§)(?örterbuch der Philosophie.
„Neue Beitrage zu einer Kritik der Sprache" nennt Fritz
Mauthner sein monumentales Werk, das soeben mit der 21. Liefe-
rung (Verlag G. Müller) vollständig geworden ist. Mauthner hat
— wie hier wiederholt angezeigt wurde —in seiner „Kritik der
Sprache" den umstürzlerischen Gedanken gehabt, daß die Sprache,
auch die wissenschaftliche Sprache, ein untaugliches Werkzeug der
Erkenntnis sei, indem allzu leicht dann, wenn wir glauben, der
Logik nahe zu sein, nur die Grammatik mit Worten in Ordnung
gekommen wäre, deren Jnhalt in den meisten Fällen ein unbe-
stimmter sei. Cs war eine Konsequenz der Sprachkritik, daß sich
Mauthner an eine durchgreifende Revision der philosophischen
Terminologie gab: als Crgebnis liegt nun sein Wörterbuch der
Philosophie vor, das von jedem in der Philosophie gebräuchlichen
Wort die Entstehung seines gegenwärtigen Gebrauches festzustellen
versucht, also aus Wortgeschichten ein Lexikon der Philosophie macht.
Weniger freilich, um ein Nachschlagewerk zu geben, als in seinem
sprachkritischen Sinn einmal grundsätzlich mit den „Wortfetischen"
d. h. mit dcn zu Schlagworten gewordencn Begriffen aufzuräumen.
Dabei ist nun für dcn Laien etwas sehr Amüsantes herausgekom-
men, indem er wahrnehmen muß, wie sich — wortgeschichtlich be-
trachtet — allzumanche Weltanschauungsfrage zum guten Teil
in einen Streit um Worte auslöst. Wir wollen — mit Erlaubnis
des Verlegers — in diesem und den nächsten Heften mehrere seiner
Wort-Naturgeschichten abdrucken, nicht um einige gehaltvolle Bei-
träge zu haben, sondern um hoffentlich viele Leser zu bestimmen,
das nun fertige Werk(2 Bände in Leinen gebunden 18 in Leder
24 ^l) zu erwerben. Denn um das noch einmal zu sagen: das
Temperament Mauthners ist in all diesen Dingen so in der lebhaften
Auseinandersetzung begriffen, so sicher im Stoff und so schneidig
im Urteil, daß man überall weiterliest, wo die Hand zufällig die
Blätter aufschlug. S.
Our Romantik.
cO Fni Maiheft 1905 brachte ich einen Aufsatz „Rheinroman-
tik", angeblich von August Hackemann, dcr mir nachher noch eine
Reihe vortrefflicher Aufsätze literarhistorischer Prägung liefcrte,
die sich zum Schluß als gestohlene Ware eines literarischen Straßen-
räubers erwiesen. Der Mann hatte durch Jahre nicht nur gegen
die „Rheinlande" das dreiste Handwerk betrieben, literarhisto-
rische Aufsätze, die an nicht zu bekannter Stelle erschienen, mit
leichten Veränderungen abzuschreiben und Redaktionen anzubietcn.
Ur Ament in Würzburg entlarvte schließlich den Fälscher (1908);
aber von den in den „Rheinlanden" abgedrucktcn fünf Aufsätzen
konnte ich nur zu einem, „Kleist und Hebbel", der in der Montags-
beilage zum Dresdener Anzeiger gestanden hatte, Lr Christian
Goehde als Autor ermitteln.
Nun bringt der Jnsel-Verlag unter dem Titel „Vom Geistes-
leben des 18. und 19. Jahrhunderts" einen Band Aufsätze von
Oskar Walzel, dem Dresdener Literarhistoriker, heraus, und da
finde ich die „Rheinromantik" wieder, mit dcr die Fälschungen
damals begannen. Mit einer Art beschämtcr Neugierde verglich
ich die Arbeit im Buch mit dem damaligen Abdruck und mußte dem
Fälscher zugestehen, daß er in den von ihm vorgenommenen Kür-
zungen nicht einmal einen üblen Geschmack zeigte; er war für Ab-
rundung und dabei störten ihn die vielen Zitate im zweiten Teil
dcr Arbeit. Freilich selbcr etwas zu schreiben vermochte er nicht,
und jede bedeutende Wendung findet sich mit peinlicher Treuc im
Original wieder.
