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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 3
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Benn, Joachim: Der deutsche Homer
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Homerus; Schröder, Rudolf Alexander [Übers.]: Homer: Die Schicksale des Eumaios
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0111

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Der deutsche

strählte, die lieblich singendc Göttin" nennt. Poetischer
ist es dann, aber nunmehr zugleich sogar wortwörtlicher,
wenn er in der Artemis nicht die „Freundin treffender
Pfeile", sondern die „spähende Schützin" sieht, nicht
etwa das „bange Gewinsel" einer Mutter erwähnt,
sondern ihr „erbärmliches Schluchzen"; wenn er Odysseus
nicht „zci einer crhabenen Seele" sondern „in seinem
mächtigen Herzen" reden läßt. Poetischer ist es, nicht
diese lebensferne, blutlose Abstraktion im Ausdruck, wie
sie jede Seite der Vossischen Übersetzung in mehreren
Beispielen aufzuweisen hat, wenn er „Jüngling von
trotziger Red' und verwegenem Mute", zu „Telemach,
Großmund, wütiger Held, was redest du also?" werden
läßt, die Anrede ironisch nehmend, wenn er „selbst der
Gedanke an Knechtschaft verschwindet einem Betrachter
— deiner Gestalt und Größe" so wiedergibt: „Und ich
find auch nirgend an dir ein Zeichen der Knechtfchaft —
Weder an Miene noch Wuchs: du gleichst einem fürst-
lichen Manne". Poetischer ist es, nicht im Tone des
Unterhaltungsromans, in dcm Voß dann plötzlich ein-
mal Natürlichkeit zu finden glaubt, sondern dem Tone
des stilisierten Heldenromans entsprechend, wenn er
eine Banalität wie die: „halt mich nicht länger auf,
denn dringend sind meine Geschäfte", in dieser Weise
wortwörtlich ersetzt: „Halte mich nicht zurück, der ich
zu wandern begehre". Und am deutlichsten wird die
ganze Verschiedenheit, mit der die beiden Ubersetzer bei
ihrer Aufgabe verfahren, wohl an der Stelle, die wörtlich
übersetzt etwa: „nunmehr war er von hohem Alter
gebückt" heißt, bei Voß jeder Bildlichkeit beraubt wahr-
haft grausam auf den rein logischen Jnhalt zusammen-
gepreßt wird: „dieser gebückte Greis", während sie bei
Schröder eher noch ausgemalt erscheint: „längst von
silbernem Alter gebeugt".

An anderen Stellen werden Ausdrücke, die bei Voß
übertrieben stark sind, abgedämpft, damit sie anderwärts,
wo sie wirklich nötig sind, ihre alte Kraft haben, so wird
„entsetzliche Greuel" in „dreiste Gewalttat", „schrecklich"
zu „schmählich"; in Schilderungen von Naturereignissen,
Stürmen und Schiffbruch, bei Beschreibungen von
Häusern und von Bootsbauten wird eine Fülle von
Fachausdrücken eingeführt, dic dcm an solchen Stellen
leicht unverständlichen, unsachgemäßen Wortschwalle
Vossens eine ganz neue Sinnlichkeit geben; „sandige
Hügel" sind jetzt „Dünen". Schröder hütet sich wohl,
Dämon mit „Schicksal" zu übersetzen, er behält das
Wort bei; cr sieht in der Eigenschaft, mit der Vater und
Sohn sich gemeinsam dem Feinde stellen, nicht schlechthin
„Tugend", sondern „Mannesmut" und er ersetzt „biedcr"
bci einem Jüngling mit „wacker". Bei solchen Vorzügen
müßte diese neue Übertragung der Odyssee als die Er-
füllung aller Ansprüche gelten, die zu stellen nmn heute
überhaupt berechtigt wäre, wenn sie nicht auch ihre
Mängel hätte, von denen zu befürchten ist, daß sie ihre
Wirkung in die Breite verhindern: Wenn diese Über-
setzung nämlich zweifellos poetisch ist, so ist sie es — und
zwar nicht nur an der einen oder der anderen Stellc
oder etwa allein in den beiden letzten, etwas schwächeren
Gesängen, sondern in ihrem ganzen Umfange allent-
halben hier und da — nicht ohne einen Einschlag von
„Gesuchtheit" im eigentlichsten Sinne des Wortes, von
Preziösentum; sie ist poetisch nicht immer einfach und

