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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 22.1912

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Heft 9
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Grabowsky, Adolf: Der Weg der Form
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Noll, Gustav: Vier Gedichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.26494#0348

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Der Weg der Form.

Lehrbüchern zusammen, aber auch was man nur für ge-
sichert halt, wird zu Paragraphen verarbeitet. So wird
der Künstler gelehrtenhaft, der Alerandrinismus setzt
cin. Es bilden sich Konventikel, wo die Jünger in lang-
samer Folge zu den höchsten Geheinmissen aufsteigen.
Da der behördliche Schutz einer Aunftverfassung fehlt,
schützt man sich gleichsam durch Kartellierung: nian
monopolisiert die Kunsterzeugung und infamiert alle, die
nicht mitmachen. Hierhin gehört sowohl der Meran-
drinismus im engeren Sinne, also die Epoche, die auf die
letzten Frivolitäten der griechischen Kunst folgte, als auch
die artig verderbtc Dichtung der Barockzeit, da die wilden
Triebe einer blendenden Üppigkeit plötzlich umschlugen
in zopfhafte Pose. Die Vereinigung der Künstler in ein
paar gelehrten Gesellschaften hatte tatsachlich eine noch
weit scharfere Wirkung als etwa in früherer Aeit der
lediglich lokale Ausschluß eines poetisierenden Hand-
werkers aus der Sängergilde.

Jn dcr Gegenwart haben wir den Formalismus aufs
neue. Auch hier hat der naturalistische und idealistische
DilettantisniuS so graßlich gewütet, daß schlimmste Not
über den Künstler kam. Aber der Fornialismus hat sich
niodisch frisiert; nian hütet sich ängstlich davor, etwa als
Gelehrter zu erscheinen. Dafür bchandelt man die
Asthetik als Mathematik und die Kunst als angewandte
Ästhetik; so ist man auf einem Umweg wieder glücklich
zum Alerandrinertum gelangt. Es ist wie mit dem
Scharfrichter, der heute Frack und Glacshandschuhe
tragt. Aum Absatz und Vertrieb seiner Erzeugnisse
kartelliert man sich auch nicht etwa in großen Verbänden,
denn instinktmäßig hat man erkannt, was unsere Wirt-
schaftslehre dringlich verkündet: nur Waren, die gleich-
artig sind, vertragen auf die Dauer eine Kartellierung.
Wer ein Patent auönutzt, das ihm ausschlicßlich gehört,
kann sich nicht mit andern verbünden, die auch wieder
ausschließliche Patcnte haben. So ist das Kunstkartell
in der Neuzeit gerade den dilettantischen Elementen vor-
behalten, die Fabrikwartz herstellen. Mit Eilfertigkeit
haben sich dcnn auch dichtende Eisenbahnschaffner und
feelenvolle Lehrerinnen zu Schriftstellerbünden, Kunst-
genossenschaften usw. zusammengetan. Für die eigent-
lichen Künstler war dieser Weg nichts. Je mehr die
andern ins Breite gingen, desto mutiger verengten sich
diese. Es wurden Gemeinschaften gegründet niit einer
Mitgliederzahl, die nicht höher als fünf sein durfte und
mit einer Vereinszeitschrift, die in derselben Anzahl von
Eremplaren erschien. Jeder dieser Vereine stellte ein
Dogma auf, dessen apodiktische Sicherheit im umge-
kehrten Verhältnis zur Anzahl seiner Mitglieder stand.
Jedes dieser Dogmen war formalistisch bis in die Knochen,
sei es nun nach der idealistischen, nach der realistischen
odcr nach sonst welcher Seite hin, und jeder diescr
Vereine mußte — natürlich nach einer bestimmten Re-
spektzeit — fein Dognia flcißig unter die Leute wcrfen.
Jedes dieser Dogmen ein Dekret oder noch lieber eine
Bannbulle.

Auch hier lauft wieder die Kunst im allgemeinen
Bächlein der Entwicklung. Man lobt heute sehr die freie
Konkurrenz, möchte aber ihre „Schäden" durch allerhand
Mittel und Mittelchen beseitigen. Besonders wird der
Befähigungsnachweis empfohlen. Nur daß man in der

Kunst, wo alles, was geschieht, radikal geschieht, schon
weiter ist als in der Wirtschaft. Hier versucht oder erwägt
man noch, dort hat man bereits abgestempelte Be-
fähigungsnachweise. Daß nicht mehr der Staat oder die
Gemeinde abstempelt, sondern ein Vereinchen, tut der
Pomphaftigkeit der Urkunde keinen Eintrag. Vor ein
paar Jahren versah man am liebsten die Lyriker mit der
bunten Marke, heute ist man bei den Dramatikern an-
gelangt. Dadurch ist zwar eine Mauer aufgerichtct
zwischen Kunst und Dilettantismus, zugleich aber macht
die Höhe der Mauer es den Künstlern schlechterdings un-
möglich, über das Bauwerk hinauszusehen. Der neue
Formalismus war gewiß notwendig, um überhaupt
wieder zur Form zu koinmen, doch allmählich sollte man
nicht mehr Dogmcn in den Kampf sühren, sondern
Personen. Adolf Grabowsky.

ier Gedichte von Gustav Noll.

Der Schrank.

Drehe den Schlüssel und öffne mich weit,
da findest du eine verschollene Zeit:
verblichene Kleider aus Organdin,
aus Barege und Taft und Seidenmusselin,
wie sie fischbeingeschient in verrauschten Tagen
einzwängend um Großmutters Brüste lagen.

Du störst sie auf, und ein Hauch von Lavendel
klettert aus Bund und Band und Bändel.
Darüber thronen gepappte Schachteln
(gar bunt tapeziert mit Rosen und Wachteln),
woriiinen Hüte mit wachsernen Blumen
verschlafen ruhn wie in Heiligtumen.

Wirr mischen sich Fächer mit wundersam
gestumpften Schirmchen und krausem Kram:
Großväterlünetten und Silhouettcn
still zwischen Perücken und Perlenketten.

Eine Klinge blitzt auf, deinen würdigen Ahnen
ein lieber Begleiter auf lockeren Bahnen,
ein Stilett gar, — weiß Gott, für welche Nöte, —
daneben die biedre romantische Flöte;
cine bauchige Bibel mit ehrbaren Lettern
zwischen dürren Äpfeln und Aeitungsblättern;
deiner Mutter Kamm, der mit zischendem Sang
ihr schweres, üppiges Haar bezwang,
und versteckt in ihrem köstlichstcn Mieder
zerknitterte Briefe, vergilbte Lieder....

Das alles schläft hinter meinen Wanden
gar sorglich verwahrt vor freveln Händen.

Jn nieiner muffigen Dänimerung
wohnt all deine fchönste Erinnerung.

-Zwar bin ich nichts als ein Sparer und Speicher,
aber sage mir: Jst dein Herz je reicher?

Der Spiegel.

Jch lebe von allem, was um mich ist,
von allem, was mein Glas ermißt.
Der Morgen schüttet silbernen Schein
am frühen Tng in mich hinein,

zro
 
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