Auf diese immerhin nicht alltägliche Weise kam ich dazu, das
Buch von Oskar Walzel zu lesen, das solcher Aufsätze 22 enthält,
die sich zum guten Teil um die Romantik bemühen. Oskar Walzel
ist keine Ricarda Huch, die aus der inneren Verwandtschaft einer
romantischen Natur übcr die Blütezeit der Romantik berichtet, er
ist ein Forscher, dem sie mehr aus Liebhaberei als aus Leidenschaft
zum Spezialgebiet geworden ist; was er in diesen nur gesammeiten
Gelegcnheitsarbeitcn gibt, tritt natürlich auch nicht mit den An-
sprüchen eines geschlossenen Buches auf; trohdem bleibt der Cin-
druck, einen Kenner von diesem eigensten Problem der deutschen
Kunst sprechen zu hören, als am wertvollsten von der Lektüre des
Buches zurück. Man wünscht nachher, daß Kapitel, wie das etwa
über „Jbsens Thesen" oder die „Bühnenfragen der Gegenwart",
nicht beigefügt worden wären, weil sie dem Buch seinen Charakter
und auch etwas von dem Wert nehmen, der schließlich doch in der
gründlichen Kenntnis jener Periode liegt. Das abgedruckte Kapitel
über „Zacharias Werner und der Rhein" mag für diese Kenntnis
wie die vorsichtige Art des Derfassers zeugen und den Literatur-
freund anregen, das ganze Buch zu lesen. S.
^Lernard Shaw.
Der Verlag S. Fischer hat Glück mit seinen Gesamtaus-
gaben. Die Auswahl von Shaws dramatischen Werken, die er
soeben in drei Bänden herausbringt (geh. M. 10.—, geb. M. 12.—),
ist innen wie außen von reinlicher Sorgfalt und recht geeignet, der
Popularität diesers Engländers in Deutschland eine gediegenere
Grundlage zu geben als die gelegentliche Aufführung sciner Werke.
Dieser wihige Kopf hat, das ist keine Frage, Jbsen wie die schweren
Russen bei uns Deutschen mit seiner leichteren Kost abgelöst. Wenn
man kaum geistreicher sein kann, als er sich gibt, und wenn selten
eine geistreiche Laune auf so viel fanatischem Crnst beruht, wie bei
ihm: daß ein Stück wie etwa seine oft gespielte „Candida" neben
Jbsen kaum mehr als ein Scherz ist, das läßt sich freilich durch seine
Popularität eher erhärten als verwischen. Cr ist keine Dichterkraft
von titanischen Absichten, er ist ein schlanker heller Geist, dem die
Tür von morgen aufgegangen ist und der uns von dieser stärkeren
Luft Kostproben gibt. Was von Jbsen gesagt wurde, daß er mit
seinen Gesellschaftsdramen immer an einem Punkt stand, wo gerade
so gut Abhandlungen daraus werden konnten, das muß bei ihm
fast ausschließlich gelten; um so mehr, als seine Abhandlungen —
wie gerade die Vorreden zu dieser deutschen Ausgabe seiner Werke
zeigen — genau so amüsant zu lesen sind wie seine Dramen und
jedenfalls denselbenEindruck hinterlassen, der weniger der des menscb-
lichen Schicksals als einer vorurteilslosen Ansicht über menschliche
und gesellschaftliche Angelegenheiten ist.
Natürlich ist damit nicht gesagt, daß uns Shaw im Deutschen
nicht vortrefflich käme und gewissermaßen nötig wäre. Unsere
Literatur ist dickblütig, und was wir Lustspiel nennen, hat, wenn
es keine Posse ist, immer eine Neigung zu jener schwermütigen Re-
signation, die wir Humor nennen. Shaw ist gewissermaßen humor-
frei: er hat einen verteufelten Spaß daran, aus wichtigen Dingen
Flitterwerk zu machen, damit es uns besser eingeht, fast eine Art
Heilsarmeeapostel ist er mit seinen kapriziösen Stücken, nur daß er
ziemlich das Gegenteil von diesen spaßhaften Altruisten will. Man
könnte ihn als Ärznei verschreiben und muß jedenfalls der Apotheke
S. Fischer danken, daß sie ihn so sauber auf Flaschen gezogen in
den Handel bringt. S.
Teufelsbrücke.
Sie ist bekanntlich längst ineinander gestürzt und unterhalb
der neuen Straßenbrücke in den Schöllenen nvch als Ruine zu
betrachten; aber daß sie neuerdings in den Wäldern Deutschlands
vorkommt, ist trotz Freischütz doch nicht nötig. Jch sah sie neulich
bei einem Kurort und zwar so, daß ini Buchenwald aus „Naturholz"
eine Brücke über eine Rinne gebaut war, darin nicht einmal ein
Stein lag, geschweige denn Wasser lief. Wahrscheinlich war im
Frühjahr aber doch das Laub in der Rinne etwas feucht und des-
halb hatte der Derschönerungsverein die meterhohe Brücke hinüber
gelegt. Das mag für Kurgäste mit dünnen Stiefelsohlen praktisch
sein, aber was der Teufel damit zu tun hat, muß der Verschöne-
rungsvereinsvorstand wissen. Es stand wahrhaftig daran.