natürlich, d. i. im Grunde genommen eben innerhalb
des allgemeinen Sprachgebrauchs oder doch in dessen
organischer Fortentwicklung, sondern künstlich. Preziös
wirkt schon die Art, wie ohne jeden Anhaltspunkt im
Urtert das Meer stets als „die hohen Gewässer" crscheint,
wenn die „Städte" der Menschen ausnahmslos „die
Orter der Menschen" heißen, wenn wieder und wieder
von den „Bahnen der Feuchte" gesprochen wird. Es
mag hingehen, daß „Gabe" durch „Gift" crgänzt wird,
wenn „Oger" und „Gejaide" eingeführt werden, gut
erfunden ist sogar „lauthals" und „freundwillig" wie
andcres, allein wenn „gegenüber" zu „über" verkürzt
oder zu „gegen", wcnn im „Angesichte" einfach „im
Gesichte" werden soll, so fühlt man den sprachlichen
Bodcn unter sich wanken, denn das heißt Ohnmacht
als wortschöpferische Kraft ausrufen. Gesucht erscheint
es, wenn es von Jnseln heißt, sie „wohnen" nahe bei-
einander, gesucht und bcinahe symbolisch für die ganze
Art, wenn im Awange, ein Wort zu ergänzen, dem
eigentlichen Tcrte: „die gab ihnen Gift" nicht das Nahc-
liegende, Schlichte und Selbstverständliche, freilich auch
nicht Neuartige und Aufregende „essen" zugesetzt wird,
sondern „schmecken": Man sagt nun einmal nicht „Ge-
fichte denken", sondern „Gesichte habcn", wie es nun
einmal heutiger Sprachgebrauch ist, daß der Genetiv
des Adjektivums beim Substantivum mit „n" lind nicht,
wie hier im ganzen Buch, mit „s" gebildet wird, was
sich doch auch kaum durch den Wunsch erklärt, alter-
tümlich zu wirken: „wahrhaftiges Munds", „kräftiges
Wuchses". Es ist peinlich preziös, wenn plötzlich die
längst abgeschaffteVerdoppelung derVerneinung wieder
eingeführt werden soll: „nie kein", „nie nicht", und
schmälert in etwas das Verdienst eines Werkes, das
deshalb natürlich doch der Beweis eines unbezweifel-
barcn Könnens und ein Geschenk für Deutschland bleibt.

Joachim Benn.

omer:

Die Schicksalc des Eumaios.

Jn dcr Übersetzung von R. A. Schrödcr.*

Syria heißt ein Land im Meer, Ortygia über,
wo die Sonne sich wendet — vielleicht erfuhrst du den

Namen —,

nicht sehr reich an vielerlei Volk, doch auch nicht ver-

lassen,

voll von Rindcrn und Schafen und Wein und gutem

Getreide.

Keinerlei Pein des Hungers befällt, und keinerlei bösc
Seuche befucht alldort das Volk mühsäliger Menschen;
sondcrn, wenn einer im Orte daselbst zu Jahren ge-

langt ist,

konmien mit silberncn Waffen Apoll und Artemis

selber,

die ihn mit sanft unmerklichem Pfeil zu Tode be-

fördern.

Aber es sind zwei Städte daselbst, zwiespältig in allem,
außer in einem: denn beide beherrschte mein Vater,

der König

Ktesios, Ormenos' Sohn, den seligen Göttern ver-

_ gleichbar.

* Jnsel-Verlag, Leipzig.

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