Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

DOI Heft:
Heft 1
DOI Artikel:
Rüttenauer, Benno: Hugo v. Tschudi
DOI Artikel:
Becker, Franz Karl: Der alte Schäfer und die toten Könige
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0045

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der nltc Schäfer und die totcn KLnige.

stellung gewann durch den Charaktcr, den Tschudi ihr
zu geben wußte. Wie eine aufklärende reinigende Kraft
ging es davon aus. Aber obwohl es diesmal eine nationale
Tat ersten Ranges war,.... ging Tschudi bald darauf
nach München.

Das bedeutete eine Ehre für München, auch für den
Kultusminister von Wehner, der doch nicht so kultur-
fremd zu sein scheint, als ihn die Tagesblätter gern
hinstellen möchten. Er hat jetzt auch Wölflin mit Erfolg
berufen. Diese Abschwenkungen nach München von
Berlin her ermangeln nicht des Pikanten.

Tschudis Tätigkeit in München braucht man Heut
nicht erst zu rühmen; sie tut es längst von selber, auch habe
ich mich an dieser Stelle früher darüber geäußert. Es
hat ihr nicht an Kritik gefehlt. Sie bezog sich, soweit
sie überhaupt ernst zunehmen ist, auf einen Punkt, über
den immerhin geredet werden kann. Man will es be-
dcnklich finden, daß eine so ehrwürdige Ahnengalerie
der Kunst, wie die Alte Pinakothek, dazu gebraucht werden
sollte — das Wort ist ungeheuer übertrieben —, die
herrschende Tendenz der heutigen Kunst zu unterstützen,
die doch notwendig etwas Aeitliches — das Alte allein
ist ewig — etwas Vorübergehendes sei. Man schrie über
Einseitigkeit, über allzu großes Sichbreitmachen der
Subjektivität. Darauf könnte man einfach erwidern:
daß es eben eine starke lebendige Persönlichkeit ohne
Einseitigkeit nicht gibt. Man muß aber außerdem noch
das sagen: besser, einseitig belebend wirken, als allseitig
totschlagen! Oder nicht? Das was heute ringt und sich
entfalten will, und wenn es noch so einseitig wäre, zu
fördern, zu ermutigen, sollte etwas Schlimmes sein?
Nein, der wärmsten Anerkennung ist es wert. Um so
mehr, je seltener es von amtlicher Stelle aus geschieht.
Nur vom Gegenteil wissen wir zu erzählen in den amt-
lichen Betrieben der Kunstgeschichte, die Literatur ein-
gerechnet: von jener heillosen Tendenz, mit den Ge-
spenstern der Vergangenheit — o, ich weiß auch, daß
es nicht in jedem Sinn Gespenster sind — das keimende
oder wachsende Leben der Gegenwart zu erschrecken, zu
entmutigen, zu ersticken und, dem schönen Schillerwort
zum Trotz, dem Lebenden immer Unrecht zu geben.

Nein, diesmal ist es keine Phrase, München hat einen
großen Verlust erlitten. Wird er ausgeglichen werden?
Herr v. Wehner gilt, glaube ich, nicht für witzig; jetzt
könnte er seinen Ruf Lügen strafen, indern er — Meier-
Gräfe als Tschudis Nachfolger beriefe, den Mann, der
gern so bös^über München spricht. Eben darin läge der
Witz. Mir scheint, es wäre kcin schlechter. Mir ahnt,
als ob Tschudi — recfuiescut iu puee.

Benno Rüttenauer.

er alte Schäfer und die toten Könige.

Erzählung von Franz Karl Becker.

Jn meiner Heinrat liegt eine Heide, die sehr weit und
still ist. Wenn der Ginster blüht, der wächst da manns-
hoch, und das hartgestengelte Heidekraut, und wenn die
Schlehdornbüsche befruchtet stehen, hütet dort ein alter
Schäfer seine Herde. Ruhig sitzt er oder steht oder geht

gebeugt herum, den Tag über, und sein häßlicher Hund
sitzt neben ihm und geht neben ihm.

