Aacharias Werner und der Rhein.
Dombild gegenüber zum Schwärmer wird, so geht es
ihm mit dem Dom selbst. Suchte er dort eigentlich nur
sich, seine wirre Weltanschauung, seine trübe Mystik
wiederzufinden, so rief der Dom kaum noch ästhetische
Gefühle in ihm wach; er machte auch ihn nur zum Ge-
fäß mystischer Sensationen; schon 1809 schrieb er folgen-
des Sonett:
„Hier sitz ich, hier, im alten Köln am Rheine!
Als mich der Vater Rhein hiehergetragen,
Da war es mir, als könnt ich alles wagen,
Und jetzo sitz ich hier im Dom und weine!
Es weht aus der gemalten Fenster Scheine
Mich durch die Riesensäulen an ein Aagen,
Jch wag es kaum, die Augen aufzuschlagen
Jn diesem Weltenembryon von Steine! —
Werd ich es noch, ich Schwacher, es vollbringen?! -
Als Antwort schlägt es zwölf in dumpfen Tönen;
Die Mittagsglocke weckt die Mitternacht!
Sind wir vollbracht, wir Herrlichen, wir Schönen?
Hör ich den Dom, den Rhein, das Weltall klingen;
Und von dem Kreuze bebts: Es ist vollbracht!"
Noch viel dunkler klingt, was er 1809 in einer ivild
hinbrausenden Dithyrambe, „Ankunft zu Köln" ist sie
überschrieben, zu melden hat: Aerknirschung und Reue
treibt ihn jetzt „zu jenen heiligen Stätten, die Köln,
das alte, hat erbaut in Segen"....
Nicht sei hier die heute so beliebte Parallele roman-
tischen Empfindens und moderner Gefühlsweise auf
einen neuen Fall angewendet! Wie Fr. Schlegel das
Kölner Dombild seinen Aeitgenossen nahezurücken ver-
stand, so hat man uns vor nicht langer Aeit die Kunst
der Vorläufer Raffaels begreiflich gemacht. Und auch
diesmal blieben die Schwärmer nicht aus, die sofort —
wie Werner — den künstlerischen Standpunkt verließen
und ihr eigenes Gefühlsleben in die Schöpfungen
Botticellis hineintrugen. Doch nicht von dieser typischen
Wiederkehr altcr, oft begangener Jrrwege soll hier die
Rede sein.
Jn religiös-mystischen Stimmungen befangen, bleibt
Aacharias Werners Dühten und Sinnen fernab vvn
der ernsten Rückschau stehen, die Fr. Schlegel am Rhein
der Größe deutscher Vergangenheit widmete, ebenso
fern von der Poesie, mit der die Herausgeber dcs
„Wunderhorns" den deutschen Strom umwanden.
Selbst der romantischen Vorliebe für die altdeutschen
Kunstdenkmale der Rheinlande zwingt er ein fremdes
Kolorit auf. Um so mehr fällt es auf, daß auch dieser
eigenwillige Sänger 1813 den Rhein im Sinne der Be-
freiungslyrik besingt, also den Arndt und Schenkendorf
nachtrachtet. Noch 1810 schlagen „Werners Klagen mn
seine Königin Louisa von Preußen", die „hohe Sarons-
rose", einen Ton an, der den deutschen Patrioten jener
Tage fremd ist. 1813 gemahnt schon sein „Kriegslied"
(nach der Melodie: „Mir nach, spricht Christus, unser
Held!") unverkennbar an verwandte Sänge Arndts. Jm
selben Jahre aber dichtet er zur Melodie von Schillers
Reiterlied sein „Kriegslied für die zum heiligen Kriege
verbündeten deutschen Heere"; auch Körner und Arnim
knüpfen gern an Schillers kräftigen Ruf an: „Wohl auf,
Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!" Werner aber
trifft hier endlich die romantisch-nationale Note, die ihm
1808 und 1809 versagt blieb; er greift in die Saiten der
patriotischen Rheinsänger, und im Sinne der Arndt und
Schenkendorf ruft auch er: „Der Rhein, nicht länger
in fremder Schmach Soll er rollen die köstlichen Fluten!"
