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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 6
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Benn, Joachim: Literarische Skizzen
DOI Artikel:
Auburtin, Victor: Victor Aubertin: Skizzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0233

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Litcrarische Skizzen.

mcii in der Aeik verläuft, ein gewisses Mininium an Raum,
dessen Unifang den Umfang desjenigen Raumes über-
krifst, der der Skizze zugebilligt wird. Es ist schon garnicht
möglich, die Darstellung des novellistischen Handlungs-
verlanfes durch Verknnpfnng dcr Novelle mit der Lyrik
zu verknüpfen, denn damit entsteht eine Bastardform,
die peinlich wirken mnß. Selbst Andersens „Bilderbuch
ohne Bilder" ist, wie man schon aus dem Titel sehen
könnte, trotz der Reinheit des verwendeten Gefühls-
materials stillos und in seiner Sentimentalität keines-
wcgs mit einigen der wundervollen Marchen zu ver-
gleichen, die die gleiche Gefühlsinnigkeit in echte dich-
terische Form bringen.

Eine wirklich künstlerisch ernst zu nehmende Skizze
scheint vielmehr nur in zweifachcr Art denkbar: Entweder
soll sie ganz auf die Wiedergabe einer logisch geschlossenen
Handlung verzichten; wie es des Russen Paul Barchan
wahrhaft virtuose Darstellung eines seltsamen Pariser
Casss mit seinen mondänen Gästen z. B. tat, soll sie, der
modernen malerischen „Jllustration" ähnlich, als eine
Art künstlerischen Feuilletons realistische Austands-
schilderung sein, wie es sa die Reisebeschreibung von
künstlerischer Oualität ebensalls ist. Auch bei dieser
Wirklichkeitsdarstellung kann der Dichter sehr viel Seelen-
baftigkeit entwickeln je nach dem Tiesblick, mit deni er
die Wirklichkeit anschaut, aber er darf keine logisch ge-
schlossene Handlung zusammenfügen wollen. — Oder
aber die Skizze soll sich der einzigen literarischen Miniatur-
form annähern, die es gibt, der Lyrik, aber freilich nicht
in der Weise, daß sie ihre Sprache lyrisch hinströmen
läßt, denn das widerspricht ihrem prosaischen Grund-
charakter, sondern indem sie wie die Kleinformen der
Sage, des Märchens etwa auch, von der Dichtung das
Sinnbild, das Symbol übernimmt und sich selbst sinn-
bildlichen Charakter gibt. Genau genommen ist ja
natürlich jede dichterische Handlung symbolisch, da es
sich ini Grunde niemals uni die Schicksale eines einzelnen,
genau benannten Menschen handelt, sondern nur um
„den Menschen", den Typus Mensch, der auch in diesem
Einzeleremplar steckt; doch ist die realistische Dichtung
eben nur in indirektem Sinne symbolisch und scheinbar
ganz realistisch, weshalb sie ihre Menschen bis auf Anzug
und Barttracht beschreibt, während die direkt sym-
bolische Dichtung in ihrer strengsten Form nur „der
Mensch" sagt, oder „ein Weib". Durch die Fortlassung
aller realistischen Einzelheiten schmilzt die dichterische
Handlung offenbar auf einen sehr engen Raum zu-
sammen und komnit darum dem Bedürfnis der Skizze
entgegen. Diese Art symbolischer Dichtung braucht
natürlich nicht in dem Maße symbolisch-typisierend zu
sein, daß sie wie die alte Fabel etwa ihre Personen dnrch
Tiertypen symbolisiert, ihrer Handlung den symbolischen
Handlungssinn als „Moral" anhängt, wie die Fabel auch
und die altitalienische Sprichwortnovelle: Der sym-
bolische Handlungssinn kann unausgesprochen bleiben,
und wenn in diesem Fall die Handlung, wie es auch
niöglich ist, nur aus einem einzigen Vorgang besteht,
konimt es zu Berührungen mit der Gruppe der anderen
Skizzen.