Mir hat es wieder einmal die Augen für einen Unfug aufge-
macht, der wirklich endlich aufhören sollte. Wo man in der Um-
gegend einer deutschen Kleinstadt auch in den Wald spaziert — d. h.
da, wo dem Fremdenverkehr zuliebe die Wege gekehrt sind — gleich
gibt es einen Zeppelinweg. Jch habe garnichts gegen den alten
Herrn, ich bin sogar der Meinung, daß die Ulkerei über seine Miß-
erfolge unbegründet und durch keine Crfolge der Gegenpartei
gesichert ist: aber diese Ieppelinwege sind ebenso greulich wie die
ewigen Moltkeplätze und Bismarckruhes. Jch bin in einer Klein-
stadt aufgewachsen, und wenn ich mich da der Wälder entsinne, die
ich stundenweit mit jedem Kirschbaum, Waldbeerenplatz und Brom-
beerhang kannte, so hatte jeder Hohlweg seinen althergebrachten
Namen. Wie aber hsute die Wälder mit künstlichen Namen ge-
pfeffert sind, da ist entschieden zuviel Verschönerungsvereinsbildung
bei der Arbeit; jede zehn Meter künstlich angelegten Weges tragen
auf einem Holzschild oder gar in Stein gemeißelt einen hochtraben-
den Namen, bis man sich durch diese Bildungsrinde durchmar-
schiert hat in die freie Waldwelt, wo am Kreuzweg noch die alten
Wegzeiger stehen und den Wanderer beraten. S.
Verantwortlich: Wilhclm Schäfer. — Druck und Dcrlag: A. Bagel, Düffeldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Alle rcdaktioncllen Scndungen sind an den Herausgcber Wilhelm Schäfcr in Vallendar a. Nh. erbcten.
Für unverlangte Manuskripte und Nezciisionseremplarc wird keine Verpfiichtung übcrnommcn. Rückporto ist beizulegen.
„Neue Beitrage zu einer Kritik der Sprache" nennt Fritz
Mauthner sein monumentales Werk, das soeben mit der 21. Liefe-
rung (Verlag G. Müller) vollständig geworden ist. Mauthner hat
— wie hier wiederholt angezeigt wurde —in seiner „Kritik der
Sprache" den umstürzlerischen Gedanken gehabt, daß die Sprache,
auch die wissenschaftliche Sprache, ein untaugliches Werkzeug der
Erkenntnis sei, indem allzu leicht dann, wenn wir glauben, der
Logik nahe zu sein, nur die Grammatik mit Worten in Ordnung
gekommen wäre, deren Jnhalt in den meisten Fällen ein unbe-
stimmter sei. Cs war eine Konsequenz der Sprachkritik, daß sich
Mauthner an eine durchgreifende Revision der philosophischen
Terminologie gab: als Crgebnis liegt nun sein Wörterbuch der
Philosophie vor, das von jedem in der Philosophie gebräuchlichen
Wort die Entstehung seines gegenwärtigen Gebrauches festzustellen
versucht, also aus Wortgeschichten ein Lexikon der Philosophie macht.
Weniger freilich, um ein Nachschlagewerk zu geben, als in seinem
sprachkritischen Sinn einmal grundsätzlich mit den „Wortfetischen"
d. h. mit dcn zu Schlagworten gewordencn Begriffen aufzuräumen.
Dabei ist nun für dcn Laien etwas sehr Amüsantes herausgekom-
men, indem er wahrnehmen muß, wie sich — wortgeschichtlich be-
trachtet — allzumanche Weltanschauungsfrage zum guten Teil
in einen Streit um Worte auslöst. Wir wollen — mit Erlaubnis
des Verlegers — in diesem und den nächsten Heften mehrere seiner
Wort-Naturgeschichten abdrucken, nicht um einige gehaltvolle Bei-
träge zu haben, sondern um hoffentlich viele Leser zu bestimmen,
das nun fertige Werk(2 Bände in Leinen gebunden 18 in Leder
24 ^l) zu erwerben. Denn um das noch einmal zu sagen: das
Temperament Mauthners ist in all diesen Dingen so in der lebhaften
Auseinandersetzung begriffen, so sicher im Stoff und so schneidig
im Urteil, daß man überall weiterliest, wo die Hand zufällig die
Blätter aufschlug. S.