So hatte sich denn endlich auch Aacharias Wcrners
schwerlenkbares Naturell zur Rheinromantik Fr. Schlegels
und seiner Nachfolger bekehrt. Oskar Walzel.
wei Gedichte von
Wilhelm Schmidtbonn?
Die Verkündigung Mariä.
Maria geht in den Garten,
da sind die Aste alle noch kahl.
Als sie vor einem Bäumchen steht:
da fängt das Bäumchen zu blühen an.
Alle Vögel fliegen zusammen
und singen über ihrem Kopf,
da ist ein blauer darunter,
wie sie nie einen gesehn.
Das Staunen ist so groß —
sie setzt sich müde auf eine Bank,
aber des Staunens ist nicht genug:
aus der Bank springen tausend Rosen.
Da kommt eine Frau den Weg daher,
groß in einem himmlischen Licht.
Sie steht und streichelt Marias Haar
und sagt: „Jch bringe dir Freude, Maria.
Du bist unter Frauen auserwählt,
dein Schoß wird ein Kind austun — das wird
König auf eurer Erde sein,
du aber bist die seligste Mutter."
Sie faltet leise zwei Flügel auf,
hebt sich ins hohe Blau davon.
Ünd sieh: alle Vögel fliegen mit,
die Rosen fallen welk an die Erde.
Maria friert und geht ins Haus.
Als Josef von der Arbeit kommt,
beugt sie den Mund von ihm und Stirn,
sie setzt sich ins Dunkle hin und weint.
Vor einer Eiche im Frühling.
Wie ihr will ich sein:
Eichenblätter, junge,
die ihr die alten
von ihren Asten
erst fortdrängen müßt,
ehe ihr selbst
grün zur Sonne wachsen könnt.
Aber wie ihr auch:
Eichenblätter, alte,
die ihr vom ersten Herbststurm
nicht in den Staub fallt,
* Aus „Lobgesang des Lebens", Rhapsodien von Wiihelm
Schmidtbonn. Derlag Cgon Fleischel öc Co., Berlin.
Dombild gegenüber zum Schwärmer wird, so geht es
ihm mit dem Dom selbst. Suchte er dort eigentlich nur
sich, seine wirre Weltanschauung, seine trübe Mystik
wiederzufinden, so rief der Dom kaum noch ästhetische
Gefühle in ihm wach; er machte auch ihn nur zum Ge-
fäß mystischer Sensationen; schon 1809 schrieb er folgen-
des Sonett:
„Hier sitz ich, hier, im alten Köln am Rheine!
Als mich der Vater Rhein hiehergetragen,
Da war es mir, als könnt ich alles wagen,
Und jetzo sitz ich hier im Dom und weine!
Es weht aus der gemalten Fenster Scheine
Mich durch die Riesensäulen an ein Aagen,
Jch wag es kaum, die Augen aufzuschlagen
Jn diesem Weltenembryon von Steine! —
Werd ich es noch, ich Schwacher, es vollbringen?! -
Als Antwort schlägt es zwölf in dumpfen Tönen;
Die Mittagsglocke weckt die Mitternacht!
Sind wir vollbracht, wir Herrlichen, wir Schönen?
Hör ich den Dom, den Rhein, das Weltall klingen;
Und von dem Kreuze bebts: Es ist vollbracht!"
Noch viel dunkler klingt, was er 1809 in einer ivild
hinbrausenden Dithyrambe, „Ankunft zu Köln" ist sie
überschrieben, zu melden hat: Aerknirschung und Reue
treibt ihn jetzt „zu jenen heiligen Stätten, die Köln,
das alte, hat erbaut in Segen"....
Nicht sei hier die heute so beliebte Parallele roman-
tischen Empfindens und moderner Gefühlsweise auf
einen neuen Fall angewendet! Wie Fr. Schlegel das
Kölner Dombild seinen Aeitgenossen nahezurücken ver-
stand, so hat man uns vor nicht langer Aeit die Kunst
der Vorläufer Raffaels begreiflich gemacht. Und auch
diesmal blieben die Schwärmer nicht aus, die sofort —
wie Werner — den künstlerischen Standpunkt verließen
und ihr eigenes Gefühlsleben in die Schöpfungen
Botticellis hineintrugen. Doch nicht von dieser typischen
Wiederkehr altcr, oft begangener Jrrwege soll hier die
Rede sein.