Von Deutschen, deren ernstem und gründlichem Geist
die Kunst der Arabeske im allgemeinen nicht liegt,

hat sich in der Skizze neuerdings Victor Aubertin ver-
sucht, von dem freilich auch noch dahingestellt bleiben
mnß, wie weit er dcutscben Blutcs ist. Jn seiner „Onyr-
schale"* ** hat er mehr als ein halbes Hundert Skizzen zu-
sammengestellt; alle sind in einem leicht lyrischen Ton
gehalten, und einige geradezu kleine Gedichte in Prosa,
doch haben selbst die noch einen gewissen sentenz-
haften Charakter, und die übrigen sind überhaupt sinn-
bildliche Handlungen. Aubertins Grunderlebnis ist der
Gegensatz zwischen der Seelenhaftigkeit und der Seelen-
losigkeit menschlicher Eristenz: So stellt er Priester-
tum und Religiosität, Philologie und Dichtertum, Nutz-
barkeit und Schönheit, äußeres Streben und inneres
Streben, alte Kultur nnd neue Aivilisation, Bürgertum
und Dichtertum, Alltäglichkeit und Festtäglichkeit, kurz
Seelenhaftigkeit und Gewöhnlichkeit in imnier neuer
Gestalt einander gegenüber. Oft kommt er dabei ins
niedrig Satirische und erinnert dann an die Reise-
berichte, die er im vorigen Jahre in einer großen Berliner
Aeitung veröffentlichte und doch wohl auf ein Publikum
von allzu geringer seelischer Kultur berechnct hatte;
überhaupt liegt in seiner Natur offenbar cin Zug zuni
Journalismus jener Art, der in seiner Mischung von
ätzendem Spott und etwas allzu leicht beschwingter
Poesie mit Heines „Harzreise" entstand. Aber wenn er
sein Schiff genügend beschwert und mit größerem Tief-
gang als sonst durch die Wellen treibt, die doch wirklich
so tief und dunkel sind, wenn sein Gefühl einnial stark
genug wird, auch seinen Jntellekt zu erweichen, dann
gelingen ihm Dinge von einer eigenen dunklen Schönheit,
wie „Die Jnschriften", „Das Haus der nackten Frau",
„Die fünf törichten Jungsrauen", „lupuiiv, sub pnws",
„Das Sonett", „Aoologisches Gespräch", „Die schlankc
Hure", „Die Ewigkeiten". Das sind kcine logisch gc-
schlossenen Kunstwerke nach der Art der Novelle und
Tragödie; sie gleichen in etwas den Venediger Gläsern,
von denen nach Aubertins ironischem Ausspruch „Herr
Professor W. Aarncke" in seinem grundlegenden Werke
schreibt: „Was nun die venezianischen Gläser anbetrifft,
so wird sich mit ihren bizarren und unlogischen Formen
ein konstruktiv und organisch empsindenderGeschmack nur
schwer befreunden können." Allein als solche erinnern
sie den Asthetiker doch wieder einmal daran, daß alle
Ästhetik niemals darauf ausgehen kann, irgendwelche
Formen prinzipiell auszuschließen, sondern einzig darauf
bedacht sein mnß, die Grenzen zwischen den verschiede-
nen Formen zu sehen und innerhalb derer dann auf
Stileinheit zu halten. Joachim Benn.

ictor Aubertin: Skizzen?*

Die Jnschriftcn.

Als Dante vor der Hölle ankam, da waren seine Augen
scharf und böse wie des Sperbers und blickten in alle
Ecken und Winkel. Und da sah er die Jnschrift, die
über dem Tore stand und die lautete: Iiusoiabs oZui
spsruuLg, voi oü' ciitrnts.

* Albert Langen, München.

** Aus der „Onixschale" (Berlag Albert Langen, München).

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