Our Romantik.
cO Fni Maiheft 1905 brachte ich einen Aufsatz „Rheinroman-
tik", angeblich von August Hackemann, dcr mir nachher noch eine
Reihe vortrefflicher Aufsätze literarhistorischer Prägung liefcrte,
die sich zum Schluß als gestohlene Ware eines literarischen Straßen-
räubers erwiesen. Der Mann hatte durch Jahre nicht nur gegen
die „Rheinlande" das dreiste Handwerk betrieben, literarhisto-
rische Aufsätze, die an nicht zu bekannter Stelle erschienen, mit
leichten Veränderungen abzuschreiben und Redaktionen anzubietcn.
Ur Ament in Würzburg entlarvte schließlich den Fälscher (1908);
aber von den in den „Rheinlanden" abgedrucktcn fünf Aufsätzen
konnte ich nur zu einem, „Kleist und Hebbel", der in der Montags-
beilage zum Dresdener Anzeiger gestanden hatte, Lr Christian
Goehde als Autor ermitteln.
Nun bringt der Jnsel-Verlag unter dem Titel „Vom Geistes-
leben des 18. und 19. Jahrhunderts" einen Band Aufsätze von
Oskar Walzel, dem Dresdener Literarhistoriker, heraus, und da
finde ich die „Rheinromantik" wieder, mit dcr die Fälschungen
damals begannen. Mit einer Art beschämtcr Neugierde verglich
ich die Arbeit im Buch mit dem damaligen Abdruck und mußte dem
Fälscher zugestehen, daß er in den von ihm vorgenommenen Kür-
zungen nicht einmal einen üblen Geschmack zeigte; er war für Ab-
rundung und dabei störten ihn die vielen Zitate im zweiten Teil
dcr Arbeit. Freilich selbcr etwas zu schreiben vermochte er nicht,
und jede bedeutende Wendung findet sich mit peinlicher Treuc im
Original wieder.
Auf diese immerhin nicht alltägliche Weise kam ich dazu, das
Buch von Oskar Walzel zu lesen, das solcher Aufsätze 22 enthält,
die sich zum guten Teil um die Romantik bemühen. Oskar Walzel
ist keine Ricarda Huch, die aus der inneren Verwandtschaft einer
romantischen Natur übcr die Blütezeit der Romantik berichtet, er
ist ein Forscher, dem sie mehr aus Liebhaberei als aus Leidenschaft
zum Spezialgebiet geworden ist; was er in diesen nur gesammeiten
Gelegcnheitsarbeitcn gibt, tritt natürlich auch nicht mit den An-
sprüchen eines geschlossenen Buches auf; trohdem bleibt der Cin-
druck, einen Kenner von diesem eigensten Problem der deutschen
Kunst sprechen zu hören, als am wertvollsten von der Lektüre des
Buches zurück. Man wünscht nachher, daß Kapitel, wie das etwa
über „Jbsens Thesen" oder die „Bühnenfragen der Gegenwart",
nicht beigefügt worden wären, weil sie dem Buch seinen Charakter
und auch etwas von dem Wert nehmen, der schließlich doch in der
gründlichen Kenntnis jener Periode liegt. Das abgedruckte Kapitel
über „Zacharias Werner und der Rhein" mag für diese Kenntnis
wie die vorsichtige Art des Derfassers zeugen und den Literatur-
freund anregen, das ganze Buch zu lesen. S.
^Lernard Shaw.
Der Verlag S. Fischer hat Glück mit seinen Gesamtaus-
gaben. Die Auswahl von Shaws dramatischen Werken, die er
soeben in drei Bänden herausbringt (geh. M. 10.—, geb. M. 12.—),
ist innen wie außen von reinlicher Sorgfalt und recht geeignet, der
Popularität diesers Engländers in Deutschland eine gediegenere
Grundlage zu geben als die gelegentliche Aufführung sciner Werke.
