
und Bestimmtheit. Jm Kunstwerk sollen die einzel-
nen Tätigkeiten der Seele gar nicht mehr zu unter-
scheiden sein und sind es auch nicht bei den reincn Ta-
lenten. So kommt es, daß die Titel stets zu begrenzt
erscheinen gegenüber jenen Erlebniswerten des Bild-
werkes, die das Auge vermittelt. Die Empfindung, die
das Werk veranlaßte, war viel umfassender und stärker,
als die literarische Formel es auszudrücken verniag, und
Franz Löhr.
bei Löhr stört die (natürlich erst nachträglich gesuchte)
Bezeichnung um so mehr, als er gewissen verbrauchten
und diskreditierten Worten nicht geschmackvoll genug
aus dem Wege geht.
Daß aber neben dem künstlerisch Formalen das all-
gemein Menschliche überhaupt entsprechend figuriert als
Wirkungsmoment des plastischen Werks, das hat Löhr
mit aller guten Kunst gemeinsam, die mit dem Leben sich
irgendwie persönlich auseinandersetzen will. Und man
brauchte keinen besonderen Nachdruck auf die Feststellung
zu legen, spürte man nicht Neigungen bei gewissen jungen
Bildhauern, sich solchen inhaltlichen Problemen zu ent-
ziehen und sich ganz dem Spiel der reinen Formen hin-
zugeben. So sympathisch für jeden Kenner und so rein
künstlerisch auch alle diese Bemühungen sein können, so
schmecken sie doch immer ein wenig nach Atelierweisheit.
Wo das persönliche Erlebnis so sehr destilliert wird, daß
schließlich gar nichts mehr davon im Werk zu spüren ist,
oder wo es gar unabhängig von der künstlerischen
Produktion seinen Weg allein geht und Mensch und
Künstler sich nie im Werk finden, da droht dem Schaf-
fenden die Gefahr der Unfruchtbarkeit. Denn ebenso-
wenig kann er des Lebens und Erlebens entbehren wie
der Natur.
Es ist nun Löhrs Eigenart, jek n Gedanken oder jede
Empfindung so lange durchzuarbeiten, bis die letzte For-
mel gefunden ist, bis dahin eben, wo das Persönliche zum
Typus wird. Natürlich heißt das nichts anderes, als daß
er die empfindungdeutende Form zu einer statuarischen
Reife und Geschlossenheit zu führen sucht. Selbst seine
Skizzen haben in der Erfindung nichts Unfertiges mehr,
und wir begreifen, daß die Hauptleistung des Künstlers
sich bereits im Gehirn vollzogen hat, noch ehe er die
Hände dem Ton näherte. Denn in der Skizze schon steckt
die ganze seelische Reife des fertigen Werkes. Die Be-
wegung ausdruckssicher, alle Konturen schön zusammen-
geführt, die Formen sprechen; noch hat die reizende
Frische des Entwurfs dem feilenden Kunstverstand nicht
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