Aber niemand weiß es, ein wie Großes sich begab
mit diesem Schäfer, außer mir. Mir sagte er es eines
Tages, als ich mit ihm über die Halden heimwärts
ging, hinter seiner Herde.

Wenn er mittags in der glühenden Sonne auf der
Mark sitzt und sein häßlicher Hund neben ihm, kommt
tiefer und immer tiefer ein Schlaf über ihn und ein Traum.
Dann fühlt er rasches, junges Blut in seinen Adern und
ist ihm im Traum, als stehe er auf und gehe durch den
Ginster, nicht lange und sein Hund mit ihm. Und gehe
bis an eine Schluft, in der ein Grabgewölbe gebaut ist,
Spitzbogen, halbzerbröckelt, erzene Türen, rostig, offen.
Da geht er hinein, aber der Hund kauert am Eingang
nieder — er immer hinein, Stufen hinab, in ein halb-
dunkles Gewölbe.

Da liegen sieben Könige in sieben silbernen Särgen,
auf denen Kronen sind und Jnsignien und Wappenschilder
auf Steinplatten. Sonderliches begibt sich dann mit
dem alten Manne, seine Stimme ist wie die eines Jüng-
lings, glatt und stark, laut ruft er: „Jhr toten Könige,
ihr toten Könige!"

Ruft es oft, schreitet inmitten der Särge, ruft es
überlaut. Und die sieben Könige recken sich in den sieben
silbernen Särgen, sie schlagen die Deckel beiseite und
erheben sich. Die gekrönten Gerippe erheben sich aus den
staubigen Mulden, in Fetzen flattert der dunkelrote
Purpur um das zermoderte Gebein. Sie sehen nach ihm
wie Verzweifelnde, voll des Schreckens, wie gepeinigte
Tiere. Aber der Schäfer steht da mit seinem Hirtenstab
und in seiner ärmlichen Kleidung, er sieht über die
toten Könige und sagt, „ich kam zu richten!" Von einem
Sarg zum andern tritt er, reckt sich hoch auf wie ein
Richter, der von Gott selbst gesandt ist. Jn seinem Auge
ist eine Flamme, die auflodert, seine Worte sind wie Ge-
prassel von eisernen Steinen in einem Sturm, sie zer-
fleischen und zerreißen, sie schütten das Jnnerste der
Seele aus und sind furchtlos wie Kriegsscharen. So
tritt er von einem Sarg zum andern, sein Stab wird
zur Geißel, damit peitscht er die Toten, über Gebein
und Krone und Purpur.

Wo er steht, das gekrönte Gerippe erschaudert und
sinkt in unsäglicher Qual zusammen, ringt ohne Stimnie
die knöchernen Gelenke gegen ihn und krümmt sich.
Stöhnen und Weinen und tieses Aufatmen ist in diesem
Gewölbe, bis der Schäfer fortgeht. Die Stufen hinauf
an die Türe, wo sein häßlicher Hund aufspringt und
wedelt, den Ginster hindurch bis auf den Stein. Und
sobald er sich niedersetzt, wacht er auf.

So erzählte er es mir selbst. Mein Ahn, sagte er zu
mir, las ein großes Buch, darin standen uralte Worte,
die zerwühlten sein Blut und zerfurchten sein Hirn. Er
saß hier jahrelang und las das Buch, bis er starb und
ein anderer an seine Stelle einrückte. Darum geschieht
es mir, es schleppt sich fort im Blut, darum geschieht es
mir. Wenn ich wache, dauert mich der Toten, aber wenn
ich schlafe, treibt mich im Traum eine unfaßbare Kraft.
Oft habe ich im Wachen die Gruft gesucht, ich fand sie
nicht, aber im Traum finde ich sie. Und er lächelte
schmerzlich dabei.
 
Annotationen