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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 2
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[Besprechungen und Notizen]
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0084

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chwarz - Weiß -Ausstellung

der Berliner Sezession.

Die graphischen Ausstellungen der Sezession verlieren von
Jahr zu Iahr mehr jene Gründergeste, mit der die Künstlcr
um das Interesse des Publikums werben. Cs war durchaus eine
gewagte Neuerung, als die Sezession vor sieben oder acht Iahren
anfing, den Berlinern Schwarz-Weiß-Arbeiten ihrer Mitglieder
und Freunde zu zeigen. Heute sind diese Ausstellungen schon
Notwendigkeit geworden. Und langsam haben sich dem Stamm
der Besucher gewisse Laienkreise angegliedert, die in den Sommer-
ausstellungen, wo vorwiegend rein künstlerische Probleme zur
Diskussion gestellt werden, nicht auf ihre Rechnung kommen.
Die Graphik, die ihre eigenen Gesetze hat, kommt den Neigungen
des Publikums zum Sentiment, zum Gedanklichen und Er-
zählerischen weit genug entgegen, ohne daß sie darum ihr künst-
lerisches Niveau aufzuqeben brauchte. So ist die erzieherische
und damit kulturelle Wirkung der Schwarz-Weiß-Kunst bedeutend.
Die relative Billigkeit der Kunstwerke erleichtert den Ankauf, und
an der Quantität und Qualität der Erwerbungen mißt man mit
Vergnügen den Wert von Künstler und Käufer und findet immer
wieder alte Wahrheiten bestätigt. Der populäre Crfolg eines
Künstlers steht nicht immer im richtigen Verhältnis zu dem absolut
künstlerischen Wert der Arbeiten. Daß aber das Niveau der am
meisten gekauften Bilder hier so hoch ist, macht wiederum dem
erwerbenden Publikum alle Ebre. — Besonders erfreulich ist,
daß die jüngeren und jüngsten Künstler mit bedeutenden Arbeiten
andienten und, an der Zahl der Verkäufe gemessen, größeren
Crfolg kaben, als die älteren. Das bedeutet qewiß keine künst-
lerische Kritik. Aber nickts brauchen die jungen Leute mehr als
Crmunteruna, und so ist es gut, wenn sie verkaufen. — Lieber-
mann und Slevogt sind gegen früber an Aahl und Bedeutung
der Arbeiten gerinqer vertreten, Corinth wirksamer aber mit
ungleichmäßigen Blättern. Seine farbiqen Litbographien zum
hoben Lied sind schwankend im künstlerischen Wert, zum Teil
aber in der Ersindung sebr reizvoll. Baluscheks 24 große Koble-
kartons „der Weg der Maschine" sind im Kunstwsrt problematisch
wie früber, docb wird dieser Registrator der bewegenden Kräfte
unserer Tage für spätere Geschlecbter vielleicht von Bedeutung
sein. Die mittleren Künstler der Sezession, die beiden Hübner,
Pbilipp Franck, Bischoff-Culm, Drener, Kardorff, Rhein, Oppler,
Brockbusen u. a. sind auch in der Graphik mehr oder weniger
durchschnittlich. — L. von Hosmann überließ man für seine
zablreichen Pastelle und Koblezeichnungen einen ganzen Raum.
In dieser guten Auswahl wirken die Arbeiten sehr erfreulich. Das
Bildms Hodlers in Tempera von Orlik ist charakteristiscb, vielleicht
etwas zu verliebt und aussübrlich gearbeitet. Walsers farbige
Lithographien und sehr zablreiche Radierungen, Illustrationen
zu galanter französischer Literatur des 18. Iahrhunderts sind
so hübsch in der Crsindung und so graziös gezeichnet, daß man die
liebenswürdige Geste dieser epigonischen Kunst schwer missen möchte.
Walser ist als Aeicbner unoriginal und gar nicht elementar, dafür
aher in den Wassern aller verseinerten Kulturen gewaschen.
Was dabei herauskommt, ist seltsamerweise eins in sich selbst
durchaus sichere Persönlichkeit. Von E. R. Weiß, in einem
separaten Naum architektonisch eingeordnet, ein gemalter Garten-
saal. Man ist nicht weit von dem Milieu Walsers entfernt. Schäfer-
haft galante Damen und Herren in preziöser Pose. Iedes
der vier Felder an sich bübsck in Zeichnung und Farbe und doch
feblt dem Raum selbst die überzeugende Wirkung. Willi Geigers
radierter Cnklus „Stierkampf" charakterisiert dieses gespannte
Talsnt sebr gut. Klemms Holzschnittfolqe zum Till Ulen-
spieqel wirkt arckunstisch spröde: hesser sind seine Ieichnungen
und Aquarelle. Es überrascbt Wilbelm Schocken, der als Radierer
bedeutende Vorzüge entwickelt. Die größten Talente und reifsten
Künstler unter den Iünqeren, Beckmann und Rvsler, interessieren
diesmal auch als Grapbiker außerordentlich. Außer bedeutsamen
zeichnerischen Studien siebt man von beiden zum ersten Male
Litbograpbien. Sie sind Maler auch hier, d. b. sie arbeiten mit
dem litboqraphischen Stist in Schwarz und Weiß wie sonst mit
dem Pinsel und erreichen so eine unqewöbnliche Illusion von
Malerei obne Farbe. Wie alle Künstler, die nur geleqentlich
sich der Scbwarz-Weiü-Mittel bedienen, nutzen sie die Möqlicb-
keiten der Tecbnik nicbt voll aus und verzicbten aus die Finessen
der handwerklicben Konvention. Die Friscbe des Eindrucks aber
entschädigt. Beckmann bat eine Folge von 6 Blättern mit Stoffen
aus dem Neuen Testament gezeichnet, Rösler eine andere mit