Jn religiös-mystischen Stimmungen befangen, bleibt
Aacharias Werners Dühten und Sinnen fernab vvn
der ernsten Rückschau stehen, die Fr. Schlegel am Rhein
der Größe deutscher Vergangenheit widmete, ebenso
fern von der Poesie, mit der die Herausgeber dcs
„Wunderhorns" den deutschen Strom umwanden.
Selbst der romantischen Vorliebe für die altdeutschen
Kunstdenkmale der Rheinlande zwingt er ein fremdes
Kolorit auf. Um so mehr fällt es auf, daß auch dieser
eigenwillige Sänger 1813 den Rhein im Sinne der Be-
freiungslyrik besingt, also den Arndt und Schenkendorf
nachtrachtet. Noch 1810 schlagen „Werners Klagen mn
seine Königin Louisa von Preußen", die „hohe Sarons-
rose", einen Ton an, der den deutschen Patrioten jener
Tage fremd ist. 1813 gemahnt schon sein „Kriegslied"
(nach der Melodie: „Mir nach, spricht Christus, unser
Held!") unverkennbar an verwandte Sänge Arndts. Jm
selben Jahre aber dichtet er zur Melodie von Schillers
Reiterlied sein „Kriegslied für die zum heiligen Kriege
verbündeten deutschen Heere"; auch Körner und Arnim
knüpfen gern an Schillers kräftigen Ruf an: „Wohl auf,
Kameraden, aufs Pferd, aufs Pferd!" Werner aber
trifft hier endlich die romantisch-nationale Note, die ihm
1808 und 1809 versagt blieb; er greift in die Saiten der
patriotischen Rheinsänger, und im Sinne der Arndt und
Schenkendorf ruft auch er: „Der Rhein, nicht länger
in fremder Schmach Soll er rollen die köstlichen Fluten!"
So hatte sich denn endlich auch Aacharias Wcrners
schwerlenkbares Naturell zur Rheinromantik Fr. Schlegels
und seiner Nachfolger bekehrt. Oskar Walzel.
wei Gedichte von
Wilhelm Schmidtbonn?
Die Verkündigung Mariä.
Maria geht in den Garten,
da sind die Aste alle noch kahl.
Als sie vor einem Bäumchen steht:
da fängt das Bäumchen zu blühen an.
Alle Vögel fliegen zusammen
und singen über ihrem Kopf,
da ist ein blauer darunter,
wie sie nie einen gesehn.
Das Staunen ist so groß —
sie setzt sich müde auf eine Bank,
aber des Staunens ist nicht genug:
aus der Bank springen tausend Rosen.
Da kommt eine Frau den Weg daher,
groß in einem himmlischen Licht.
Sie steht und streichelt Marias Haar
und sagt: „Jch bringe dir Freude, Maria.
Du bist unter Frauen auserwählt,
dein Schoß wird ein Kind austun — das wird
König auf eurer Erde sein,
du aber bist die seligste Mutter."
Sie faltet leise zwei Flügel auf,
hebt sich ins hohe Blau davon.
Ünd sieh: alle Vögel fliegen mit,
die Rosen fallen welk an die Erde.
Maria friert und geht ins Haus.
Als Josef von der Arbeit kommt,
beugt sie den Mund von ihm und Stirn,
sie setzt sich ins Dunkle hin und weint.
Vor einer Eiche im Frühling.
Wie ihr will ich sein:
Eichenblätter, junge,
die ihr die alten
von ihren Asten
erst fortdrängen müßt,
ehe ihr selbst
grün zur Sonne wachsen könnt.
Aber wie ihr auch:
Eichenblätter, alte,
die ihr vom ersten Herbststurm
nicht in den Staub fallt,
* Aus „Lobgesang des Lebens", Rhapsodien von Wiihelm
Schmidtbonn. Derlag Cgon Fleischel öc Co., Berlin.