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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Editor]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 11
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Pelegrinus, Angelus: Von den Hohen Zeiten
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Hansen, Margret: Weiße Flammen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0427

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Meiße Flammen.

Äach trüb und dumpfem Harren durch unermcssne

Ieiten,

r>or totem Nimmermehr der öden Ewigkeiten
steht außer Stirb und Wcrde und jeglichem Geschick
-von göttlichem Geschehen cin ew'gcr Augenblick.

Zwischenzeit.

Jhr eigner Jagcr ist, sich selber flieht die Ieit.

Vor Angst und Brunst zumal geschieht ihr grimmig Leid.

Der Aeit ist weh! Kein Trost noch Friede mag ihr

frommen,

willst Du mit frommem Wcrk ihr nicht zu Hilfe kommen.

Das Nahe stößt sich hart, das Ferne brennt in Sucht;
der Wunsch ist Leidens voll, Gewährung gar verflucht.
Dcr wütend sich umarmt, des Griffs sich schwer erivehrt,
von steter Gier zcrfleischt, von Ekel je genährt:
der also wund und krank, von bösem Gift zerrissen:
wo mag dem argen Gott dcr Heilung Gnade sprießcn?
Aus Wüsten gellt ein Schrei. Es seufzt, es brüllt

nach Dir —

hörst Du den Jammer nicht?! Dich heischt er für

und für.

Dein Lauf istkurz:Hattaub sein Rufund träg Dich funden,
Du könntst von Reu und Scham aus ewig nicht gesundcn.

Die Große Passion und das Große Oftern.

Gott Einig weiß sich nicht: er muß sich schmerzlich stören.
Jhm gar entfremdet soll heim zu ihm selbst er kehrcn.

Mensch! Du bist selbst in Dir des Höchsten Schmerzens-

gang!

Wo Du in Treuc wankst, so schwankt er krank und bang:
er stürb im ferncn Land, von Gram und Sucht verzehret.
Sieh, mit wie großem Amt Du Hoher bist geehret:
Du sollst dem blinden Gott ein guter Hirte dienen,'
bis ihm im Heimatreich sei Licht und Heil erschienen.

eiße Flammen.

Von Margrci Hansen.

Wenn ich mich auf den Weg machte, um die alte
Mute zu besuchen, tat ich es mit der fröhlichen Ge-
wißheit, daß mich die nächstcn Stunden in irgend
etwas reicher, besser, einsichtiger machen würden, und
daß sie, mit Glanz umhüllt, hinabsinken würden
in jenen Brunnen, der die unverlorenen Lebenstage
hütet: ein unversieglicher Born der Erquickung für alle
spätere Aeit.

Mute wußte zu erzählcn. Meist waren es Schicksale
ihr verwandter oder bekannter Menschen, die sie be-
schäftigten. Jhre Berichte hatten fast immer das An-
sehen von etwas Ungewöhnlichem, was nicht daran lag.

daß Mute sie dazu ausschmückte, sondern einzig und
allein daran, daß sie tieferen Einblick in die Geschehnisse
hatte: die alte Frau hatte in seltenem Maße Ehrfurcht
vor dem Leben und als eine Folge davon gewann
sie das Vertrauen der Menschen in höchstem Maße —
geheimste Türen wurden willig von ihr aufgeschlossen.
Dennoch glaubte sie, dieses Versteckteste müßte für alle
gleicherweise offenkundig sein, und tvenn es sich dann
und wann zeigte, daß nur sie die Wissende gewesen war,
schüttelte sie verwundert und nachdenklich den Kopf,
und einmal hörte ich sie bei solcher Gelegenheit äußern:
„Ja, ja, da kann dem Menschen das Schicksal eines
anderen so nahe kommcn, wie das Gleiten eines
Schattens über sein Gesicht oder das Huschen eines
Strahles, und er spürt nichts davon als eben die
flüchtige Helle oder Dunkelheit, und hebt nicht die
Augen, zu sehen, von wo der Schatten fiel oder welch
Ding dcn Strahl warf."

Die alte Frau verlor ihren Großsohn, einen achtzehn-
jährigen, verwaisten Knaben. Jnnerhalb drcier Tage
war er gesund, krank und tot.

Jch war zu jener Aeit, es war tiefstcr Winter, vom
Dorfe abwesend. Als ich im Frühling zurückkehrte,
galt mcin erster Besuch der alten Mute.

Jch fand sie in ihrem Iimmer damit beschäftigt,
ein paar Zweiglein Efeu und einige Schlüsselblumen in
ein Glas zu stellen. „Sie sind von des Kindes Grab,"
sagte sie. Wir reichten uns die Hände; ich sah in dcr
alten Frau Augen ilnd fand ihre gewöhnliche Heiterkeit
und Gclassenheit noch verticft.

Es währte nicht lange und Mute sprach mir von
dem Ende des Enkels. Auffallend war, wie sie von dem
Ereignis zwar ernst, aber ohne Anzeichen von Schmerz
rcdete, vielmehr hatte ich die ganze Aeit das Gefühl,
als spreche sie von dem Toten, wie wenn er noch unter
uns lebe, und die Worte, mit denen die Alte ihre Er-
zählung schloß, waren mir ein Beweis dafür, daß es
keinen Tod für sie gab.

„Der alte Förster," begann Mute sinnend, „bei dem
niein Enkel lernte, sagte einmal zu mir: Was für wunder-
liche Augen hat Eure Tochter dem Burschen mit auf die
Welt gegeben! Mir wird oft ganz seltsam, wenn ich
sie ansehe — so, als ob im dämmrigen Walde bald hier,
bald da etwas vorbeistreicht, schon meint man, es zu er-
kennen, ein ander Licht breitet sich; die Baume, die
Ouellen rauschen wie mit verständlicheren Lauten —
vorbei ists, und man reibt sich die Augen und denkt,
man hat geträumt. — Und so konnte es sein," fuhr die
Alte mit den eigenen Worten fort, „aber ost haben seine
Augen gelacht und geleuchtet, als sehe er alle Lust und
Freude des Lebens auf glanzenden Rossen dahergeritten
kommen. Und ganz wundcrselig hat er pfeifen können,
da flog seltsam alles, was einen freute, oder schmerzte,
wie Vögel aus dem Herzen, daß es fast zu leicht
wurde!

Zuzeiten kam eine große Betrübnis über ihn, die
ihn so elend machte, daß er nicht aß und trank. Er sagte
dann zu mir, daß all die Herrlichkeit, die die Erde habe,
mit großem Glanze vor seinem inneren Auge stehe,
und er wisse doch, daß er bald sterben müsse und könne nicht
ein einzig Mal des Schönen ganz teilhaftig sein.
 
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