landschaftlichen Motiven aus der Umqebung Berlins. Sie sind
in Mappen vereinigt bei E. W. Tieffenhach, Steglitz, erschienen. —
Hans Meid entwickelt sich immer mehr zum spezifischen Graphiker
von Rang. Das jüngste Werk, im Zyklus von 9 Blättern zum
„Othello", ist Grabstichelarbeit mit allen Reizen des sichtbaren
Schnitts, der durchgefühlten Linie, der Differenzierungen des
Tons vom Licht des Papiers bis zu den fetten Schwärzen der
Druckfarbe. Ungewöhnlich gut erzielt und echt in Milieu, aus-
gestattet mit psychologischen Feinheiten der Charakterisierung,
die heute seltener sind als je, lassen die Blätter den geborenen
Jllustrator erkennen, der doch um nichts weniger ein bedeutender
Künstler ist. — In ihrer Sachlichkeit sehr erfteuliche Arbeiten,
Radierungen aus Potsdam und dem großstädtischen Berlin,
von Westphal, lithographische Aktskizzen, sind hervorzuheben.
Max Naumann ist mit vorwiegend landschaftlichen Zeichnungen
vvn sicherer Beobachtung über alles hinausgewachsen, was man
je von ihm sah. Struck schickte viele Radierungen von handwerk-
licher Qualität, in der Stimmung aber von einer bedenklichen
Gleichartigkeit. Von Schinnerer neue Radierungen, zum Teil
aus Jtalien, von guter Beobachtung des Lichts. Äus Maqdeburg
kommen sichere Arbeiten Wilhelm Gieses, Richard Winkels;
der frischeste und wohl jüngste ist Benno Marienfeld. Charak-
teristische Arbeiten Thomas, Boehles; und dann ein merkwürdiger
Anachronismus aus Frankfurt a. M., eine delikate Zeichnung
Teichmanns: die schön gelagerte Akte, eine Frau mit zwei halb-
erwachsenen Kindern, erinnern in der Süßigkeit des Umrisses, der
Modellierung, der Kvmposition an Schnorr von Carolsfeld und
Genelli. Die Retrospektive ist diesmal den Nazarenern, dann
Carstens, Feuerbach, Rethel, Schadow, Schwind, Spitzweg ge-
widmet. Man sieht z. T. wundervolle Zeichnungen, und es drängt
sich der Gedanke auf, daß das llrteil über die künstlerische Bedeu-
tung besonders der Nazarener in Kürze revidiert werden muß. —
Den Bildhauern ist diesmal der große Saal ganz eingeräumt
worden. Die gegen früher sehr vermehrten plastischen Ärbeiten
sind außerordentlich gut gestellt, und so kommt die später auf-
gegebene Idee, mit der graphischen eme repräsentable plastische
Äusstellunq zu verbinden, als imponierender Cindruck doch zu
einer gewissen Crfüllung. Eine anfänglich geplante Sonderaus-
stellung von Werken Gauls ist nicht glücklich durch eine größere
Zahl von Arbeiten Klimschs ersetzt. Sehr bedeutende Werke Georg
Kellers und Hellers, hübsche Plaketten von Ehehalt und Elkan
ragen hervor. Hildcbrand und Klinger sandten Porträtköpfe,
Heine eine männliche Büste in Gips. Und dann die über-
ragenden Bronzewerke Rodins, die Tschudi für München erworben
und für die Ausstellung geliehen hat: das „trauernde Weib"und
die Büste Mahlers. Cwald Bender.

er Zorn des AchilleS.

Dies nicht mehr jüngste aber bisher weitaus stärkste
dramatische WerkWilhelm Schmidtbonns, wurdein der zweiten
Woche des Iahres 1912 im Deutschen Theater zu Berlin ge-
geben. Was schon beim Lesen so stark und voll gewirkt hatte, die
reine und volkstümlich klare Kraft der sinnlichen Anschauung,
der männlich rüstige Rhythmus, der es wagen darf, die Motive
des alten Homer neu zu ergreifen, ohne irgendwo im schlimmen
Sinne modern — romantisch, sentimental, verstiegen — zu wirken,
all diese reine Kraft und Klarheit strahlt von der Bühne so leuchtend,
so erquickend, wie es selbst die Freunde und Kenner der Dichtung
kaum erwartet hatten. Zum ersten Mal in unseren Tagen konnte
man auf dem Theater eine (freilich vortrefflich gespielte) Liebes-
szene im griechischen Kostüm sehen, die nicht verlogen und ver-
weichlicht wirkte, die mit unglaublichem menschlichem und dich-
terischem Takt auf der Grenze zwischen antikem Herrenverhältnis
und moderner Menschlickkeit herging. Der zweite Teil, in dem der
Dichter von der homerischen Fabel abweicht, und den Achilles,
der jetzt zur Rache seines Freundes ins Feld geht, in einen neuen
tödlichen Konflikt mit dem nun Frieden heischenden Volk setzt, ist
von Schmidtbonn nicht schwächer gestaltet. Ia, das eigentlichste
Verdienst des Dramatikers scheint mir in dieser geschlossenen
Führung des Schicksals, in dieser reinen Ausbalancierung der
unbändigen Einzelkraft mit der schweren und doch auch so lebendigen
Masse zu liegen. Aber diese Cnsembleszenen mit ihren monu-
mentalen Gruppenbildungen, ihren Chorrbytbmen und Solis
sind ganz im Geiste Reinhardtscher Reqie geschaffen und bedürfen
zur Belebung eines Regisseurs wie Reinhardt. Reinbardt aber
weilte in London, um dort für 1200 000 Mark sein „Mirakel"
in Szene zu setzen, und die bloße Tradition seines Hauses erwies

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