Dieser wihige Kopf hat, das ist keine Frage, Jbsen wie die schweren
Russen bei uns Deutschen mit seiner leichteren Kost abgelöst. Wenn
man kaum geistreicher sein kann, als er sich gibt, und wenn selten
eine geistreiche Laune auf so viel fanatischem Crnst beruht, wie bei
ihm: daß ein Stück wie etwa seine oft gespielte „Candida" neben
Jbsen kaum mehr als ein Scherz ist, das läßt sich freilich durch seine
Popularität eher erhärten als verwischen. Cr ist keine Dichterkraft
von titanischen Absichten, er ist ein schlanker heller Geist, dem die
Tür von morgen aufgegangen ist und der uns von dieser stärkeren
Luft Kostproben gibt. Was von Jbsen gesagt wurde, daß er mit
seinen Gesellschaftsdramen immer an einem Punkt stand, wo gerade
so gut Abhandlungen daraus werden konnten, das muß bei ihm
fast ausschließlich gelten; um so mehr, als seine Abhandlungen —
wie gerade die Vorreden zu dieser deutschen Ausgabe seiner Werke
zeigen — genau so amüsant zu lesen sind wie seine Dramen und
jedenfalls denselbenEindruck hinterlassen, der weniger der des menscb-
lichen Schicksals als einer vorurteilslosen Ansicht über menschliche
und gesellschaftliche Angelegenheiten ist.
Natürlich ist damit nicht gesagt, daß uns Shaw im Deutschen
nicht vortrefflich käme und gewissermaßen nötig wäre. Unsere
Literatur ist dickblütig, und was wir Lustspiel nennen, hat, wenn
es keine Posse ist, immer eine Neigung zu jener schwermütigen Re-
signation, die wir Humor nennen. Shaw ist gewissermaßen humor-
frei: er hat einen verteufelten Spaß daran, aus wichtigen Dingen
Flitterwerk zu machen, damit es uns besser eingeht, fast eine Art
Heilsarmeeapostel ist er mit seinen kapriziösen Stücken, nur daß er
ziemlich das Gegenteil von diesen spaßhaften Altruisten will. Man
könnte ihn als Ärznei verschreiben und muß jedenfalls der Apotheke
S. Fischer danken, daß sie ihn so sauber auf Flaschen gezogen in
den Handel bringt. S.
Teufelsbrücke.
Sie ist bekanntlich längst ineinander gestürzt und unterhalb
der neuen Straßenbrücke in den Schöllenen nvch als Ruine zu
betrachten; aber daß sie neuerdings in den Wäldern Deutschlands
vorkommt, ist trotz Freischütz doch nicht nötig. Jch sah sie neulich
bei einem Kurort und zwar so, daß ini Buchenwald aus „Naturholz"
eine Brücke über eine Rinne gebaut war, darin nicht einmal ein
Stein lag, geschweige denn Wasser lief. Wahrscheinlich war im
Frühjahr aber doch das Laub in der Rinne etwas feucht und des-
halb hatte der Derschönerungsverein die meterhohe Brücke hinüber
gelegt. Das mag für Kurgäste mit dünnen Stiefelsohlen praktisch
sein, aber was der Teufel damit zu tun hat, muß der Verschöne-
rungsvereinsvorstand wissen. Es stand wahrhaftig daran.
Mir hat es wieder einmal die Augen für einen Unfug aufge-
macht, der wirklich endlich aufhören sollte. Wo man in der Um-
gegend einer deutschen Kleinstadt auch in den Wald spaziert — d. h.
da, wo dem Fremdenverkehr zuliebe die Wege gekehrt sind — gleich
gibt es einen Zeppelinweg. Jch habe garnichts gegen den alten
Herrn, ich bin sogar der Meinung, daß die Ulkerei über seine Miß-
erfolge unbegründet und durch keine Crfolge der Gegenpartei
gesichert ist: aber diese Ieppelinwege sind ebenso greulich wie die
ewigen Moltkeplätze und Bismarckruhes. Jch bin in einer Klein-
stadt aufgewachsen, und wenn ich mich da der Wälder entsinne, die
ich stundenweit mit jedem Kirschbaum, Waldbeerenplatz und Brom-
beerhang kannte, so hatte jeder Hohlweg seinen althergebrachten
Namen. Wie aber hsute die Wälder mit künstlichen Namen ge-
pfeffert sind, da ist entschieden zuviel Verschönerungsvereinsbildung
bei der Arbeit; jede zehn Meter künstlich angelegten Weges tragen
auf einem Holzschild oder gar in Stein gemeißelt einen hochtraben-
den Namen, bis man sich durch diese Bildungsrinde durchmar-
schiert hat in die freie Waldwelt, wo am Kreuzweg noch die alten
Wegzeiger stehen und den Wanderer beraten. S.
Verantwortlich: Wilhclm Schäfer. — Druck und Dcrlag: A. Bagel, Düffeldorf. — Kunstdruckpapier: I. W. Zanders, B.-Gladbach.
Alle rcdaktioncllen Scndungen sind an den Herausgcber Wilhelm Schäfcr in Vallendar a. Nh. erbcten.
Für unverlangte Manuskripte und Nezciisionseremplarc wird keine Verpfiichtung übcrnommcn. Rückporto ist beizulegen.